Kirchenvorsteher entzünden eine weiße Kerze mit einem bunten Schiff darauf. Sie brenne "für alle Toten, ihre Angehörigen und auch für Andreas L. und seine Familie", sagt Pfarrer Michael Dietrich. Wie vielerorts ist auch im evangelischen Gottesdienst im rheinland-pfälzischen Montabaur am Sonntag der 150 Opfer des Flugzeugabsturzes in den französischen Alpen gedacht worden. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass Copilot Andreas L. den Absturz absichtlich herbeigeführt hat. Die Familie L. ist Mitglied der Kirchengemeinde.
In die Lutherkirche sind an diesem Sonntag etwa 120 Menschen zum Gottesdienst gekommen. Das entspreche dem Besuch auch an anderen Sonntagen, sagt Pfarrer Dietrich. Doch es ist kein gewöhnlicher Sonntag. "Wir gedenken der Opfer. Wir trauern mit den Angehörigen. Wir beten um Gottes Beistand", ist schon vor Gottesdienstbeginn an die Kirchenwand projiziert. Abgelöst werden die Worte von Hinweisen auf eine Benefizveranstaltung für Flüchtlinge und auf einen Glaubenskurs.
Barmherzigkeit und Geduld für einen Neuanfang
Pfarrer Dietrich begrüßt ausdrücklich auch Journalisten, die aber nur in sehr kleiner Zahl gekommen sind. Er bittet sie, Ton- und Filmaufnahmen zu unterlassen. Später schildert der Präses des Dekanats Selters, Michael Holger Müller, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wie froh er sei, dass der "Belagerungszustand" beendet ist. Kamerateams aus aller Welt hatten die 12.000-Einwohnerstadt im Westerwald "heimgesucht", wie Pfarrer Dietrich es nennt. An diesem Vormittag steht nur noch ein spanisches Fernsehteam vor dem Haus der Familie L.
Zu Beginn des Gottesdienstes bringen zwei Kirchenvorsteher ihre Klage vor Gott: "Hast du die Menschen vergessen, die im Flugzeug aus Barcelona saßen? Warum hast du sie nicht beschützt?" Sie äußern sich "entsetzt und fassungslos" über das Geschehen. Sie bitten Gott, "nimm die Toten bei der Hand und halte auch die Angehörigen, wenn sie vor Schmerz vergehen".
In seiner Predigt fordert Pfarrer Dietrich dazu auf, sich mit Leid und Schuld an Jesus Christus zu wenden. "Lasst sie uns zum Kreuz Christi tragen und nicht anderen Menschen aufladen", sagt er und bittet um "Geduld, Barmherzigkeit und Gnade", um irgendwann einen Neubeginn möglich zu machen.
Von einer "ungeheuren Spannung", in der die Kirchengemeinde mit rund 4.200 Mitgliedern stehe, spricht Pfarrer Johannes Seemann, der zweite Seelsorger: "Wir trauern mit allen Angehörigen und stellen uns gleichzeitig vor Familie L."
In der zweiten Kirche der Gemeinde, der Pauluskirche, wird eine Klagewand eingerichtet, an der Menschen ihre Ängste schildern und Gebete hinterlassen können. Die Kirche soll in den nächsten Tagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet sein. Es soll auch immer jemand da sein, der zum Gespräch bereitsteht. "Wir wollen als Gemeinde mitgehen und Anlaufstelle sein", sagt Pfarrer Dietrich.
Ihn und seinen Kollegen Seemann erreichen viele Anrufe und E-Mails von Menschen, die Entsetzen, ihre Fassungslosigkeit und Trauer ausdrücken, aber auch Mitgefühl mit der Familie des Copiloten, die wie viele andere ein Kind verloren hat. Aus Belgien sei sogar eine Einladung an die Familie gekommen, dort eine Unterkunft zu finden.
Am Turm der Lutherkirche haben Gemeindevertreter ein Kreuz angebracht. Dort können Zettel mit Gedanken und Gebeten hinterlassen werden. Nach dem Gottesdienst hängen zwei daran. Auf einem ist zu lesen: "Liebe Familie L., wir sind mit Ihnen traurig, es fehlen einfach die Worte. Wir beten".