Es herrscht völlige Stille im voll besetzten Kölner Dom, als eine junge Frau nach vorne tritt. Sarah wird von einer Begleiterin gestützt. Die Stimme versagt ihr immer wieder, als sie eine Fürbitte vorliest, in der sie Gott bittet, die Tränen der Angehörigen zu trocknen und ihnen allen neuen Lebensmut zu schenken. Sarahs Schwester war an Bord der Germanwings-Maschine, die am 24. März in den französischen Alpen abstürzte.
Vor ihrem Gebet hat die junge Frau stellvertretend für alle Angehörigen der Opfer einen kleinen Holzengel entgegengenommen, als "Zeichen des Trostes und der Zuneigung". Auf jedem Platz liegt so ein kleiner Holzengel. Nach Ansicht von Trauerexperten können solche Rituale helfen, das schier unermessliche Leid zu verarbeiten - selbst wenn man selbst gar nicht religiös ist.
Solidarität und Anteilnahme ist an diesem Freitag überall im Dom zu spüren, durch dessen bunte Fenster die Sonne hereinscheint und die 1.400 dunkel gekleideten Trauergäste in einem fast unpassend wirkenden Kontrast in ein strahlendes Licht taucht. Auf den Stufen zum Altarraum flackern 150 weiße Kerzen. Es brennt auch ein Licht für den Copiloten, der den Airbus zum Absturz brachte. Seine Familie habe ebenfalls einen geliebten Menschen verloren, heißt es.
Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) - lange war im Kölner Dom nicht mehr so viel Prominenz versammelt. Auch die französische und die spanische Regierung sind mit Ministern vertreten. Aber es sind nicht die Politiker, die an diesem Tag im Mittelpunkt stehen, es sind die rund 500 Angehörigen der Opfer.
Schon auf dem Weg in den Dom bietet sich den Trauergästen ein seltsames Bild: Der sonst so überlaufene Roncalliplatz und die gesamte Domplatte sind menschenleer, alles ist von der Polizei großräumig abgesperrt. Nicht nur aus Sicherheitsgründen - vor allem soll die Privatsphäre der trauernden Angehörigen gewahrt werden.
"Abgründe klaffen auf, in Seele und Menschenherz"
Die wenigen Medienvertreter, die einen Platz in der Kathedrale bekommen haben, mussten zusichern, sich "angesichts des Anlasses und aus Respekt vor den Angehörigen" an ein strenges Fotoverbot zu halten. Und auch die WDR-Kameras verzichten auf Großaufnahmen von den Hinterbliebenen. Ebenfalls aus Rücksicht auf die Angehörigen sind die vertretenen Lufthansa-Mitarbeiter dazu angehalten, auf das Tragen ihrer Fluguniformen zu verzichten.
Ganz Köln trauert mit. Das wird deutlich an den unzähligen Blumen und Kerzen, die betroffene Mitbürger auf dem Bahnhofsvorplatz vor der großen Freitreppe zur Domplatte ablegen. Auf Großbildleinwänden verfolgen Hunderte Menschen die Trauerfeierlichkeiten.
Kardinal Woelki und die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, leiten den ökumenischen Gottesdienst. Kurschus fasst das Entsetzen des Absturzes in Worte: "Unbegreifliches ist geschehen. Unbegreifliches wurde getan. Abgründe klaffen auf, in Seele und Menschenherz."
Woelki wendet sich in seiner Predigt direkt an die Angehörigen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! Vielleicht werden das einige von Ihnen gedacht haben, wenn Sie überhaupt an Gott glauben." Er versucht Worte des Trosts zu finden mit der Aussicht auf das Ewige Leben: "Wir glauben, dass diese 150 Menschen nicht verschwunden und nicht ins Nichts gegangen sind, als sie aus der Welt geschieden sind."
Selbst Journalisten kommen die Tränen
Ob die Worte den Hinterbliebenen Trost spenden können, kann kein Außenstehender beurteilen. Mit Ausnahme von Sarah bleiben sie stumm. Einige greifen immer wieder zu ihren Taschentüchern, andere sitzen wie erstarrt da. Die sterblichen Überreste der Opfer sind noch nicht beigesetzt, die traumatische Situation ist für die Angehörigen noch nicht einmal ansatzweise abgeschlossen.
Direkt nach dem Gottesdienst folgt der staatliche Trauerakt. Ministerpräsidentin Kraft sagt tief bewegt: "Die quälende Frage nach dem 'Warum' bleibt." Bundespräsident Gauck findet besonnene Worte und ruft dazu auf, auch für den Copiloten und dessen Familie mitzufühlen: "Wir wissen nicht wirklich, wie es in seinem Kopf aussah in der entscheidenden Sekunde." Auch seine Angehörigen hätten einen geliebten Menschen verloren.
Am Ende bleibt wohl keiner Anwesenden unberührt von dem Erlebten. Auch vielen der 250 Bürger, die in den Dom hinein durften, ist anzusehen, wie nahe ihnen die Trauerfeier geht. Selbst der eine oder andere Journalist wischt sich vor allem bei Sarahs Fürbitte verstohlen ein paar Tränen weg.