Foto: Gerti G./photocase.com
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Mit dem Herzen denken
"Selber denken" ist das Motto der ersten Fastenwoche bei der Aktion "7 Wochen Ohne". Die Teilnehmer sind aufgerufen, den eigenen Verstand zu benutzen. Moderne Menschen denken mit dem Kopf, ganz anders die alten Hebräer: Sie denken mit dem Herzen. Das schließt eine Beziehung zu Gott ein, in der der Mensch vor allem hört und empfängt.

Von einem besonders schlauen Menschen sagt man, er sei "nicht auf den Kopf gefallen, und wer in einer unruhige Situation noch klar denken kann, bewahrt "einen kühlen Kopf". Während der Kopf in unserer Sprache zum Denken da ist, steht das Herz meistens für Gefühle: Wer jemandem "sein Herz ausschüttet", teilt seinen großen Kummer mit, und wer heftig verliebt ist, läuft Gefahr, "sein Herz zu verlieren". Ganz klar: Denken passiert im Kopf, Gefühle im Herzen. Oder?

Die Philosophen der griechisch-römischen Antike haben begonnen, sich die Aufteilung so vorzustellen. Sie teilten den Menschen quasi in zwei Teile: Kopf und Körper, Seele und Leib, Vernunft und Gefühl. Doch das war nicht immer so. Die Autoren des Alten Testamentes stellten sich den Menschen als ein Ganzes vor, das aus vielen Teilen zusammengesetzt ist. Einzelne Körper-Begriffe stehen dabei immer für den ganzen Menschen, jeweils unter einem bestimmten Aspekt. Das Wort "näfäsch" zum Beispiel, meist unzureichend mit "Seele" übersetzt, meint den Menschen in seiner Bedürftigkeit: Der Begriff heißt auch "Kehle" - der Körperteil, durch den alles hindurch muss, was wir zum Leben brauchen, Wasser, Speise und Luft. Der Mensch ist eine näfäsch mit  Bedürfnissen und Sehnsüchten. Wenn vom "Ohr" die Rede ist, ist häufig das Verstehen gemeint, "Auge" meint "Erkennen" und der "Fuß" steht für "Kraft".

Der Fall Nabal: Herzinfarkt oder Hirnblutung?

Das weitaus häufigste Wort, das ein Organ und damit zugleich viel mehr bezeichnet, ist "leb", das Herz. Nach heutigem Verständnis könnte man vermuten, da das Wort "Herz" so oft – nämlich 858 mal - vorkommt, seien die alten Hebräer besonders gefühlvolle Menschen gewesen. Das ist aber gerade nicht der Fall, oder jedenfalls nicht nur. "Der Hebräer denkt weitgehend mit dem Herzen", schreibt Rainer Albertz (Theologische Realenzyklopädie 22, Artikel "Mensch II"). Ein gutes Beispiel dafür ist die Losung für den Evangelischen Kirchentag 2015, "damit wir klug werden" (Psalm 90,12b): Im Hebräischen steht dort "ein weises Herz erlangen". Luther übersetzt "klug werden", und das ist nicht falsch. Denn das Herz ist Sitz der Vernunft, der Weisheit, des Urteilsvermögens – Funktionen, die wir heute dem Gehirn zuordnen.

Auch im Bericht über das Lebensende von Nabal (1. Samuel 25,37-38) würde es passen, im Deutschen "Gehirn" statt "Herz" zu schreiben. In der Erzählung heißt es: "Da erstarb sein Herz in seinem Innern, und er wurde wie ein Stein. Und es geschah nach zehn Tagen, da schlug der Herr den Nabal, dass er starb." Erst starb sein Herz, und danach lebte er noch zehn Tage lang weiter? Das ist medizinisch unmöglich. Wahrscheinlich sind bei Nabal Gehirnfunktionen ausgefallen, wir würden dazu vielleicht "Schlaganfall" oder "Hirnblutung" sagen. Doch das hebräische "leb" immer mit "Gehirn" zu übersetzen, wäre falsch oder zumindest nicht ausreichend.

König Salomos Bitte um ein weises Herz

Das Herz ist in der hebräischen Bibel ein wahrnehmendes Organ, es sei "zum Verstehen bestimmt", schreibt Hans Walter Wolff in seinem Buch "Anthropologie des Alten Testaments" (Gütersloh 2002, 7. Auflage). Dieses Verstehen ist nicht unbedingt Ergebnis intensiver eigener Studien, sondern es entspringt der Beziehung des Menschen zu Gott.

König Salomo ist dafür das beste Beispiel: Auf Gottes Frage nach seinem Wunsch antwortet er: "So gib du deinem Knecht doch ein verständiges Herz, dass er dein Volk zu richten versteht und unterscheiden kann, was gut und böse ist." (1. Könige 3,9). Weisheit, Verstehen und Urteilsvermögen sind also Qualifikationen, die Salomo nicht aus sich selbst heraus besitzt, sondern von Gott erbittet und empfängt. Die Einsicht kommt aus dem Hören, und Salomo siedelt sie in seinem Herzen an.

Denken, Fühlen und Wollen gehören in der Bibel untrennbar zusammen und finden in der in der Mitte des Menschen – im Herzen – zusammen. Das wird besonders schön in Deuteronomium 6, 5-6, dem Gebot der Gottesliebe, deutlich: "Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen (= "leb"), von ganzer Seele (= "näfäsch") und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen (= dir bewusst machen, darüber nachdenken, dich daran erinnern)." Mit "lieb haben" ist hier nicht Liebe im Sinne von großen Gefühlswallungen gemeint, sondern eine bewusste Hingabe des ganzen (aber auch wirklich des ganzen!) Menschen zu Gott hin.

Das Herz auf Empfang stellen

Wenn heute manchmal so scharf zwischen Herzensfrömmigkeit und Vernunft-Denken unterschieden wird, ist das demnach geradezu unbiblisch. Warum sollte das "Selber Denken" nicht alle Aspekte des alttestamentlichen "leb" einschließen: Gefühl und Vernunft, Gewissen und Einsicht, Wollen und Verstehen? Von Salomo und seiner Bitte um ein weises Herz können wir lernen, was das "Denken mit dem Herzen" heißen kann: Eine Haltung des Hörens einnehmen. Im Gespräch mit Gott bleiben, beten, innehalten, das Herz auf Empfang stellen. So würde das "Selber denken" bei der Fastenaktion "7 Wochen Ohne" – auf hebräische Art verstanden – die Beziehung zum Schöpfer einschließen, in der der Mensch in erster Linie Empfangender ist. Das Denken wäre dann nicht nur Kopfarbeit, sondern eine Herzensangelegenheit.