Angela Merkel und Hannelore Kraft, Bundeskanzlerin und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, fliegen heute nach Südfrankreich, um "ein Zeichen der Anteilnahme mit den Toten und ihren Angehörigen zu setzen", so formuliert es die Deutsche Presse-Agentur. Gute Idee? Oder sollten die Staatsoberen den Ort einer solchen Katastrophe eher meiden?
Wenn die Bundeskanzlerin alle Termine absagt, der Bundespräsident aus Peru zurückkehrt, um in Deutschland zu sein und Merkel und Kraft an den Unglücksort fliegen, besteht sofort der Verdacht einer Selbstinszenierung.
Hannes Leitlein, Volontär bei Christ & Welt, und Kilian Martin, Volontär bei katholisch.de, lieferten sich heute Morgen dazu einen kleinen ökumenischen Dialog (die ganze Konversation finden Sie auf Twitter):
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Bei allen Bedenken: Es ist wichtig, dass die obersten Repräsentanten des Volkes diesen Schritt tun. Sie tun es qua Amt, so wie der Pfarrer, der kraft seines Amtes im Gottesdienst stellvertretend für die Gemeinde an den Altar tritt. Es ist eine stellvertretende Handlung für alle, die sich fragen: Wie soll ich mit dieser Katastrophe umgehen?
Trauer ist etwas sehr Persönliches. Öffentliche Trauer dagegen ist meistens eher Betroffenheit, wenn man die Katastrophe medial vermittelt beobachtet, ohne vor Ort zu sein oder sogar einen Freund oder eine Familienangehörige verloren zu haben. Der Besuch von Angela Merkel an der Unglücksstätte gibt den Zuschauern eine Möglichkeit, ihre Betroffenheit aus der Ferne näher an die Trauer vor Ort zu rücken. Stellvertretend für uns alle nimmt die Kanzlerin die Begegnung mit der Katastrophe auf sich, um zu zeigen: Wir denken an die vermutlich 150 Menschen, die dort umgekommen sind. Es ist eine persönliche und personalisierte Geste, zusätzlich zu Flaggen auf Halbmast und der Absage aller anderen Termine.
Es ist keine Selbstinszenierung, die Angela Merkel da betreibt, es ist die Inszenierung der Anteilnahme des Volkes, das sie in unserer repräsentativen Demokratie vertritt. Daher ist es nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht, diese Katastrophe mit ihrem persönlichen Einsatz zu begleiten.
Politiker wie Angela Merkel können vor Ort zwar nicht konkret helfen. Aber die Staatsspitzen nehmen den meisten von uns Zuschauern eine Last ab. Wir müssen nicht um eine passende Reaktion ringen. Wir können auf unsere Kanzlerin zeigen, ihre Worte hören und sagen: So fühle ich mich auch.
Das ist keine leichte Bürde für Angela Merkel. Denn die Bilder und die Worte, die die Politiker von ihrem Besuch in Südfrankreich heute produzieren werden, müssen diesem Anspruch gerecht werden. Da wird es dann natürlich wieder ein Stück weit Inszenierung: Denn eine Bundeskanzlerin, die mit einem Lächeln bei strahlendem Alpenwetter durch die Trümmer stratzt, wäre keine angemessene Stellvertreterin für unsere Betroffenheit.
Deswegen hat das Unbehagen bei Nachrichtenbildern von Politikern am Katastrophenort seine Berechtigung.
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Aber heute, am Tag direkt nach dem Unglück, ist die Kanzlerin mit ihrer Begleitung dort zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Je weiter weg vom Unglück der Tag der öffentlichen Betroffenheit läge, umso mehr erschiene es wie eine opportunistische Betroffenheitsreise. Und vielleicht hilft es den Angehörigen der Katastrophenopfer auch nicht, wenn Angela Merkel die Trümmer von Flug 4U9525 sieht. Sie brauchen andere Hilfe - von Familie, Freunden, Seelsorgern.
Aber als gewählte Stellvertreterinnen des Volkes sind Angela Merkel und Hannelore Kraft heute zur richtigen Zeit am richtigen Ort.