Die Leere auf der Anzeigentafel erschüttert: Hinter "4U9525" und "Barcelona" steht nur noch die geplante Landezeit 11:55 Uhr; dahinter weder die tatsächliche Ankunftszeit noch das Gate. Auf vielen Onlineportalen tauchte das Bild auf, tausende Menschen drückten damit auf sozialen Netzwerke ihre Trauer über den Absturz des Flugzeugs aus.
Während am Tag eins nach dem Unglück Experten mit Hochdruck nach der Ursache suchen, herrscht über die Grenzen der EU hinaus Betroffenheit. Politiker besuchen den Absturzort und drücken ihr Mitgefühl aus, bei Facebook und Twitter schreiben viele über ihre Trauer und Fassungslosigkeit. Diese Gefühle machte Anne Will am Mittwochabend zum Thema ihrer Sendung.
Nicht einfach weitermachen
In kleiner Runde sprach sie über den Umgang mit der Katastrophe sowie über die große Betroffenheit im Land. "Ein Ereignis wie dieses kann Menschen den Boden unter den Füßen wegziehen", sagte der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. "Es kann gut tun, wenn man dann in einem Netz der kollektiven Trauer gehalten wird." Die Anteilnahme könne die tragen, die Angehörige verloren haben. "Allerdings gibt es kein Schema. Jeder trauert auf seine Weise", ergänzte der Theologe.
Die Psychologin und Traumaexpertin Dagmar Eckers glaubt auch, dass das Innehalten der Gesellschaft wichtig ist: "Es wäre unpassend so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen." Allerdings warnte sie davor, dass so ein Ereignis auch ausgeschlachtet werden könne.
"Der Tod ist nicht das letzte Wort"
"Für Angehörige ist der Moment schlimm, in dem das öffentliche Interesse nachlässt; wenn die Menschen zur Tagesordnung übergehen. Die gibt es für Hinterbliebene nicht mehr", sagte Giemulla. Dann seien Menschen wichtig, die unmittelbar für die Trauernden da seien. Schneider versuchte, die Angst vor Gesprächen zu nehmen: "Vieles geht intuitiv. Man muss nichts Kluges sagen. Ehrlich und authentisch zu sein ist wohl das Wichtigste." Das könne man auch üben. Ihm habe es als junger Pfarrer bei Seelsorgegesprächen geholfen, die Sprache der Psalmen zur Verfügung zu haben.
Die drängende Frage, warum Gott so etwas zulasse, könne der Mensch nicht beantworten, sagte Schneider. "Wir wissen nicht, was er denkt. Aber Gott ist auch denjenigen nahe, die ein geschlagenes Gemüt oder ein gebrochenes Herz haben", sagte er. "Die schreckliche Erfahrung des Sterbens ist nicht Gottes Ferne. Der Tod ist nicht das letzte Wort", ergänzte Schneider.
"Bei Trauergesprächen hilft es, wenn man selbst Schweres erlebt hat", davon zeigte sich der Theologe überzeugt. Am wichtigsten sei jedoch die Bereitschaft, sich für die Gefühle des Gegenübers zu öffnen. Auch dürfe man den Tod nicht verdrängen, ergänzte Dagmar Eckers: "Wir sterben alle. Wenn wir davor immer weglaufen, werden wir so einer Situation wie jetzt nicht gewachsen sein."
Trauer zulassen
Für Betroffene sei es wichtig, die Trauer zuzulassen und offen mit den eigenen Gefühlen umzugehen, sagte die Psychologin. Ein Weg könne sein, in die Nähe des Absturzortes zu fahren. "Es ist der letzte Ort, wo die Angehörigen gewesen sind. Das kann helfen, wenn es keinen Leichnam gibt", sagte Eckers. Schneider ermutigte die Menschen, sich mit dem Erlebten zu beschäftigen: "Die schreckliche Erfahrung muss Teil des Lebens werden, ohne dass es das zerstört." Das gelinge einfacher, wenn die Menschen wüssten, was beim Unglück genau passiert sei. Giemulla bestätigte, dass es für Angehörige einfacher sei, ein Unglück zu verarbeiten, wenn sie den wirklichen Hergang kennen und nicht immerzu unterschiedliche Theorien durchgehen.
Der starken Moderation von Anne Will war es zu verdanken, dass Mutmaßungen in dieser Runde keinen Platz fanden. Als Luftfahrtjournalist Andreas Spaeth ansetzte, über den den Unglückshergang zu spekulieren, würgte sie ihn höflich aber bestimmt ab. Inmitten aufgeregter Berichterstattung schaffte diese Sendung Platz für Gefühle – ohne dabei auf Voyeurismus zu setzen.