Ich gehöre als lesbische Transfrau zum Gemeindeleben
Foto: Sven Tröndle
Ein Interview mit der queeren Aktivistin, grünen Politikerin und Kirchengemeinderätin Maike Pfuderer über den Stuttgarter CSD in der vergangenen Woche, die allgemeine queerpolitische Situation in Baden-Württemberg und die Lage von LSBTTIQ-Rechten in der württembergischen Landeskirche.

Albrecht: Warum hast Du begonnen Dich queerpolitisch zu engagieren?

Pfuderer: Als ich mein Coming-out als Transfrau hatte, das war 2003, da war mir klar, dass es ohne eigenes Zutun keine Bewegung geben kann. Es kam dazu, dass ich die Partei gewechselt habe. Ich war bis zu meinem Coming-out als Transfrau als Hetero-Mann unterwegs in der CDU. Da brach damals eine kleine Welt für mich zusammen. Eigentlich hatte ich damals die Idee: Die CDU hat mir meine für die CDU relativ linke sozialpolitische Haltung abgenommen, warum nicht auch noch die Transidentität, das war dann aber eindeutig eine Nummer zu viel. In den Jahren danach kamen für mich erst mal die medizinischen und gesetzlichen Notwendigkeiten. Ab 2008 habe ich wieder begonnen mich politisch zu engagieren, dann bei den Grünen in Stuttgart. Nach einem unerwartet großen Kommunalwahlsieg fehlte es an allen Ecken und Enden an Menschen, die auch bereit waren, sich im Bezirksbeirat zu engagieren. Da wurde ich sofort gefragt, ob ich da nicht mitmachen will. Was ich tat. Ich war wohl die erste offen lesbische Transfrau in einem Bezirksbeirat in Stuttgart. 2009 gab es zum ersten Mal anlässlich des CSD eine Regenbogenbeflaggung auf dem Rathaus und für mich fühlte sich das mit dem Bezirksbeirat damals so an, als ob ich dadurch als Person den Regenbogen nun auch ins Rathaus bringen dürfte.

Albrecht: Letzte Woche Samstag warst Du bei der CSD-Demo in Stuttgart mit dabei. Wie hast Du diesen Tag erlebt?

Pfuderer: Die CSD-Parade in Stuttgart ist für mich seit vielen Jahren nur noch damit zu vergleichen, wie ein Pfarrer den Heiligen Abend erlebt. Man feiert eigentlich ein großes Fest und hat keine Zeit für sich selbst auch zu feiern. Was mir auffällt ist, dass sich die am CSD teilnehmenden Gruppen immer breiter aufstellen, so hatten wir in diesem Jahr erstmals auch einige Mitglieder des Lesbisch-Schwulen Pfarrkonvents dabei, die eine eigene Formation gestartet haben. Es war auch das erste Mal, dass die Diakoniestation Stuttgart sich als Arbeitgeberin von lesbisch-schwulen Mitarbeitenden beteiligt hat. Der CSD ist klar in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Albrecht: Wie bewertest Du in diesem Zusammenhang, dass auch die türkische Gemeinde zum ersten Mal mit dabei war?

Pfuderer: Eigentlich ein logischer Schritt, den die Türkische Gemeinde hier getan hat, nachdem sie ja auch erkannt hat, dass es auch notwendig ist, in die LSBTTIQ*-Beratungsarbeit einzusteigen. Nun war es der zweite Schritt, auch nach außen Gesicht zu zeigen und zu sagen: Lesben, Schwule sind eben auch ein Bestandteil unserer Gemeinde, unserer Gesellschaft. Mit dem Vorsitzenden Gökay Sofuoglu haben sie auch einen ganz tollen Vertreter. Er steht einfach dazu und sagt: Auch bei uns ist Vielfalt und diese Vielfalt müssen wir erhalten.

Albrecht: Seit der Landtagswahl im Frühjahr ist nun auch die AfD mit einer Fraktion im Landtag vertreten. Wie nimmst Du die Fraktion in queerpolitischen Debatten wahr?

Pfuderer: Bei queerpolitischen Themen ist die AfD bisher nur durch abfällige Bemerkungen aufgefallen, das zeigt, dass sie sich entweder mit solchen Themen gar nicht auseinandersetzen oder wenn, dann eben nur innerhalb ihrer Ideologie. Da kommt so unter dem Strich die komplette Homophobie heraus, die besagt: Das wollen wir nicht, das gehört nicht zu uns. Konkrete Äußerungen will ich hier gar nicht wiederholen, weil ich diese Menschen in ihren kruden Gedanken nicht weiter aufwerten will.

