Kapitel 1: Leuchttürme im Nebel. Vom Rauschen zum Verstehen
Das Netz als sozialer Raum: Kommunikation und Gemeinschaft im digitalen Zeitalter
Dieses Impulspapier will ein Beitrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) zur Zivilisierung der digitalen Welten sein.
25.08.2015
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
A. Filipovi?, J. Haberer, R. Rosenstock, I. Stapf, S. Waske, T. Zeilinger

Mit den digitalen Medien verschiebt sich der Filter der Informationsauswahl: Er sitzt nicht mehr nur in Redaktionen, Verlagshäusern oder Sendeanstalten. Es ist die Aufgabe jedes Nutzers, aus der Fülle verfügbarer Information die für ihn selbst wichtigen Inhalte auszuwählen. In der Online-Welt kommt ein Prozess zu sich selbst, der sich mit der rasanten Vermehrung von Fernsehkanälen, Hörfunkprogrammen, Zeitungen und Zeitschriften schon lange angekündigt hat: Nicht mehr die Information, sondern die Aufmerksamkeit wird zum knappen Gut. Über die Relevanz der Information entscheiden nicht mehr alleine professionelle Publizisten, sondern die heterogene Gruppe der Userinnen und User im Verbund mit den Algorithmen, die bei den großen Netzakteuren aufbereiten, wer welche Information wie schnell zu sehen bekommt.

"Mehr Schrift als heute war nie in der Welt" (SZ-Magazin vom 31.1.2014): Information steht jederzeit und überall zur Verfügung. Die ungeheure Fülle an öffentlich verfügbarer Information sowie die relativ einfachen Möglichkeiten, nichtöffentliche Information zu publizieren (vgl. Wikileaks), fordern das Individuum als Instanz des Bewertens und Beurteilens heraus. Erfolgte die Auswahl und Gewichtung relevanter Information bisher durch externe Filterinstanzen in Redaktionen, Sende- und Verlagshäusern, so wird nun tendenziell jede und jeder Einzelne zum Filtersouverän.

Mit dem dramatisch erweiterten Wissen-Können geht die Tendenz zur Überforderung einher. Die Geschwindigkeit, die der digitale Zugriff per Computernetzwerk ermöglicht, stellt somit die Frage nach einer Ökologie der Aufmerksamkeit: Wenn permanentes Multitasking, unbegrenzte Gleichzeitigkeit und der Trend zur Flüchtigkeit unsere Zeit bestimmen – wie gelingt es, dem Konzentration und Tiefe entgegenzusetzen? Der individuelle Filtersouverän braucht Orientierung durch Haltung und Kompetenz.

Eine realistische Perspektive auf die gegenwärtig sich verändernde Medienwelt weiß umso mehr zu schätzen, was Qualitätsjournalismus und journalistisches Berufsethos auch künftig zur Meinungsbildung in komplex verfassten Zivilgesellschaften beizutragen haben. Umso mehr aber auch stimmt die gegenwärtige Situation im Journalismus nachdenklich: Die wirtschaftlichen Bedingungen lassen die journalistische Profession und die beruflichen Perspektiven von angehenden Journalisten prekär erscheinen. Die durch die Digitalisierung getriebene Spirale der Geschwindigkeit der Informationsbereitstellung steht Qualität der Information oft im Weg. Professionalität und Qualität der Arbeit in den Medien müssen sich auch künftig daran messen lassen, dass Medien Instrumente der Freiheit sind. Im Hybridmedium Internet sind Institutionen notwendig, die Orientierung geben im Nebel der Informations- und Bilderfülle.

Auch im Netz haben Medienprofis eine verantwortungsvolle Aufgabe: Sie sind zwar nicht mehr Gatekeeper für exklusives Wissen und privilegierte Informationszugänge; indem sie aber Informationen aufbereiten, Hintergründe durchdringen und den Prozess der Meinungsbildung befeuern, strukturieren sie das Rauschen der Informations- und Bilderfülle. Sie dienen als Leuchttürme im Nebel der Informationsfülle (information overload).

Die öffentliche Meinungsbildung braucht im digitalen Zeitalter professionelle Instanzen der Glaubwürdigkeit. Sie bewahren das Individuum vor der Überforderung, die eine ungerichtete Kommunikation bedeutet. Medienhäuser und Verlage tragen auch in den digitalen Räumen Verantwortung dafür, dass Kommunikation geordnet, priorisiert und damit das Niveau der medialen Kommunikation in der Öffentlichkeit befördert wird. Professionelle Qualität und journalistisches Ethos – wie sie in Deutschland in Institutionen wie dem Deutschen Presserat verankert sind – zu fordern und zu unterstützen, dürfen dabei nicht gegen Emanzipations- und Partizipationsansprüche der Zivilgesellschaft ausgespielt werden. Mehr denn je sind im Zeitalter der digitalen Medien persönliche und institutionelle Glaubwürdigkeit wechselseitig voneinander abhängig. Information steht weder im Ganzen des digitalen Netzes noch im Teil des einzelnen Medienunternehmens für sich. Die Fülle der Information steht vielmehr im Dienst der Kommunikation, verstanden als Bildung einer Communio des Verstehens.

