Zwanzig Jungs dribbeln über das Sportfeld, spielen sich gegenseitig Pässe zu. Zwei von ihnen rennen barfuß hinter dem Ball her. Immer wieder ruft der Trainer dazwischen, seine Trillerpfeife ist noch zwei Bezirke weiter zu hören. Bald geht die Sonne unter, der Platz liegt schon im Schatten, um diese Jahreszeit wird es früh dunkel.
Hier, im Flüchtlingslager Zaatari, eine Autostunde von der Hauptstadt Amman entfernt, leben derzeit etwa 82.000 Menschen. Eine Kleinstadt in der nordjordanischen Steinwüste, zehn Kilometer sind es bis zur syrischen Grenze. Zwei Drittel der Bewohner sind Frauen und Kinder, die Hälfte ist unter 18 Jahren alt. Die meisten Menschen hier kommen aus dem südlichen Syrien, aus Daraa, wo der Aufstand gegen Präsident Assad im März 2011 begonnen hat. Jeder von ihnen trägt Geschichten in sich von verlorenen Verwandten oder Freunden, zurückgelassenen Wohnungen, Terror, Angst, Flucht.
Spannungen, Demos, Kriminalität im Camp
Das Lager gibt es seit Juli 2012, seit der Eröffnung des Camps ist auch der Lutherische Weltbund (LWB) vor Ort. Zunächst half der LWB, Lebensmittel und andere Güter zu verteilen. Inzwischen hat er zusätzlich die "Peace Oasis" eingerichtet, eine Einrichtung für psychosoziale Unterstützung für Jugendliche.
###mehr-links###Bis vor einem Jahr war die Situation in Zaatari noch eine andere: Es gab viele Spannungen und Demonstrationen, Helfer wurden angegriffen, Geschichten von Erpressungen, Schmuggel, Prostitution kursieren. Zu dieser Zeit lebten im Camp etwa 130.000 Menschen, zu viele, um sie gleichermaßen versorgen zu können. Hinzu kommt: Nur wenige Menschen können im Lager arbeiten.
Um außerhalb arbeiten zu dürfen, brauchen sie zwei Genehmigungen: Eine, um das Lager zu verlassen, und eine, um arbeiten zu dürfen. Beide gibt es selten. Im Camp haben die Menschen nichts zu tun, leben auf engstem Raum mit ihren Familien zusammen, die meisten sind traumarisiert - das Konfliktpotenzial stieg. Das UNHCR reagierte, richtete das nahegelegene Camp Azraq ein und versucht nun, die Anzahl der Flüchtlinge in Zaatari auf 80.000 zu beschränken.
Eine Friedensoase in der Wüste
Vor der Einrichtung der "Peace Oasis" befragte der Lutherische Weltbund 200 Jugendliche in Zaatari, welche Angebote sie sich wünschen, was sie brauchen. Inzwischen findet jeden Nachmittag das Fußballtraining für Jugendliche in der Peace Oasis statt, daneben gibt es Karatestunden, Näh-, Schmink-, Bastel- und Computerkurse, mehrere große Container hat der LWB dafür. Und vor allem: Dreimonatige Mediations- und Kommunikationstrainings.
Etwa 800 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren haben sie bereits mit ihrer Arbeit erreicht, sagt sie. Dass sie als Muslimin für eine christliche Organisation arbeitet, macht Wejdan Jarrah stolz: "Ich lerne hier sehr viel über Werte wie Respekt und Freiheit. Der Islam und das Christentum haben sehr ähnliche Vorstellungen davon. Dass hier, in der Peace Oasis, diese zwei Religionen friedlich miteinander arbeiten, ist ein wichtiges Zeichen."