Albrecht: War die AfD auch am CSD Stuttgart beteiligt?

Pfuderer: Nein. Sie haben dazu, soweit ich es weiß auch keinen Versuch gestartet. Es soll da ja angeblich so eine Bewegung von Lesben und Schwulen bei der AfD geben, die aber bei uns in Baden-Württemberg noch nicht zutage getreten ist und sich das vielleicht auch nicht traut. Zu LSBTTIQ Menschen, die in der AfD engagiert sind, denke ich, es zeigt, dass es LSBTTIQs überall in der Gesellschaft gibt, aber mir fehlt da jegliches Verständnis. Ich kann doch nicht in einer Partei sein, die mich in meinem Wesen, in meiner Orientierung, meiner geschlechtlichen Identität so wie ich bin, so wie ich eben geschaffen wurde, grundsätzlich ablehnt.

Albrecht: Schauen wir mal weiter auf die Politik, die auf der Straße stattfindet. Die Demo für alle in Stuttgart hat zu Beginn des Jahres wieder für Schlagzeilen gesorgt, wie wird es damit Deiner Eischätzung nach weitergehen?

Pfuderer: Ich denke, die Demo für alle hat sich für Stuttgart und für Baden-Württemberg erledigt. Nachdem die CDU jetzt mitregiert und ein wesentlicher Bestandteil des Organisationsteams der Demo für alle der Evangelische Arbeitskreis der CDU in Baden-Württemberg war, können die ja nicht zum einer zur Demo für alle aufrufen, die dann aber gegen ihre eigene Regierungsfraktion im Landtag agiert. Letztlich verantwortet mit Susanne Eisenmann jetzt eine CDU-Frau als Ministerin das Kultusministerium und sie hat sich ganz klar zum Bildungsplan bekannt. Ich gehe deshalb davon aus, dass im bisherigen Aktionsbündnis keine Demo für alle mehr stattfinden wird. Das müsste mir dann schon jemand erklären, wie man gegen seine eigene Parteifreund_innen mit diesem wilden Hass auf die Straße geht.

Albrecht: Wie geht das für Dich als grüne Politikerin zusammen, auf der Straße demonstrierten Teile der CDU gegen LSBTTIQ-Rechte, im Landtag regiert Deine grüne Partei mit dieser CDU zusammen?

Pfuderer: Es war nicht der große Teil der CDU, der die Demo für alle mit zu verantworten hatte, der Evangelische Arbeitskreis ist eine kleine Clique. Von der Jungen Union waren es auch nur einzelne Kreisverbände, die sich angeschlossen haben, die sich damit auch keinen Gefallen getan haben. Denn wenn man sich das anguckt: Das sind die Verbände, aus denen die CDU-Landtagsabgeordneten bei der Landtagswahl ihr Mandat verloren haben, weil die, die rechts außen wollten, AfD gewählt haben und die Bürgerlichen haben dann grün gewählt. Außerdem wurden die rechtskonservativen aus der CDU bei den Koalitionsverhandlungen doch ziemlich ausgeblendet, zumindest was den Bereich der Gesellschaftspolitik angeht. In der neuen Regierung tragen diese Menschen keine Verantwortung.

Albrecht: Du bist Gemeinderätin in Deiner Kirchengemeinde, das heißt, Du kennst die württembergische Landeskirche ganz gut. Wie erlebst Du und wie erleben andere LSBTTIQ-Mitglieder ihre württembergische Landeskirche in den letzten Jahren?

Pfuderer: Ich bin einerseits immer wieder erstaunt, was auch bei uns in der württembergischen Landeskirche geht, wenn die richtigen Leute mit dem richtigen Herz gemeinsam arbeiten. Anderseits bin ich schockiert, was alles blockiert werden kann. Ein Beispiel für das was geht ist die Initiative Regenbogen, wo sich jetzt knapp unter 20 Gemeinden zusammengeschlossen haben. Meine eigene Gemeinde, die Leonhardsgemeinde in Stuttgart ist natürlich dabei. Diese Gemeinden haben bei der Sommersynode eine Erklärung an den Landesbischof July und die Landessynode übergeben, in der steht, dass diese Kirchengemeinden eine lesbische Pfarrerin mit ihrer Partnerin und einen schwulen Pfarrer mit seinem Partner im Pfarrhaus willkommen heißen, dass diese Gemeinden ganz selbstverständlich Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare durchführen und ein Klima der Offenheit gegenüber allen geschlechtlichen Identitäten und Orientierungen pflegen.

