Habilitationsverfahren an deutschen Hochschulen sind gewöhnlich eine ernste Angelegenheit. Mehrere Jahre lang beschäftigt sich ein Wissenschaftler mit seinem Thema, legt eine dicke Habilitationsschrift vor und erwirbt dann die Lehrbefugnis für sein Fach. An der evangelisch-theologischen Fakultät in Mainz gibt es nun einen der seltenen Fälle, in denen das Verfahren nicht nach dem gewöhnlichen Muster, sondern gewissermaßen aus dem Ruder gelaufen ist. Im Zentrum der ungewöhnlichen Auseinandersetzung steht kein Geringerer als der Urwalddoktor Albert Schweitzer (1875-1965).
Sebastian Moll, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte, war mehrere Jahre lang der Frage nachgegangen, wie sehr sich der historische Schweitzer von dem Bild unterschied, das der Friedensnobelpreisträger selbst von sich in der Öffentlichkeit malte. Dabei kam Moll unter anderem zu dem Fazit, dass Schweitzer seine eigene Bedeutung als große Vordenkerfigur wohl aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit gerne übertrieb.
Seit 20 Jahren keine Ablehnung mehr
Unter dem provokanten Titel "Albert Schweitzer: Meister der Selbstinszenierung" erschien Molls Arbeit bereits 2014 in Buchform. Die weitgehend inhaltsgleiche Habilitationsschrift fiel bei den Gutachtern durch und wurde Ende Mai offiziell abgelehnt - ein Vorgang, den es so an der Mainzer Universität seit mindestens 20 Jahren nicht mehr gab. "Wir hatten keine andere Wahl", sagt Fakultätsdekan Sebastian Grätz. Drei unabhängig voneinander entstandene Gutachten seien klar zu dem Ergebnis gekommen, dass die Arbeit große Mängel aufweise und auch durch Überarbeitung nicht mehr zu retten gewesen wäre.
Pikant an der vorerst geplatzten Habilitation ist der Umstand, dass Moll bereits in der Vergangenheit mit pointierten Publikationen auf sich aufmerksam machte. So übte er in seinem Buch "Jesus war kein Vegetarier" Kritik an der modernen evangelischen Theologie und warf der Kirche vor, sie sei über jedes durch die Bibel zu begründende Maß hinaus der politischen Korrektheit verpflichtet. Damit machte er sich an der Fakultät, vorsichtig ausgedrückt, nicht überall Freunde.
Konservative christliche Internetmedien spekulierten daher bereits, in Wahrheit hätten nicht inhaltliche Mängel, sondern Molls bibeltreue Grundhaltung die Fakultät zu der Ablehnung provoziert. Diese Version weist Dekan Grätz weit von sich. Nicht einmal Moll selbst macht sie sich zueigen, er sieht die Ursache des Konflikts vielmehr in seinem unkonventionellen Schreibstil: "Ich habe mich immer bemüht, nicht in diesem Akademiker-Deutsch zu schreiben." Der streitbare Theologe zitiert gerne den Tucholsky-Ausspruch "Langweilig ist noch nicht ernsthaft" und hat sogar eine, nach seinem verstorbenen Vater benannte Stiftung gegründet, die sich für eine verständliche Sprache in der Wissenschaft einsetzt.
Inhaltliche Kritik kommt aber auch von außerhalb der Hochschule. "Es überrascht mich nicht, dass das in Bausch und Bogen abgewiesen wurde", sagt Gottfried Schüz, Vorstandsvorsitzender des "Deutschen Albert Schweitzer Zentrums" in Frankfurt. Die Arbeit weise methodische und inhaltliche Mängel auf, dem Autor bescheinigt Schüz einen "fragwürdigen Umgang mit historischen Texten". Ein Frankfurter Theologe, der lieber anonym bleiben möchte, meint hingegen, die Chancen der Schrift wären wohl besser gewesen, wenn Moll sie an einer anderen Universität vorgelegt hätte.
Dass die ganze Aufregung womöglich bewusst provoziert wurde, und - wie an der Mainzer Fakultät geunkt wird - Moll selbst der eigentliche Selbstdarsteller in dem Streit ist, bestreitet dieser. Die Ablehnung ohne Chance zur Nachbesserung habe ihn geschockt, berichtet er. Daher habe er nun seinen Anwalt eingeschaltet, ein offizielles Widerspruchsverfahren läuft. Die theologische Fakultät bemüht inzwischen ebenfalls die Juristen. Die Rechtsabteilung der Hochschule überprüft nach Angaben von Dekan Grätz, inwieweit Moll Details des Verfahrens in seinem privaten Internetblog öffentlich machen durfte.