Damit demokratische Gesellschaften funktionieren, ist es unerlässlich, Informationen nach zu recherchieren und zu gewichten. Umfassend recherchierte Information benötigt allerdings Zeit. Die Qualifikation zur Recherche und die Qualität aufbereiteter Information sind zwei wesentliche institutionelle Stützpfeiler einer demokratischen Mediengesellschaft. Die Aufgabe des Sammelns, Gewichtens, Bewertens und Organisierens von Informationen darf deshalb auch künftig keineswegs nur als individuelle Bildungsaufgabe verstanden werden, sondern ist als gemeinsame Aufgabe in der Zivilgesellschaft zu begreifen. Dazu braucht es im medialen Raum des Internets mehr professionelle Instanzen für den Umgang mit Information.

Selbstverpflichtungen der ELKB

1. Die ELKB fördert das Bewusstsein in der Gesellschaft, dass Informationsqualität Geld und Zeit kostet. Sie wendet sich gegen die derzeit anhaltende öffentliche Abwertung gut und zeitaufwendig recherchierter Information.

2. Damit die digitale Kommunikation als Instrument der Freiheit erfahrbar wird, stärkt die ELKB diejenigen Institutionen, die professionell und qualifiziert zur Urteils- und Meinungsbildung beitragen. Dies beginnt mit der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten. Hier zeigt die ELKB exemplarisch, wie sie mit eigenen Initiativen Qualitätsjournalismus unter sich verändernden Rahmenbedingungen (z.B. direkterer Dialog mit Nutzerinnen und Nutzern) fortschreiben und weiterentwickeln kann.

3. Neben der Ausbildung strebt die ELKB die Begleitung der Medienlandschaft auf anderen Wegen an. Wünschenswert sind hier Foren für Medienmacher (jährliches Medienforum der ELKB, Internettag der ELKB), verknüpft mit einer eigenen Stiftung für Qualitätsjournalismus oder in Kooperation mit bestehenden Qualitätsoffensiven (vgl. z.B. Verein für Publizistische Selbstkontrolle).

4. Bestehende kirchliche Beiträge zur Qualität der Medien und der Qualifikation medialer Akteure werden beibehalten. Besonders wichtig sind hier im Blick auf die gesellschaftliche Organisation der Kommunikation die kirchlichen Medienbeobachtungsdienste (z.B. epd-Medien). Im Blick auf die Profession sollten die Volontariate bei kirchlichen bzw. kirchennahen Trägern auf jeden Fall gesichert werden.

5. Die ELKB eröffnet die Diskussion, inwieweit Rede- und Darstellungsformen, die der Verkündigung des Evangeliums dienen, grundsätzlich nicht als geistiges Eigentum gelten, sondern urheberrechtsfrei allen zugänglich gemacht werden können.

Politische Forderungen

1. Das öffentlich-rechtliche Mediensystem ist als wesentlicher Beitrag zur Qualität medialer Information in demokratischen Gesellschaften beizubehalten und weiterzuentwickeln. Es sollte sich beispielsweise öffnen für kreative Initiativen von Netzakteuren, die eine Plattform aus öffentlich-rechtlichen Geldern bekommen. Dies gilt auf nationaler wie auf europäischer und internationaler Ebene. Zudem sollte die Regelung fallen, dass öffentlich-rechtliche Inhalte im Netz nach sieben Tagen zum Verschwinden gebracht werden müssen.

2. Institutionen, die Qualität in den Medien unterstützen, sollten von politischer Seite ausdrücklich gewürdigt werden – insbesondere wenn sie dem Sharing-Gedanken verpflichtet sind (Open Content, Open Access, Open Educational Resources). Wo immer sich die Zusammenarbeit von Organisationen, die der Qualität in den Medien verpflichtet sind, anbietet, sollten solche Kooperationen auf jeden Fall ermutigt werden.

3. Zugleich brauchen professioneller Journalismus und professionelle Medienarbeit für die experimentelle Erkundung neuer Möglichkeiten der Finanzierung. Dazu gehört die Förderung kreativer Modelle, die die Kriminalisierung von Jugendlichen im Bereich des Urheberrechts überflüssig macht und beispielsweise durch Bezahlschranken oder Steuererleichterungen für Verlage kulturelle Güter zu schützen hilft. Die Politik ist hier in der Pflicht, einen verbindlichen Rahmen zu schaffen, der solchen Ideen und Modellen nachgeht, aber auch Raum für weitere Innovationen im Bereich der Crowd-Technologien lässt. Weiter sollen Fair Use- (USA) bzw. Fair Dealing-Modelle (Großbritannien) zur Überarbeitung des deutschen Urheberrechts herangezogen werden.