Die Gemeindemitlgieder Thomas Bode und Marina Ilgert, sowie Pfarrer Christian Hering (v.l.) vor der Kirche in Fürstenwerder.
Foto: Cornelius Wüllenkemper
Die Gemeindeglieder Thomas Bode und Marina Ilgert mit Pfarrer Christian Hering (v.l.) vor der Kirche in Fürstenwerder.
Fürstenwerder: "Jede Frucht ist wertvoll"
Er betreut sieben Gemeinden in einer Region, in der gerade einmal 15 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder sind. Das letzte Kind, das er getauft hat, geht heute in die dritte Klasse. Dennoch ist sich Pfarrer Christian Hering sicher: "Für jeden Einzelnen lohnt es sich." Seine Kirche in der Uckermark öffnet ihre Türen und geht auf Menschen zu. Die Gemeinde ist klein, aber lebendig - ein schönes Beispiel in unserer Gemeindeserie "Jetzt erst recht".

Einhundertdreißig Kilometer nördlich von Berlin, unmittelbar vor der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, liegt zwischen zwei malerischen Seen, umgeben von viel Wald, Ackerland und Wiesen das 600-Seelendorf Fürstenwerder. Sasa Staniši? hat dem Ort im letzten Jahr mit seinem preisgekrönten Roman "Vor dem Fest" ein literarisches Denkmal gesetzt. Hier kreuzt die Ernst-Thälmann-Straße die Karl-Marx-Straße, es gibt ein Heimatmuseum und eine alte Stadtmauer, und sogar einen florierenden Buchladen hat dieses erstaunliche Dorf. Dennoch: Fürstenwerder kämpft mit den gleichen Problemen wie andere ländliche Regionen in den neuen Bundesländern.

Fürstenwerder liegt in der nordwestlichen Uckermark zwischen dem Dammsee und dem Großen See.

"Seit der Wende sind 72 Familien weggezogen", sagt Pfarrer Christian Hering und zieht die Augenbrauen hoch. "Und auch der vereinzelte Zuzug aus Berlin zeigt sich bisher nicht in der Kirche." Seit zehn Jahren betreut Hering die evangelischen Gemeinden in Fürstenwerder und sechs weiteren umliegenden Dörfern. "In Brüssel bezeichnet man uns als unbesiedelte Region", sagt Hering verschmitzt. In kurzen Hosen und T-Shirt, braungebrannt  und vom Leben in der Natur gezeichnet, wirkt der Vater von vier Kindern auf den ersten Blick nicht unbedingt wie ein Mann der Kirche. "Viele Leute hier haben verlernt zu beten, oder sie haben es nie gelernt. Nach der DDR-Zeit, in der man nach der Losung lebte 'Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein', hat man einfach vergessen, dass man Gott vergessen hat. Es gibt noch eine große Hemmschwelle, eine Kirche überhaupt zu betreten." Einhundertfünfzig Mitglieder zählt die Gemeinde in Fürstenwerder, mit den umliegenden Orten kommt Hering auf etwa 700 Gläubige.

Eine von ihnen ist Marina Ilgert. Vor zehn Jahren ist sie von Berlin nach Fürstenwerder gezogen, 2009 dann hat sie im Rahmen einer Evangelisation, einer einwöchigen Verkündigungsveranstaltung auf dem lokalen Sportplatz, zur Kirche gefunden, hat Glaubenskurse und Bibelstunden absolviert und sich taufen lassen. Heute engagiert sich Ilgert im Gemeindekirchenrat, hilft bei der Verwaltung, bei den Finanzen und der Instandhaltung von Kirche und Pfarrhaus. Einige Tage in der Woche betreut sie außerdem die Teestube, die im alten Pfarrhaus allen Menschen offensteht und jedem, der möchte, einfache Lebenshilfe anbietet.

Die Akzeptanz der Kirche im Dorf ist gewachsen

"Bei uns wird niemand frontal geistlich bearbeitet", betont Ilgert, es gehe um praktische Dinge wie zum Beispiel Rechnungen, Formulare oder alles, mit dem gerade alte Menschen im Alltag nicht immer zurecht kommen. Einmal im Monat findet zudem das Frauenfrühstück im Pfarrhaus statt, daneben werden wöchentliche Bibelstunden angeboten. Der Kirchenchor hat bereits seine zweite CD-Aufnahme veröffentlicht. Im Sommer steht ein Kaffeetisch direkt vor der Kirche und bietet jedem die Möglichkeit zum Gespräch. "Wir stellen einfach eine Bank vor die Tür und warten, wer kommt", sagt Pfarrer Hering. "Wer die Schwelle zu meiner Kirche einmal übertreten hat, bleibt in der Regel dabei. Mit der Zeit ist es warm geworden in unserer Heilands-Kirche, durch die Liebe, die der Einzelne mitbringt."

