Gesprochen erinnert das Kürzel JIAD an Dschihad, heiliger Krieg, ein Begriff, der durch terroristische Dschihadisten in Verruf gekommen ist. Das indonesische Kürzel JIAD aber steht für "Islamisches Netzwerk gegen Diskriminierung", als das genaue Gegenteil von Gewalt und Hass.
Den Gottesdienst besucht Aan Anshori in einer protestantischen Kirche in dem Städtchen Jombang in Java Timur (Ost-Java). "Ich freue mich darauf, zu Weihnachten meine Freunde von den anderen Religionen zu treffen", sagt der Mann aus Surabaya in einer E-Mail an evangelisch.de: "Ich werde in dem Gottesdienst auch in einer Rede über die Bedeutung von Weihnachten reflektieren." Aber die JIAD-Mitglieder tun noch mehr zu Weihnachten. "Wir werden andere muslimische Gruppen bei dem Schutz der Kirchen vor Angriffen radikaler Muslime unterstützen."
"Die NU hat den Wahabismus Saudiarabiens offiziell zur Irrlehre erklärt"
Der Muslim ist nicht der einzige Nichtchrist, den Pastor Andreas Kristianto zum Weihnachtsgottesdienst in seine Kirche eingeladen hat. "Es kommen auch Buddhisten", erzählt Pastor Kristianto im Skypegespräch, der sich über die Grenzen von Jombang hinaus einen Namen als Streiter für ein friedliches Miteinander der Religionen gemacht hat.
Ost-Java ist eine Hochburg der 1926 gegründeten Nahdlatul Ulama (NU) gegründet, die heute mit über 30 Millionen Mitgliedern die größte islamische Massenorganisation Indonesiens ist und für einen moderaten Islam und das Miteinander der Religionen steht. "Die NU hat den Wahabismus Saudiarabiens offiziell zur Irrlehre erklärt", weiß Franz Magnis Suseno, Jesuit und Direktor der Hochschule für Philosophie Driyarkara in Jakarta.
Eine große Persönlichkeit der NU war der 2009 verstorbene ehemalige indonesische Staatspräsident Abdurrahman "Gus Dur" Wahid. Der in Jombang geborene Religionsführer und Politiker war Zeit seines Lebens ein geachteter Streiter für einen friedlichen und pluralistischen Islam.
An den großen christlichen Feiertagen Weihnachten und Ostern sind die Sicherheitskräfte Indonesiens immer in Alarmbereitschaft. Zwar sind die Mehrheit der Bürger der Nation mit dem weltweit größten islamischen Bevölkerungsanteil freundliche und tolerante Muslime. Aber eine kleine Minderheit gehört zur radikalen bis terroristischen Fraktion. Und diese bedrohen alle Jahre wieder Christen zu Weihnachten. In Indonesien ist die Erinnerung noch wach an die Anschlagsserie auf Kirchen in Jakarta und acht anderen indonesischen Städten an Heiligabend im Jahr 2000. Acht Menschen kamen damals ums Leben. Täter waren Mitglieder der beiden Terrororganisationen Al Kaida und Jemaah Islamiyah (JI). Gewalt gegen Christen gibt es regelmäßig in Indonesien. Erst im Herbst 2015 gingen protestantische Kirchen in Aceh, Indonesiens einziger Provinz mit islamischem Schariarecht, in Flammen auf.
In diesem Jahr sind Polizei und Armee in besonders hoher Alarmbereitschaft. Die Tentakel der Terrorkrake Islamischer Staat (IS) aus Syrien und dem Irak reichen bis nach Südostasien. Eine Reihe von Terrorgruppen in Indonesien hat bereits den Eid auf die IS-Fahne geleistet. Mit der "Operation Kerze" werden Polizei und Armee mit 150.000 Einsatzkräften – nahezu doppelt so vielen wie noch 2014 - in ganz Indonesien 33.809 Kirchen schützen. Unterstützt werden sie dabei von muslimischen Gruppen, allen voran die Banser, eine paramilitärische Organisation der NU, der mit über 30 Millionen Mitgliedern größten islamischen Massenorganisation Indonesiens.
