"Mission" – ein Begriff, der bei vielen Menschen ambivalente Gefühle auslöst und den Christiane Herbst aus Greifswald doch mit größter Selbstverständlichkeit im Munde führt. "Mission war mir immer wichtig, aber in dieser Gegend ist es für mich noch einmal zu einer neuen Herausforderung geworden", sagt die 58-Jährige. 1997 ist sie mit ihrem Mann und ihren vier Kindern von Bielefeld in die kleine Universitätsstadt in Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Ihr Mann, Michael Herbst, hatte hier den Lehrstuhl für Praktische Theologie übernommen.
Rasch habe sie gemerkt, dass es in einer Gegend mit unter 20 Prozent Kirchenmitgliedern eine alternative Form von Gottesdiensten brauchte – "für Leute, die selten oder gar nicht kirchlich gebunden sind, mit einer anderen Sprache, anderem Ablauf, anderen Elementen". So entstand der "Initiativkreis Gottesdienst", zu dem 40 Personen aus einigen Greifswalder Gemeinden und christlichen Gruppen gehörten. "Wir führen Umfragen durch, bei denen wir nach gewünschter Gottesdienstzeit, -ort, -dauer, -rhythmus, Themen und Musik fragten", erinnert sich Christiane Herbst.
Unterstützung bekamen sie im Jahr 2001 vom damals neu gewählten pommerschen Bischof Hans-Jürgen Abromeit. Eine Vorbereitungsgruppe erarbeitete ein Konzept und im November 2002 fand der erste GreifBar-Gottesdienst in der Greifswalder Jacobikirche statt. "Der Name 'GreifBar' war ein Assoziationsgemisch aus Greifswald, Bar – Essen nach dem Gottesdienst – und 'etwas fassen können'", erklärt Christiane Herbst. Seit 2003 gibt es den Gottesdienst sechs Mal pro Jahr. Von den jeweils 200 bis 300 Besuchern sind rund 25 Prozent vorher nie oder selten in einem Gottesdienst gewesen. Mittlerweile haben sich rund 20 Erwachsene bei "GreifBar" taufen lassen.
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"Unsere Erfahrung ist, dass Menschen, die nicht in der Kirche sind, häufig dieselben Lebensfragen haben wie wir Christen. Die GreifBar-Gottesdienste bieten die Möglichkeit, mit diesen Lebens- und Glaubensfragen in Kontakt zu kommen – und zwar in einem Umfeld, das den Menschen vertrauter ist als die klassischen Gottesdienstformen", sagt Christiane Herbst. GreifBar findet beispielsweise nicht in einer Kirche, sondern in der Stadthalle statt – außerdem gibt es zeitgemäße Musik, Künstler werden in die Gestaltung miteinbezogen. "Und wir verwenden bewusst keine kirchliche Sprache", betont Herbst. So werde dann beispielsweise aus einer Predigt eine Ansprache – "und zwar eine, die nicht abgehoben ist".
Ohne Kirchensteuer und ohne Hauptamtliche
"Unser Team investiert einfach sehr viel Zeit in die Frage: Wie kann man Menschen das Evangelium auf eine Weise nahe bringen, die sie anspricht und die sie verstehen", versucht Herbst das Erfolgsrezept der Gottesdienste zu erklären. Ein Erfolg, der sich bereits deutschlandweit herum gesprochen hat. So kommen auch immer wieder einmal Besuchsgruppen, um sich das Konzept von GreifBar anzuschauen und zu erleben.
Ein Konzept aber auch, das nicht bei allen Gemeinden im Kirchenkreis auf Unterstützung trifft. So ist der Antrag, einen Kirchengemeinde-Status zu erlangen, von der Synode abgelehnt worden. "Juristisch gesehen sind wir ein unselbständiges Werk des Pommerschen Kirchenkreises in der Nordkirche", erklärt Christiane Herbst. Was auch heißt, dass die Arbeit der GreifBar-Gemeinde keine Kirchensteuermittel zugewiesen bekommt und keine hauptamtlichen Mitarbeiter beschäftigt - alle in der Gemeinde arbeiten ehrenamtlich. "Wir bekommen jährlich einen festgesetzten Betrag vom Kirchenkreis für die Veranstaltungen in der Stadthalle, darüber hinaus finanzieren wir unsere Arbeit aus Spenden."
Eine Arbeit, die seit 2007 noch umfangreicher geworden ist. In einer typischen ostdeutschen Plattenbau-Gegend, dem "Ostseeviertel", haben Theologiestudenten ihre Wohngemeinschaft für Kinder aus der Nachbarschaft geöffnet. "Die Kinder hier wachsen häufig unter schwierigen Bedingungen auf", erzählt Mit-Initiator Felix Eiffler. "Gerade mit ihnen wollen wir unsere Zeit verbringen, spielen, basteln und Geschichten hören. Wo nötig helfen wir – und haben dabei auch die Familien im Blick."
Playmobil: Jedes Kind will Jesus sein
Einmal in der Woche, am Samstagnachmittag, ist "Kinderstunde". Es wird Fußball gespielt, gebastelt, "und auch schon mal ein Blumenkasten bepflanzt". Fester Bestandteil des Nachmittags: Mit Playmobil-Figuren stellen die Kinder eine Bibelgeschichte nach. "Dann wollen immer alle den Jesus spielen", erzählt Felix Eiffler.
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Zu den Höhepunkten des Jahres zählt mittlerweile das Krippenspiel an Heiligabend auf dem Aldi-Parkplatz im Ostseeviertel mit rund 100 Gästen. Die Kinder führen die Weihnachtsgeschichte auf – mit Hirten, echtem Feuer und einem Einkaufswagen als Krippe. Das zweite Jahres-Highlight ist das Osterfeuer, das mit rund 300 Ga?sten am Karsamstag gefeiert wird.
Nun denkt das GreifBar-Team darüber nach, die Räume eines leer gezogenen Warenhauses zu mieten. "Wir wollen bewusst in ein Viertel ziehen, aus dem alle anderen wegziehen", erklärt Theologiestudent Eiffler. Selbst die Arbeiterwohlfahrt hat sich schon verabschiedet. Einen "Gegentrend" wollen sie setzen, und mit dem geplanten "Nachbarschaftszentrum" die Wohngegend kulturell, geistlich und sozial bereichern. "Wir glauben daran, dass Menschen sich öffnen und verändern", sagt Christiane Herbst. "Und da sind wir beim Ursprünglichsten, was Christen sich wünschen."