Kaum hat man das Ortschild Fürstenwerder passiert, erblickt man den Kirchenbau auf einem Hügel. "Kirche geöffnet" steht von der Durchgangsstraße aus gut sichtbar auf einem Schild. Täglich bis zum frühen Abend steht die Kirche jedem offen, ob Tourist oder Einheimischer, ob Christ oder nicht. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die Kirche aus Feldsteinen gebaut, 1740 fiel sie einem Stadtbrand zum Opfer, wurde rasch wieder aufgebaut, im 19. Jahrhundert dann mit einer Orgel und einer neuen Innausstattung mit großer Empore versehen und 1962 zuletzt instandgesetzt. Die Zahn der Zeit nagt nicht nur am Gebäude, auch der Glockenturm wurde kürzlich aus Sicherheitsgründen gesperrt und die Glocken durch eine elektrische Glockenanlage ersetzt. Jeden Mittag spielt sie für eine Minute verschiedene Glockenspiele aus ganz Europa ab.

"Als es eine Zeit lang gar nicht läutete, waren plötzlich auch die aus dem Dorf ganz verstört, die mit Kirche sonst nichts am Hut haben", erzählt Pfarrer Hering. "Auch die ganz harten Typen, die mir einmal drohten, dass sie meine Kirche abfackeln würden, wenn das Geläute nicht aufhört, habe ich später hier gesehen. Die Akzeptanz der Kirche im Dorf ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen." Künstlerisch wird sein ansonsten eher karg eingerichtetes Gotteshaus vom Ortsmaler Andreas Kranzpiller ausgestattet. Der 91jährige sei zwar katholisch getauft, habe aber keinerlei Berührungsängste und spende seine Werke seit Jahren. "Die Ökumene funktioniert bei uns sehr gut", betont Hering. Auch Katholiken kommen zu seinen Gottesdiensten, und vereinzelt gibt es sogar gemeinsame Rosenkranzgebete. "Wir wollen Brücken bauen im Ort. Jeder soll unbefangen unsere Kirche betreten können."

Pfarrer Christian Hering vor der Kirche in Fürstenwerder.

Nach dem Zusammenbruch der DDR sei die Dorfgemeinschaft einfach zusammengebrochen, bestätigt auch Thomas Bode. Der Fleischermeister am Ort ist durch den Religionsunterricht seines Sohnes zur Kirche gekommen und hat sich vor wenigen Jahren taufen lassen. "Das schlummert ja in jedem Menschen. Auch wenn er nichts davon weiß. Früher haben wir reine Zweckgemeinschaft gepflegt. Man brauchte sich gegenseitig. Nach 1989, nachdem im Dorf bekannt wurde, wer wen bespitzelt hat, brach der Zusammenhalt auseinander, es gab eine riesige Wut, die Menschen waren enttäuscht. Der Glauben macht das Leben so viel leichter!"

Vor kurzem sorgte die Nachricht, dass bald fünf Flüchtlingsfamilien ins Dorf kommen sollen, für einige Unruhe in der Bevölkerung. Bei einer Gemeindeversammlung, die trotz Polizeipräsenz zu eskalieren drohte, übernahm Pfarrer Hering die Moderation und vermittelte zwischen Gegnern und Befürwortern. "Wir empfangen jeden Flüchtling mit christlicher Nächstenliebe. Natürlich freuen wir uns auch, wenn die Menschen, die kommen, unseren Glauben teilen."

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Als nächstes plant die Gemeinde, die maroden Sanitäranlagen im Gemeindehaus zu renovieren und außerdem das "Rasthaus guter Hirte" aufzubauen, in dem Wanderer, Besucher und Einheimische einkehren und auch übernachten können. Die Hälfte der 100.000 Euro Kosten hat Hering bereits durch Spenden gesammelt, sogar eine arme Witwe aus dem Dorf habe 1000 Euro beigesteuert. Für den Rest sucht Hering derzeit weitere Sponsoren.

Seine Arbeit in Fürstenwerder versteht der Pfarrer noch immer als Grundlagenarbeit. "Die Uckermark ist die Region mit den wenigsten Gläubigen überhaupt. Wir sind hier, was das angeht, immer noch bei Stunde Null und stellen die ganz grundsätzlichen Fragen nach Gott. Aber jede Frucht meiner Arbeit ist wertvoll, egal wie klein sie auch sein mag."