Cranach wer? Selbstverständlich der Ältere, also der Vater - wenn es dieses Zusatzes überhaupt bedurft hätte. So jedenfalls hieß die Antwort über Jahrhunderte, wenn nach dem bedeutenden Renaissance-Maler gefragt wurde: Lucas Cranach der Ältere, herausragender Künstler, Luther-Vertrauter, Unternehmer. Spätestens seit diesem Jahr ist das anders.
Lucas Cranach der Jüngere (1515-1586) tritt aus dem Schatten des Vaters. Es ist der 500. Geburtstag des Sohnes. Sachsen-Anhalt zeigt in der Landesausstellung "Cranach der Jüngere 2015" in seiner Heimatstadt Wittenberg zum ersten Mal weltweit eine Schau, die einzig ihm gewidmet ist. Und am Wochenende wird drei Tage lang der Geburtstag am 4. Oktober gefeiert.
Kirchengeschichte und Theologie fädeln sich zusammen
Beide Cranachs gehören zu den wichtigsten Künstlern der Reformationszeit, ihre Bilder haben Martin Luther und seinen Mitstreitern erst Gestalt und Gesicht gegeben. Im Jahr 1517 hatte Luther in Wittenberg mit seinem Thesenanschlag die Reformation ausgelöst. Um 1520 malte Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) die ersten Porträts von Luther, vom Jüngeren stammt das Totenbild aus dem Jahr 1546.
Dass Cranach der Jüngere so lange im Schatten des Vaters gestanden habe, sei ein Urteilsspruch der Kunstgeschichte gewesen, sagt die Kuratorin der diesjährigen Ausstellung, Katja Schneider. Schon der Vater habe nicht solch eine ungebrochene Anerkennung erfahren wie zuvor der Maler Albrecht Dürer (1471-1528). Und mit den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648 verschwand auch das Wissen um die Cranach-Malerwerkstatt. Erst im 18. Jahrhundert wurde sie wiederentdeckt.
Die Werke von Vater und Sohn ließen sich lange nur schwer unterscheiden, vor allem mangels wissenschaftlicher Kenntnisse. Zudem hatte der Vater den Rang eines Hofmalers, den der Sohn nicht erreichte. Er wurde zumeist nur als Erbe des Namens und der Kunst von Lucas Cranach dem Älteren angesehen. Gleichwohl waren beide in Wittenberg erfolgreiche Unternehmer und Bürgermeister.
Den Sohn aus dem Schatten des Älteren zu holen, "ist uns schon jetzt gelungen", versichert die Kunsthistorikerin Schneider. Durch die Ausstellung und eine wissenschaftliche Tagung habe vor allem die Forschung einen großen Schub bekommen. "Und jetzt fädeln sich die kunsthistorischen und technologischen Untersuchungen und die Theologie zusammen", fügt sie hinzu. "Vielleicht war der Sohn nicht der bessere Maler, wohl aber sensibler als der Vater."
Marktorientierte Fließbandarbeit
So hat der Jüngere etwa die Porträt-Gestaltung weiterentwickelt: Die von ihm gemalten Personen wirkten lebensechter und gewannen im Laufe der Jahre an Individualität. Er bildete auch die Veränderungen ab, die das Älterwerden in den Gesichtszügen etwa von Luther und Philipp Melanchthon mit sich brachte. Der Vater dagegen hatte dem Zeitgeist entsprechend die Figuren noch stärker idealisiert.
Neben den Stärken offenbarte der Sohn aber auch Schwächen, wie Schneider erläutert. Er habe keine neuen Motive entwickelt und auf bewährten Themen beharrt. Zudem muteten die Porträts vor allem in den späten Schaffensjahren wie Fließbandarbeit an. "Er hat wohl einfach marktorientiert weitergearbeitet", sagt die Kuratorin. Für den Sohn habe es eben keinen Anlass gegeben, einen etablierten Markenartikel aufzugeben.
Der Vater ist sogar von Zeitgenossen porträtiert worden, der Sohn dagegen blieb ohne Konturen. Zweimal ist er in derselben Rolle zu sehen: Auf dem Reformationsaltar in Wittenberg hat Cranach der Ältere seinen Sohn als Mundschenk dargestellt. Genau in derselben Position bildet der Jüngere sich auf dem Abenmahlsbildnis von 1565 in der Dessauer Johanniskirche selbst ab. Der Mundschenk trägt einen Siegelring, der ihn als Cranach den Jüngeren ausweist: Ein schlanker, bärtiger Mann reicht dienstfertig den Wein.