Frau Steen, "damit wir klug werden" ist das Motto des Kirchentages. Worüber werden Sie predigen?
Nora Steen: Der Predigttext für den Abschlussgottesdienst steht im 1. Königebuch. Darin geht es um den jungen König Salomo, der sich von Gott nicht Reichtum, Klugheit oder ein langes Leben wünscht, sondern ein hörendes Herz. Ich werde fragen: Was wäre heute ein hörendes Herz, etwa in der Flüchtlingsfrage? Was brauchen wir, damit unsere Welt eine andere werden kann?
Wie aufgeregt sind Sie, wenn Sie vor 100.000 Christinnen und Christen stehen?Steen: Ich freue mich sehr über diese besondere Aufgabe! Natürlich werde ich auch aufgeregt sein. Ich bin zugleich auch mit meinen Schülern da und werde mit ihnen zumindest in den ersten Tagen im Gemeinschaftsquartier übernachten. Beides freut mich und gehört für mich zusammen.
Das wird ihr Abschied sein, danach gehen Sie für ein paar Jahre mit Ihrer Familie nach Lissabon, warum?
Steen: Ich habe schon in Indien und in der Schweiz gelebt und es war klar, dass ich noch einmal im Ausland leben möchte. In Lissabon werden mein Mann und ich die deutschsprachige Auslandsgemeinde leiten, eine kleine Gemeinde mit 350 Gemeindemitgliedern. Es ist eine Freiwilligkeitskirche – wir müssen unser Gehalt durch Schulunterricht und natürlich gute Gemeindearbeit selbst erarbeiten. Das finde ich spannend auszuprobieren. Und die Frage: Wie gelingt es trotz einer so kleinen Gemeinschaft eine Öffnung hinzubekommen, das Evangelium zu leben und nach außen zu wirken? Jetzt werde ich erst einmal Portugiesisch lernen.
Gottes Wort außerhalb der Kirche hörbar zu machen, ist Ihnen wichtig. Wie kamen Sie vor fünf Jahren zum "Wort zum Sonntag"?
Steen: Ich bin seit 2009 Sprecherin von Morgenandachten im Radio und wurde dann gefragt, ob ich an einem Casting teilnehmen möchte. Ich hatte das Wort zum Sonntag nie zuvor geschaut und war erst unsicher, ob das Format mir entspricht. Es ist ein schweres Format, vier Minuten ohne Schnitte. Ich bin ständig auf der Suche, wie es besser gehen kann. Auf der anderen Seite ist es eine große Chance Menschen zu erreichen, die nicht mehr zu uns in die Kirchen kommen.
Jetzt haben Sie auch ein Buch geschrieben, das helfen möchte, Gott im Alltag zu entdecken. Wie kam es zur Idee?
Steen: Ich habe zwei Jahre im Kloster Wülfinghausen gearbeitet mit Menschen, die auf der Suche sind. Da habe ich eine riesige Spanne erlebt zwischen den Erfahrungen in der Kirche oder im Kloster und dem Alltag. Die meisten haben gesagt: Hier war das wunderbar und ich habe mich Gott näher gefühlt als sonst, aber wenn ich zurückgehe in meinen Job, ist das wieder weg.
Wie kann ich Gott beim Wäschewaschen, Schuhe kaufen oder im ICE finden?
Steen: Ich glaube, dass es möglich ist in den Banalitäten des Alltags immer mal wieder den Horizont aufzumachen. Im Buch handelt nicht jede Episode von Gott, aber trotzdem glaube ich, dass ein bestimmtes Bewusstsein, den Alltag zu leben, etwas öffnen kann – ob das nun immer auch gleich eine Gotteserfahrung wird, sei dahingestellt.
Welche Leserinnen und Leser hatten Sie vor Augen?
Steen: Ich habe das offen gelassen. Ich erzähle von mir und meinem Alltag in der Erwartung, dass andere anknüpfen können. Ich habe auch an Mütter mit kleinen Kindern gedacht und an diejenigen, die nie ein theologisches Buch kaufen würden.
"Ich lerne ständig dazu, vor allem von denen, die sich mir anvertrauen"
Sind Sie mit dem Herzen eher Medienpastorin oder bei den Menschen vor Ort?
Steen: Beides. Medial präsent zu sein ist nichts, was mich erfüllt. Es ist natürlich schön, wenn es positive Rückmeldungen gibt, aber in erster Linie bin ich in den Medien Projektionsfläche. Mit mir als Person hat das wenig zu tun. In der Gemeinde vor Ort spüre ich gleich, ob ich im Kontakt zu den Menschen bin oder nicht und ob es uns gelingt, einen Raum für Gott zu öffnen. Deshalb bin ich Pastorin geworden, dort schlägt mein Herz.
Sie sind 38 Jahre alt und bieten geistliche Wegbegleitung auf Ihrer Homepage an. Wie sind die Reaktionen?
Steen: Es gibt einige Menschen, die ich seit längerem begleite. Wir treffen uns alle paar Wochen zu einem Gespräch. Aber die Ausbildung zur Geistlichen Begleiterin heißt ja nicht automatisch, dass ich das auch kann. Ich lerne ständig dazu, vor allem von denen, die sich mir anvertrauen. Rückmeldungen zeigen mir, dass ich ihnen neue Perspektiven vermitteln konnte. Das ermutigt und freut mich.
Was heißt für Sie Glauben?
Steen: Immer damit rechnen, dass mehr möglich ist, als ich selbst erwarten würde.