Gegner und Befürworter des baden-württembergischen Bildungsplans demonstrieren in Stuttgart (Archivfoto).
Foto: epd/Gerhard Bäuerle
"Die Demonstranten fabulieren über Sexualpraktiken"
Der Streit um die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" im baden-württembergischen Bildungsplan tobt weiter. Inzwischen sorgt zusätzlich ein "Aktionsplan für Akzeptanz" für Aufregung, der teilweise drastische Schritte vorsieht, um die Gesellschaft für die Anliegen Homosexueller und Transsexueller zu gewinnen. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) wirbt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) dafür, jeden Menschen zu akzeptieren, der eine andere sexuelle Orientierung hat.
18.04.2015
epd
Judith Kubitscheck und Marcus Mockler

Herr Minister, fünf Demonstrationen hat es in Stuttgart gegen den Bildungsplan Ihres Ministeriums mit seiner Werbung für die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" gegeben. Sie fühlen sich von den Kritikern missverstanden. Warum?

Andreas Stoch:
Die Kritiker beziehen sich immer noch auf ein altes internes Arbeitspapier, das noch nicht einmal den Status eines Bildungsplanentwurfs hatte. Dieses Papier hat den irrtümlichen Eindruck erweckt, es überakzentuiere das Thema sexuelle Vielfalt. Das bedauere ich im Nachhinein. Das Vorhaben an sich halte ich aber für richtig.

Warum ist dann die Kritik daran falsch?

Stoch:
Weil auf den Demonstrationen immer von einer Übersexualisierung geredet und über Pornografie und Sexualpraktiken fabuliert wird. Bei Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt geht es aber gar nicht um den Sexualkundeunterricht. Schüler sollen lernen, dass in unserer Gesellschaft kein Platz ist für Ausgrenzung und Diskriminierung - weder aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit noch aufgrund der sexuellen Orientierung eines Menschen. Das hat nichts damit zu tun, ob und wie Menschen ihre Sexualität dann ausleben.

Diskriminierung auf dem Schulhof findet laut Untersuchungen am allerwenigsten wegen sexueller Identität statt. Viel häufiger werden Schüler wegen ihres ethnischen Hintergrundes diskriminiert, wegen einer Behinderung oder auch wegen ihrer Religion. Setzen Sie hier nicht auf ein Nischenthema?

Stoch:
Dieser fehlerhafte Eindruck konnte aufgrund des Arbeitspapiers entstehen, entspricht aber nicht unseren Absichten. Allerdings scheinen bestimmte Leute Interesse daran zu haben, diese falschen Behauptungen immer wieder zu wiederholen. Der später verabschiedete Bildungsplanentwurf wird ja derzeit an mehreren Schulen erprobt - von keiner einzigen kam eine Rückmeldung, die die Befürchtungen der Kritiker auch nur im Ansatz bestätigen würde.



Ihre Kritiker sprechen sich ja durchaus für die Toleranz sexueller Vielfalt aus. Nur geht ihnen "Akzeptanz" zu weit. Haben Sie dafür Verständnis?

Stoch:
Dafür habe ich kein Verständnis. Tolerieren heißt dulden, ertragen. Das reicht aber nicht aus. Es gehört auch zum Wesen einer Gesellschaft, einen Menschen, der eine andere Orientierung hat, als vollwertigen Menschen zu akzeptieren. Allein die Diskussion um diese Begrifflichkeiten halte ich für eine feinsinnige Art der Diskriminierung.

Hat Ihre persönliche Akzeptanz Grenzen? Wenn sexuelle Vielfalt zum Beispiel Polygamie bedeuten würde?

Stoch:
Polygamie ist außerhalb des rechtlichen Rahmens. Wir brauchen nicht über Dinge zu reden, die außerhalb des gesetzlichen Kontextes sind.

Nun wird parallel zum Bildungsplan auch noch ein "Aktionsplan für Akzeptanz" von der Landesregierung erarbeitet - mit weitgehenden Vorschlägen. So will man auf die Kirchen einwirken, dass sie gleichgeschlechtliche Paare segnen. Auch der Tendenzschutz der Kirchen, dass sie beispielsweise nur Leute beschäftigen, die zu ihrer Glaubensrichtung passen, wird infrage gestellt. Überschreitet die Landesregierung hier nicht eine Grenze?

Stoch:
Der Bildungsplan hat mit dem Aktionsplan nichts zu tun, das sind zwei unterschiedliche Arbeitsfelder. Aber es gibt ein ähnliches Problem: Auch beim Aktionsplan sind noch keine Entscheidungen getroffen, sondern nur Vorschläge gesammelt und vorläufig bewertet, beispielsweise von Vereinen und Verbänden. Das ist alles noch nicht spruchreif.

Und dennoch erstaunt es, dass eine Arbeitsgruppe der Landesregierung Vorschläge diskutiert, die die Trennung von Kirche und Staat infrage stellen

Stoch:
Ich weiß nicht, von wem dieser Vorschlag kam. Ich weiß aber, dass weder in den Regierungsfraktionen noch im Kabinett überhaupt über diesen Maßnahmenkatalog gesprochen wurde. Da ist noch nichts entschieden. Sollte es tatsächlich um innerkirchliche Dinge gehen, könnte ich mir vorstellen, dass es in der Regierung Vorbehalte gegen solche Maßnahmen gibt.