"Willkommen im Islamischen Staat", steht als schwarz-weißes Graffiti an einer Wand in Doband in der Provinz Logar, etwa eine Stunde Autofahrt von der afghanischen Hauptstadt Kabul entfernt. Die Region wird seit Jahren von den radikal-islamischen Taliban beherrscht, doch nun macht ihnen eine noch radikalere Gruppe Konkurrenz, die sich in Afghanistan "Daesh" nennt.
Ende Februar machte die Gruppe erstmals in Logar von sich reden, als sie einen alten, muslimischen Schrein in Brand steckte und die örtlichen Taliban-Kämpfer aufforderten, einen Treue-Eid auf Abu Baker Al-Baghdadi zu leisten, den Anführer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak. "Sie brachen auch in die Häuser der Leute ein, zerstörten die Fernseher und sagten ihnen, sie sollten nicht mehr fernsehen", berichtete der Distrikt-Gouverneur Khalilullah Kamal.
Pro Woche sterben über 300 afghanische Soldaten
"Daesh" hat nicht nur in Logar, sondern auch in anderen Provinzen Afghanistans - besonders in Nangahar und Helmand - viele Taliban-Kämpfer abgeworben. Die Terrorgruppe ist inzwischen so stark, dass die Amerikaner bewaffnete Drohnen gegen sie einsetzen. Vor einigen Tagen bekannte sich sogar Alt-Mudschaheddin Gulbudin Hekmatyar zu "Daesh". Hekmatyar gilt als einer der brutalsten Warlords Afghanistans. Er hatte in den 80er Jahren mit Unterstützung der USA und Pakistans gegen die sowjetischen Truppen am Hindukusch gekämpft und ist dafür bekannt, seine Allianzen häufig zu wechseln.
Während der IS in Afghanistan an Boden gewinnt, erstarken aber auch die Taliban. Im Norden des Landes scheint es nur noch eine Frage der Zeit, dass die Stadt Kundus unter ihre Herrschaft fällt. Die Taliban profitieren im Moment von der Schwäche der afghanische Armee, die nach dem Abzug der US-geführten Nato-Kampftruppen Ende 2014 ganz auf sich gestellt ist und keine Luftunterstützung mehr anfordern kann.
Um so intensiver wird nun am Boden gekämpft: mit hohen Kosten für die Armee. Pro Woche sterben über 300 afghanische Soldaten beim Kampfeinsatz: Die Verluste liegen um 70 Prozent höher als im Vorjahr. Es trifft aber auch die Bevölkerung. Nach Angaben der UN-Mission in Afghanistan starben in den ersten drei Monaten 2015 bereits über 650 Zivilisten am Hindukusch bei Kampfhandlungen zwischen Taliban und Armee.
Mit spektakulären Anschlägen Überlegenheit beweisen
Die vom Westen gestützte Regierung Afghanistans ist schwach und hat dem Vormarsch der Taliban kaum etwas entgegenzusetzen. Präsident Aschraf Ghani, der im September 2014 das Amt übernahm, hatte versprochen, Frieden und Aussöhnung mit den Taliban zu schaffen, Afghanistans Wirtschaft zu beleben und die ausufernde Korruption zu bekämpfen.
Doch von Erfolgen kann keine Rede sein, im Gegenteil: Obwohl in Afghanistan seit 14 Jahren Krieg gegen die Taliban geführt wird, hat das Land seit neun Monaten keinen Verteidigungsminister mehr. Die Regierung ist in sich zerstritten und kann sich nicht auf die Besetzung des wichtigen Postens einigen.
Auch Ghanis Hoffnung, der Nachbar Pakistan werde bei Friedensgesprächen mit den Taliban helfen, hat sich nicht erfüllt. Zwar traf sich in dieser Woche unter der Obhut Pakistans eine Delegation der Taliban mit der afghanischen Regierung, doch es ist unklar, welche Fraktion der Taliban am Verhandlungstisch sitzen wird und wie weit deren Einfluss reicht.
Das Auftreten des IS in Afghanistan hat die Lage verändert. Mit zwei einflussreichen islamistischen Gruppen in Afghanistan sehen sich die Taliban unter Druck: Sie wollen beweisen, dass sie weiter die entscheidende radikal-islamische Macht im Land sind. So griffen sie im Juni das Parlament in Kabul an und sprengten ausländische Militärkonvois. Mit spektakulären Anschlägen wollen sie ihre Überlegenheit gegenüber "Daesh" beweisen.