Verhaftungen kurz vor Weihnachten
"Das ist doch unsere Pflicht", sagt Sholichin Sirsaebo am Telefon aus einem Hotel in Yogyakarta. Das NU-Vorstandsmitglied und ehemaliger Chef der NU-Jugendorganisation ist von Jakarta aus in die für ihre vielen weltlichen, islamischen und katholischen Universitäten bekannte Stadt in Zentraljava gereist, um mit den dortigen Banser und den Sicherheitsbehörden den Weihnachtseinsatz zu besprechen.
Die Banser der NU-Jugend sind eine Organisation mit schillernder Vergangenheit. Das Kürzel steht für Barisan Ansor Serba Guna, eine Art Multitaskgruppe. "Sie beschützen NU-Veranstaltungen - und auch vielfach christliche Kirchen", sagt Pater Magnis Suseno und fügt hinzu: "Banser soll an das deutsche Wort 'Panzer' erinnern." In den Jahren 1965-66 waren die Banser allerdings auch in die indonesischen Kommunistenmassaker verwickelt.
Wie real die Gefahr von Anschlägen auf Kirchen zum Weihnachtsfest 2015 ist, zeigt die Festnahme von neun mutmaßlichen Terroristen wenige Tage vor Weihnachten durch die Antiterroreinheit Densus 88. "Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie über Weihnachten und Neujahr Anschläge geplant haben, um Chaos zu verursachen", sagte ein Polizeisprecher gegenüber indonesischen Medien. Bei den vier verhafteten Männern seien Anleitungen und Material zum Bau von Bomben sowie Pläne für ein Selbstmordattentat in Jakarta gefunden worden. Fünf der Verhafteten hätten Verbindungen zu dem IS und vier zu JI, einer Terrorgruppe, die seit dem Bombenattentat auf Bali im Jahr 2002 für eine Reihe von Terroranschlägen in Indonesien verantwortlich war.
Weihnachtsfatwa seit 2014 aufgehoben
Immerhin: Indonesiens Muslime dürfen heutzutage ihren christlichen Landsleuten ein frohes Weihnachtsfest wünschen. Das war nicht immer so. In der Ära von Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono hatten die Vertreter eines intoleranten, harten Islam großen Einfluss. Der Rat der Ulamas, das höchste islamische Gremium Indonesiens, hatte Muslimen mit einer Fatwa verboten, an Weihnachtsfeiern teilzunehmen und Christen "Frohe Weihnachten" zu wünschen.
Die Weihnachsfatwa wurde vom damaligen Religionsminister Suryadharma Ali unterstützt, der seine schützende Hand über militante, christenfeindliche Organisationen wie die Islamische Verteidigungsfront hielt. 2014 musste Suryadharma Ali wegen Korruption zurücktreten. Sein Nachfolger Lukman Hakim Saifuddin versteht sich als Minister für alle Religionen, nicht als Islamminister, und genießt für seine Politik des Dialogs die Rückendeckung des im Oktober 2014 ins Amt gekommenen Staatspräsidenten Joko Widodo.
"Der Islam", so Sholichin Sirsaebo, "ist eine Religion des Friedens. Zudem stehen wir zur indonesischen Verfassung und den Fünf Prinzipien, der Pancasila. Eines der Prinzipien ist das der 'All-Einen Göttlichen Herrschaft'. Das verbindet die Religionen Indonesiens." So werden unter dem Schutz ihrer muslimischen Freunde Pastor Andreas Kristianto und die 300 Mitglieder seiner Gemeinde in Jombang, der "Stadt der Toleranz" und viele andere protestantische und katholische Gemeinden in Indonesien Weihnachten in Frieden feiern können.