In der Peace Oasis arbeiten viele freiwillige Helfer: Junge Syrer, die eine Beschäftigung gesucht haben. Kheirat ist eine davon. Sie ist 22 Jahre alt, zierlich, spricht leise. Ihre Augenbrauen hat sie sorgfältig gezupft, die Wimpern stark getuscht. In ihrem schwarzen Kopftuch glitzern eingewebte Goldfäden. Sie trägt eine blaue Weste, "LWF", Lutheran World Federation, steht darauf. ###mehr-artikel### Als sie vor eineinhalb Jahren mit ihrer Familie nach Zaatari kam, ging es ihr sehr schlecht, erzählt Kheirat. Sie vermisste ihre Freunde, wollte weiter in die Uni gehen, wurde die Bilder vom Krieg nicht los. Mit ihrer Familie stritt sie häufig, zu acht lebten sie in einem Zelt. Irgendwann war klar: "Ich muss mir eine Arbeit suchen, sonst drehe ich durch." Sie lernte Wejdan Jarrah kennen, die sie mit zur Peace Oasis nahm. Kheirat fühlte sich wohl dort, machte einen Kurs in Konfliktbewältigung und ließ sich als Trainerin ausbilden. Inzwischen arbeitet sie täglich für den LWB und bietet selbst Kurse an. Heimweh hat sie nach wie vor, abends holen sie die Gedanken ein. Aber immerhin schafft sie es, die Erinnerungen über den Tag hinweg fortzuschieben.
Promotion und ab nach London?
Zweimal in der Woche verlässt Kheirat das Lager, fährt in die nächste Stadt, nach Mafraq. Hier studiert sie weiter, englische Literatur, der LWB finanziert das Studium. Zwei Jahre hat sie noch. Und dann?
Doch die meisten Syrer hier in Zaatari wollen wieder zurück in ihre alte Heimat. Oder möglichst weit weg, in ein neues Leben, den Krieg hinter sich lassen. Zum Beispiel Fthea, eine Nachbarin von Kheirat. Sie ist 35 Jahre alt, Mutter von fünf Söhnen. Der Älteste, gerade 19 geworden, serviert den Tee. Den Jüngsten, Ahmed, 18 Monate alt, hat Fthea auf dem Schoß. Er ist im Camp geboren, jeden Tag kommen 15 Kinder in Zaatari auf die Welt. Ahmed hat Angst vor Flugzeugen, weint sofort wenn Fthea sich ein paar Schritte entfernt. Dabei hat er den Krieg nie erlebt. "Das hat er von seinen älteren Brüdern, Ängste werden weiter gegeben", sagt Fthea.
"Die Zukunft hat aufgehört"
Ihr Mann Mustafa arbeitete in Syrien als Taxifahrer, er fuhr einen Assad-Anhänger, ohne es zu bemerken und machte unvorsichtige Äußerungen. Der Fahrgast nahm ihn direkt mit - Gefängnis, Folter, über einen Monat lang. Fthea wurde nicht benachrichtigt. "Er war einfach weg, ich wusste nichts, mir sagte niemand etwas. Ich konnte nur warten", sagt sie. Schwer traumarisiert kam er zurück, schrie Fthea und die Kinder häufig an. Dann stand Mustafas Entschluss fest, weg aus Syrien, weg vom Terror. Während er von der Zeit erzählt, klacken die Perlen seiner Gebetskette aneinander.
###mehr-info###Nun ist die Familie seit über eineinhalb Jahren in Zaatari. Mustafa sagt: "Die Zeit wurde angehalten, die Zukunft hat aufgehört. Was ist das für ein Leben hier?" Zu siebt leben sie auf 15 Quadratmetern. Weg will er auch von hier, nach Europa. Ihm fehlen die nötigen Papiere. Das Geld für ein Flugticket hat er nicht, für sieben Tickets erst recht nicht. Also: Irgendwie in die Türkei, dann weiter über das Mittelmeer, das ist der Plan. Und was sagt Fthea dazu? "Wenn Gott das als Schicksal vorgesehen hat, dann soll es so sein." Klack, klack, machen die Perlen in Mustafas Hand.
Draußen ist der Fußballplatz der Peace Oasis leerer geworden, die meisten Jugendlichen sind gegangen. Doch jetzt rennen die Mitarbeiter des LWB über den Platz, lachen, schreien, kicken den Ball hin und her. Ihr Arbeitstag geht allmählich zu Ende. Kheirat steht am Rand, schaut ihren Kollegen zu, reibt sich die klammen Finger. Gleich, wenn die Sonne untergeht, wird es eisig.