Syrische Flüchtlinge im Libanon
Foto: Diakonie Katastrophenhilfe
Rousson und ihre Töchter in einer provisorischen Zeltsiedlung im Norden Libanons.
"Meine Töchter werden hier aufwachsen"
Syrische Flüchtlinge im Libanon
Vier Jahre nach Ausbruch des Syrienkonflikts stellen sich Tausende Syrer darauf ein, für längere Zeit im Nachbarland Libanon zu bleiben. Gut geht es ihnen hier zwar nicht - aber immerhin bekommen die Familien das Nötigste zum Leben von Hilfsorganisationen. Auch die Diakonie Katastrophenhilfe kümmert sich um die Menschen.
14.03.2015
Anne Dreyer, Diakonie Katastrophenhilfe

Iman ist zwei Monate alt. Das kleine Mädchen sieht auf dem Arm ihrer Mutter Rousson sitzend zufrieden aus - dabei lebt ihre Familie unter äußerst  schwierigen Bedingungen. Rousson und ihr Mann sind mit ihren beiden Töchtern vor zwei Jahren aus der belagerten Stadt Homs in Syrien in den Norden des Libanon geflohen. Zunächst mieteten sie sich gemeinsam ein Haus. Doch die Ersparnisse waren bald aufgebraucht. Einige Monate verbrachten sie daraufhin in Rohbauten ohne fließendes Wasser, Elektrizität und Sanitäranlagen. Seit neun Monaten lebt die Familie jetzt zusammen mit 65 anderen Familien in einer provisorischen Zeltsiedlung in Tal Abbas. Der Ort hat 7500 Einwohner plus ein Viertel syrischer Flüchtlinge. Das entspricht prozentual der Aufteilung in ganz Libanon: 1,3 Million Syrer haben Zuflucht im Nachbarland gefunden, das etwa 4,5 Millionen Einwohner hat.

Rousson hatte Glück, sie konnte Ihre Tochter Iman  im Krankenhaus zur Welt bringen. Im Moment erhält sie dreimal pro Woche warme, nahrhafte Mahlzeiten für sich und ihre Familie. Eine Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe betreibt eine Suppenküche, die bedürftige Familien in Tal Abbas versorgt. Frühmorgens beginnen die Köchinnen in Minyhara, etwa 15 Autominuten entfernt, in großen Töpfen ausgewogene und nährstoffreiche Gerichte zuzubereiten. Ahlan ist für die Verteilung verantwortlich. Mit einem Fahrer bringt sie das Essen in die verstreuten Zeltsiedlungen.

In großen Töpfen bereiten fünf Frauen aus Minyahra im Norden Libanons täglich Mahlzeiten für 120 Flüchtlingsfamilien zu.

Ahlan selbst ist aus Syrien geflohen, sie hat dort vor ihrer Flucht als Lebensmittelchemikerin für die Gesundheitsbehörde in Mutter-Kind-Programmen gearbeitet. "Wir kochen häufig syrische Gerichte, um den Familien neben einer nährstoffhaltigen Kost auch ein Stück Heimat zurückzubringen." Die Familien werden nach bestimmten Kriterien ausgesucht. Rousson und ihre Familie erfüllen gleich zwei davon: stillende Mutter und Kind unter fünf Jahren. Hier ist es besonders wichtig, Mangel- und Unterernährung vorzubeugen, um das Wachstum der Kinder nicht zu gefährden. "Es ist eine große Hilfe für uns", sagt Rousson. "Von dem wenigen Geld, das wir besitzen, könnte ich meine Familie nicht ernähren. Meine Mädchen holen freudig den Topf, sie essen zuerst und ich später am Abend  gemeinsam mit meinem Mann", sagt die junge Mutter. Ihr Mann ist tagsüber unterwegs in der Stadt, auf der Suche nach Arbeit.

Offiziell bekommen die die syrischen Flüchtlinge keine Genehmigung zu arbeiten. Sie verdienen ihr Geld auf dem Schwarzmarkt, als billige Arbeitskräfte auf dem Bau oder in der Landwirtschaft. Etwa 200 US-Dollar pro Monat verdient Roussons Mann als Tagelöhner. Die Miete für eine Wohnung können sie sich davon nicht leisten, es reicht gerade für das Notwendigste. Als registrierte Flüchtlinge hätten ihre Töchter die Möglichkeit, kostenfrei eine libanesische Schule besuchen - doch der Transport zur nächsten Grundschule ist zu teuer. Hinzu kämen noch Kosten für Bücher, Schulmaterial und Schuluniformen, alles Dinge, die die Familie nicht bezahlen kann.

"Wir verlieren eine gesamte Generation - dabei ist Bildung das Herz jeder Gesellschaft", sagt Sylvia Haddad, Leiterin des Joint Christian Comitee for Social Service. "Wir müssen den Kindern eine Schulbildung ermöglichen und ihnen damit eine Perspektive geben. Gerade die Jugendlichen brauchen ein Gefühl von Zugehörigkeit, sonst verlieren wir sie leichter an radikale Gruppen." Sie  geht mit ihrer Organisation einen ungewöhnlichen Weg und hilft Jugendlichen, ihren Schulabschluss in Syrien zu machen. Gerade für die älteren Schüler ist es nahezu unmöglich, von einem arabischen Curriculum auf das englische und französische System im Libanon zu wechseln. Das führt zu einer  hohen Zahl  von Schulabbrechern. Um dies zu verhindern, hat Sylvia Haddad in einem Lager im Süden des Libanon eine Schule aufgebaut, in der syrische Lehrer Schüler der Klassen 9 bis 12 unterrichten. Zweimal im Jahr organisiert die Organisation Fahrten nach Damaskus, damit die Schüler ihr Examen dort ablegen können. Gleichzeitig verhandelt Sylvia Haddad mit dem syrischen Bildungsministerium, dass Examen künftig an der syrischen Botschaft abgenommen werden können. 75 Kinder werden im Augenblick an der Schule unterstützt- laut Schätzungen leben im Libanon etwa 200.000 syrische Kinder, die ähnliche Unterstützung und Perspektive benötigen.

Sylvia Haddad setzt sich mit ihrer Organisation dafür ein, dass Flüchtlingskinder Bildung und Ausbildung erhalten.

"Aufgrund der langen Dauer des Konflikts ist die Situation der Menschen kritisch, gleichzeitig haben die aufnehmenden Staaten längst ihre Belastungsgrenze überschritten", sagt Michael Frischmuth, Kontinentalverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe. "Sie müssen dabei unterstützt werden, mit der großen Zahl an Flüchtlingen und dem langen Zeitraum der Krise umzugehen." In allen Programmen der Diakonie Katastrophenhilfe und anderer Organisationen sind neben syrischen Flüchtlingen auch bedürftige Familien aus dem Libanon Empfänger der Hilfsleistungen. Das ist sehr wichtig, um die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft zu fördern. Die vorhandene Infrastruktur im Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie in der Wasserversorgung muss ausgebaut werden.

In der gesamten Region sind aufgrund des Syrienkonflikts 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die meisten der Flüchtlinge gehen davon aus, dass sie aufgrund der anhaltenden Gewalt in ihrer Heimat in den kommenden fünf Jahren nicht zurückkehren können. So auch Rousson: "Meine Töchter werden hier aufwachsen. Doch ich hoffe, dass sie einmal ihre Heimatstadt Homs kennenlernen werden."