Dioxin im Futter: Bauern in Niedersachsen sind sauer
Nicht zum ersten Mal schrecken erhöhte Dioxin-Werte in Lebensmitteln die Verbraucher auf. Ei- und Fleischesser in ganz Deutschland sind alarmiert. Doch der Skandal um verseuchtes Futtermittel bedroht auch die Existenz vieler Bauern - vor allem im "Hühnerland" Niedersachsen.
04.01.2011
Von Jan-Henrik Petermann

Der Hunger der Deutschen auf Geflügel wächst seit Jahren - giftige Futtermittel dürften nun aber Millionen Verbrauchern den Appetit und Tausenden Landwirten den Absatz verderben. Besonders in Niedersachsen, wo mehr als ein Drittel aller deutschen Eier produziert und beinahe die Hälfte des bundesweiten Umsatzes mit Geflügelfleisch gemacht werden, drohen die jüngsten Dioxin-Funde das angeknackste Image der Branche weiter zu ramponieren.

Zwar müssen die knapp 1000 vorsorglich gesperrten Tierzucht- Betriebe eine Krise ausbaden, die ihnen offensichtlich ein einzelner Zulieferer eingebrockt hat. Der Dioxin-Fall zeigt jedoch die Verwundbarkeit einer Branche, die stets auf eine "gläserne Kette" von Kontrollen setzt.

"Man muss diese Fälle unbedingt aufklären", fordert Kerstin Spelthann vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) - "im Sinne eines aktiven Verbraucherschutzes", aber auch mit Rücksicht auf die betroffenen Erzeuger. Die Interessenvertretung von rund 8000 Betrieben beklagt eine massive Rufschädigung, nachdem die Futtermittelfirma Harles & Jentzsch aus Schleswig-Holstein technische Mischfettsäure zur Herstellung von Futterfetten verwendet hatte.

Bauernhöfe legen Zwangspausen ein

Das Landvolk Niedersachsen fordert eine lückenlose Aufklärung der Dioxinbelastung in Futtermitteln und die Übernahme aller Kosten, die den Landwirten durch die belasteten Lieferungen entstandenen sind. "Unsere Landwirte müssen als Käufer von Mischfutter auf einwandfreie Lieferungen vertrauen können", verdeutlichte Landvolk-Präsident Werner Hilse. Den gesperrten Betrieben entstünden zusätzliche Belastungen durch Laboranalysen und längere Mastzeiten. Im schlimmsten Fall seien ganze Betriebe in ihrer Existenz gefährdet, wenn sie schlachtreife Tiere nicht vermarkten könnten.

Viele Unternehmen legen Zwangspausen ein, rund 1000 Euro teure Stichproben müssen die Inhaber zunächst selbst bezahlen. Der Deutsche Bauernverband verlangt Schadenersatz von den Verursachern. ZDG-Vizepräsident Wilhelm Hoffrogge, selbst Eierproduzent in Dötlingen bei Oldenburg, kann die absolute Höhe der Einbußen noch nicht abschätzen. "Das ist derzeit reine Spekulation", sagt er. "Es sind aber Riesenschäden, die wir erwarten."

Futter gelangte trotz Kontrollen in die Ställe

Besonders ärgerlich für die Landwirte ist die Tatsache, dass das bestehende Kontrollsystem die Belastung von Futtermitteln und Eiern mit dem Umweltgift klar nachgewiesen hatte - und die Ware trotzdem in ihre Ställe gelangen konnte. "Wir sehen als Erstes die Futtermittelwirtschaft in der Pflicht", betont eine Sprecherin des niedersächsischen Bauernverbands. "Es kann ja nicht sein, dass die Landwirte auf dem Schaden sitzenbleiben." Wie groß das Umsatzminus deutschlandweit werden könnte, lasse sich nicht genau beziffern. Die Landwirtschaftskammer in Oldenburg hofft, dass der Schaden durch Haftpflichtversicherungen der Futtermittellieferanten begrenzbar ist.

Fest steht schon jetzt: Niedersachsens Züchter werden durch die Dioxin-Krise weitaus stärker gebeutelt als ihre Kollegen in anderen Ländern. 2009 wurden im Geflügelgeschäft nach Angaben des Statistischen Bundesamts 915 Millionen von insgesamt 1,915 Milliarden Euro zwischen Ems und Elbe umgesetzt. Brandenburg (164 Millionen Euro) und Nordrhein-Westfalen (159 Millionen Euro) lagen abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei. Auch bei den Legehennen war der Nordwesten klar vorn: Von 741 Millionen Euro Erlös entfielen 2009 rund 270 Millionen Euro auf Niedersachsen.

Umfangreiche Rückrufaktionen drohen

Auch angesichts der weiter hohen Exportnachfrage für deutsche Geflügelprodukte sorgen die Giftfunde für Ernüchterung. "Der Fleischverzehr ist seit langem eher stagnierend, bei Geflügel wächst er aber", berichtet Spelthann. Bei derzeit 18,3 Kilogramm Pro-Kopf-Verbrauch sei "noch Wachstum drin. Auch bei Eiern heißt es: Tendenz steigend".

Umso bedrückender, dass nun umfangreiche Rückrufaktionen drohen - sofern das Problem wie bei der BSE-Krise vor einem Jahrzehnt nicht bereits "gegessen" ist. Die Bundesregierung prüft, die Regeln für Futtermittelhersteller zu verschärfen. Auch der Deutsche Verband Tiernahrung dringt auf eine rasche Aufklärung. "Bei der Verwendung von Fettsäuren müssen wir sehen: Wo gibt es Schnittstellen zu industriellen Prozessen?", sagt eine Sprecherin. Das Niveau der Qualitätssicherung sei jedenfalls hoch, sonst wären die aktuellen Fälle gar nicht dokumentiert worden: "Wo ein Schaden ist, muss der Verursacher geradestehen. Und natürlich gibt es schwarze Schafe."

dpa