Tragender Felsen und Orientierung: Leuchtturm auf der Insel Santorin in Griechenland.
Foto: epd-bild/Christian Handl
Tragender Felsen und Orientierung: Leuchtturm auf der Insel Santorin in Griechenland.
Griechenland: Was ist unser Felsen in diesen Zeiten?
Die Krise der griechischen Wirtschaft prägt auch den Alltag der Evangelischen Kirche deutscher Sprache in Thessaloniki. Pfarrerin Ulrike Weber ist für Protestanten in Thessaloniki und für Diasporagruppen in ganz Mittel- und Nordgriechenland da. Die unsichere Zukunft des Landes und die wirtschaftliche Not spürt sie ganz unmittelbar im Gemeindeleben der Evangelischen Kirche deutscher Sprache in Thessaloniki.
27.06.2015
ekd.de
Kathrin Althans (Protokoll)

In den Gottesdiensten in Thessaloniki führe ich immer ein Predigtgespräch, dem ich einen biblischen Text zugrunde lege. Oft ist es so: Wir fangen bei dem biblischen Text an und hören bei Griechenland auf. Da habe ich zum Beispiel die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt und dazu kam die Frage: Wer breitet für Griechenland die Arme aus, wer ist barmherzig zu uns? Oder die Geschichte vom Haus auf dem Felsen: Was bietet uns einen sicheren Halt, was ist unser Felsen in diesen bewegenden Zeiten?

Bei den Gesprächen mit den Menschen fällt mir auf, dass am schlimmsten diese große Unsicherheit ist, die man überall spürt. Keiner weiß, was morgen ist oder übermorgen. Heute sind die Gesetze so, wer weiß, wie sie nächste Woche sind? Viele haben das Gefühl: Man kann sich im Augenblick auf nichts richtig verlassen. Das löst zum einen Ängste und Sorgen aus, lässt manche aber auch verharren – bis in eine Starre hinein. Da ist zum Beispiel ein Gemeindemitglied, das sich selbstständig machen will. Oder wir als Gemeinde planen einen Second Hand-Laden. Aber die Lage ist zurzeit so schwer absehbar, dass wirtschaftliche Entscheidungen ohne Hilfe von Rechtsanwälten und Steuerberatern kaum zu treffen sind.

Geflickte Mäntel – beschämende Armut

Ich fahre jeden Tag im Bus zur Arbeit, da fällt mir die Not besonders auf: Ich sehe die Frauen in ihren Mänteln, die haben den x-ten Frühling, Sommer, Herbst schon hinter sich, da wird geflickt, gestopft, da wird noch mal ein Knopf angenäht. Ich sehe das überall: Wie versucht wird, diese Armut würdig zu ertragen – weil Armut beschämt. Das berührt mich sehr.

Es macht sich für mich immer an den kleinen Dingen fest. Eine Frau aus der Gemeinde sagte zu ihrem Geburtstag, sie lässt sich jetzt nichts mehr schenken. Weil die Frauen es selber nicht haben und wenn man mit dem Schenken anfängt, müsse man auch wieder zurückschenken – und manche könnten es einfach nicht. So etwas macht dann manchmal sehr betroffen.

Unsere Gemeinde hat etwas mehr als 300 Mitglieder, in Thessaloniki und verstreut über Nord- und Mittelgriechenland. Die Gottesdienste feiern wir auf Deutsch. Da gibt es eine große Altersspanne: junge Mütter mit Krabbelkindern und Senioren, die seit mehr als 40 Jahren in Griechenland leben. Viele Auslandsgemeinden sind von sogenannten "Expats" geprägt, die nur für einige Jahre in einem anderen Land arbeiten. Bei uns werden das immer weniger. Die meisten Expats sind zurück nach Deutschland gezogen. Die Arbeit ist knapp und immer weniger ausländische Firmen schicken ihre Mitarbeiter nach Griechenland.

Die lieben dieses Land, diese Menschen, diese Kultur

Anders ist es bei denen, die in schon lange in Griechenland leben: Die deutschstämmigen Frauen in der Gemeinde zum Beispiel sind alle mit griechischen Männern verheiratet und Griechenland ist ihre Heimat geworden. Die lieben dieses Land, diese Menschen, diese Kultur, und sie leiden natürlich unter der Krise. Auch diejenigen, die mal gut situiert gewesen sind. Jetzt versuchen wir uns gegenseitig zu unterstützen: Im Foyer unserer Gemeinde steht ein Korb. Wer einkaufen gegangen ist, kann da etwas hineinlegen, ein Paket Nudeln zum Beispiel. Und irgendjemand nimmt sich das dann da raus – weil er es braucht.

Angesichts dieser Situation ist Griechenland von der wachsenden Zahl an Flüchtlingen besonders betroffen. Das geht den Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren, an die Substanz: helfen zu wollen aber nicht helfen zu können. Wir haben eine "Kreativ-Stube" aufgebaut als Angebot für die Flüchtlinge, dort stehen Nähmaschinen. Die Frauen können Nähen lernen und auch für sich selbst etwas nähen. Hilfe zur Selbsthilfe ist das, und auf jeden Fall ist auch der Kontakt ganz wichtig. Einen Kaffee oder Tee zusammen zu trinken, das Schicksal miteinander zu teilen …

Wir brauchen diese Barmherzigkeit

Von vielen Menschen höre ich den Wunsch, dass man klarer sehen könnte: Wo geht es hin, was sind die nächsten Schritte? Ich glaube, dass vieles zu tragen oder mitzutragen wäre, wenn man genau das Ziel kennen würde und wüsste: Diese Maßnahme ist gut und sinnvoll, das machen wir jetzt. Die Menschen hier sagen auch: Da ist vieles nicht gut gelaufen, es ist gut, dass das alles geändert wird. Aber das Abwarten macht viele von uns mürbe! Und wir brauchen trotzdem diese Barmherzigkeit.

Da ist es dann unsere Rolle in der Gemeinde, einfach eine Insel zu bieten, und zwar nicht die Insel der Glückseligen, sondern eine Insel derer, die das gleiche Schicksal teilen, dem mit Mut und Kraft standhalten und nach vorne blicken. Da rückt so eine Gemeinde auch noch mehr zusammen.