Die Qual der Wahl für konservative US-Christen
Rund ein Viertel der Wähler in den USA sind weiße Evangelikale. Sie gelten als "harter Kern" der Republikanischen Partei. Bei den diesjährigen Vorwahlen zur Präsidentschaft haben die konservativen Christen ihren Favoriten jedoch noch nicht gefunden.
27.01.2012
Von Konrad Ege

In den USA ist die politische Welt der konservativen Christen bei den republikanischen Vorwahlen in Bewegung geraten. Die Repräsentanten evangelikaler Verbände müssen sich fragen lassen, ob die Schafe den Hirten überhaupt noch folgen. Denn Mitte Januar hatten sich rund 150 prominente Evangelikale versammelt, um sozialkonservative "Wertewähler" auf einen Kandidaten zu vereinigen - gegen den angeblich nicht ausreichend konservativen Mormonen Mitt Romney. Man entschied sich mit deutlicher Mehrheit für den engagierten Abtreibungsgegner Rick Santorum.

Im US-Bundesstaat South Carolina stimmten ein paar Tage später jedoch nur 21 Prozent der evangelikalen Wähler für Santorum, und 44 Prozent für den Vorwahlgewinner Newt Gingrich. Nach Umfragen zu den am nächsten Dienstag anstehenden Vorwahlen in Florida hat der ehemalige Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Gingrich, dort gegen den lange vorne liegenden Romney aufgeholt.

Gegen Abtreibung und Homo-Ehe zu sein ist ein Muss

43 Prozent der Evangelikalen in Florida seien für Gingrich, 30 Prozent für Romney, ergab eine Umfrage der Quinnipiac-Universität in Connecticut. Offenbar marschierten evangelikale Christen nicht im Gleichschritt, kommentierte die Autorin Sarah Posner, eine Expertin zum Thema Religion und Politik. Das Bild sei komplex.

Weiße Evangelikale machen etwa ein Viertel der US-Wähler aus. Sie gelten als "harter Kern" der Republikanischen Partei. Bei den meisten republikanischen Vorwahlen stellen sie je nach Bundesstaat 40 Prozent oder mehr der Wähler. Dieses Jahr haben die konservativen christlichen Vorwähler die Qual der Wahl. Die republikanischen Anwärter - auch die bereits ausgeschiedenen Michele Bachmann und Rick Perry - reden viel über ihren Glauben. Alle sprechen sich nachdrücklich gegen Abtreibung aus.

Diese Einmütigkeit müsse man als großen Erfolg der traditionellen Führer der christlichen Rechten werten, kommentierte der evangelikale Publizist Timothy Dalrymple im Online-Magazin "patheos.com". Die Generation um den 2007 verstorbenen Fernsehprediger Jerry Falwell und den Prediger Pat Robertson habe die Debatte in der Republikanischen Partei geprägt. Besonders junge Evangelikale zögen allerdings nicht mehr automatisch mit.

Ablehnung der Abtreibung und Opposition zur Homo-Ehe sei aus Sicht evangelikaler Wähler unerlässlich für Wählbarkeit, kommentierte kürzlich David Brody, ein Analyst im konservativen Fernsehsender "Christian Broadcasting Network". Umfragen zeigten aber, dass auch bei Evangelikalen Wirtschaftsfragen am wichtigsten sind. 

Nicht "von der Macht verführen lassen"

Über die neue "Liebesaffäre" der Evangelikalen mit Newt Gingrich wird viel gespottet. Zwar warnte der Politiker lautstark vor einer angeblichen Bedrohung der Institution Ehe durch die Homo-Ehe. Er selbst ist jedoch zwei Mal geschieden und zum dritten Mal verheiratet. Mit seiner gegenwärtigen Ehefrau hatte er Medienberichten zufolge mehrere Jahre lang eine Affäre, als er noch mit seiner zweiten Frau zusammen war.

In einem Interview mit Brody versicherte Gingrich, er habe "Gott um Verzeihung gebeten". Brody ist offenbar nicht überrascht, das Gingrich bei Evangelikalen punktet. Er spreche eine deutliche Sprache und sei eine Kämpfernatur, wenn er gegen den "radikalen Islam" auftrete und gegen die "große Regierung", und wenn er warne, dass Amerika von einer "säkularen, atheistischen Elite" bedroht sei. Das komme an.

David Neff, Chefredakteur von "Christianity Today", einer führenden evangelikalen Publikation, warnte die evangelikalen Wortführer jedoch davor, sich "von der Macht verführen zu lassen". Wenn Evangelikale sich parteipolitisch festlegen, glaubten sie wohl, sie hätten Macht. In Wirklichkeit bestehe die Gefahr, dass sie Politikern, "um einen alten sowjetischen Begriff zu verwenden, als 'nützliche Idioten' dienen". Das habe selbst der Evangelist Billy Graham erfahren, der in gutem Glauben Präsident Richard Nixon unterstützt und erst durch den Watergate-Skandal Anfang der 70er Jahre vom "wahren Nixon" erfahren habe.

epd