Albrecht: Das klingt nach einer Konfrontation mit der Kirchenleitung.

Pfuderer: Ich gehe davon aus, dass es das ist. Allerdings wurde in der Berichterstattung über die Sommersynode der württembergischen Landeskirche ziemlich tot geschwiegen, dass der Bischof und die Synodenpräsidentin, die Frau Scheider, diese Erklärung der Initiative Regenbogen offiziell entgegen genommen haben.

Albrecht: Wie erklärst Du Dir dieses "Totschweigen"?

Pfuderer: Bei Frau Schneider ist es mir klar, ihr Hintergrund, die Lebendige Gemeinde ist das, was man in der Politik eher das rechte Spektrum nennen würde. Ich empfinde sie auch einfach als intolerant gegenüber allem, was nicht stockhetero ist. Und bei dem Landesbischof Dr. Frank Otfried July, bei dem ist es mir nicht ganz so klar, es mag mit seiner Rolle im Lutherischen Weltbund zu tun haben. Er will die schwarzafrikanischen Geschwisterkirchen nicht in Konflikt bringen und bringt damit den Konflikt in seine eigene Kirche. Ich denke, der Landesbischof wäre, wenn man ihn rein privat fragt, für LSBTTIQ-Rechte in der Kirche offen, so habe ich ihn ja auch schon erlebt, aber er traut sich nicht in der Kirchenpolitik die Stimme für uns zu erheben.

Albrecht: Du hast gesagt, Du bist von den Dingen, die in der württembergischen Landeskirche im Bezug auf LSBTTIQ-Rechte blockiert werden schockiert. Was sind das für konkrete Dinge, die Dich da schockieren?

Pfuderer: Mich hat es letztes Jahr in der Sommersynode 2015 furchtbar geärgert, als die Offene Kirche beantragt hat, über das Thema Segnung Eingetragener Lebenspartnerschaften in unserer Landeskirche zu reden und die Synodenpräsidentin Frau Schneider das Thema einfach Kraft ihres Amtes ohne Begründung abgesetzt hat. Sie hat ihre Allmacht benutzt, um dieses Thema nicht zu behandeln. Uns totzuschweigen. Uns als LSBTTIQs zu versuchen unsichtbar zu machen in der Kirche. Ich hatte auf dem Heimweg von dieser Synodensitzung wirklich Mühe, nicht einen Umweg am Standesamt vorbeizumachen und auszutreten.

Albrecht: Es gibt momentan eine Online-Petition, die die Öffnung der Trauungsgottesdienste für lesbische und schwule Paare in der württembergischen Landeskirche fordert. Was denkst Du über diese Petition und wie schätzt Du ihre Chancen ein?

Pfuderer: Ich finde sie richtig gut! Sie muss nun beworben werden. Die lesbisch-schwulen Pfarrer_innen, die bei der CSD-Demo in Stuttgart mitgelaufen sind, haben beispielweise Werbung dafür gemacht. Was die Chancen angeht, so ist es sicher, dass die Trauagende der württembergischen Landeskirche noch in dieser Amtszeit der Synode überarbeitet wird. Ich frage mich diesbezüglich, wie mir die Landeskirche in diesem Prozess erklären will, dass sie ja die Eingetragene Lebenspartnerschaft als Parallelkonstrukt zur Ehe in ihrem Dienstrecht anerkennt und in der Seelsorge, wenn schon keine komplette Öffnung der Trauung, dann aber nicht zumindest irgendein Parallelkonstrukt zur Ehe ermöglicht. Mit einem offiziellen Gottesdienst mit Glockengeläut und so weiter wäre uns ja auch schon geholfen. Spannend wird es – da habe ich unseren Stuttgarter Stadtdekan neulich schon in einer Diskussion in die Bedrängnis gebracht – wenn jetzt ein württembergisches homosexuelles Paar, sich in Baden trauen lässt, ist die württembergische Landeskirche laut EKD-Statuten verpflichtet, diese Trauung in das Kirchenbuch einzutragen und anzuerkennen.

Albrecht: Wie ist die Öffnung der Trauung für lesbische und schwule Paare in der Badischen Landeskirche überhaupt bei Euch in der Nachbarinnenkirche in Württemberg aufgenommen worden?

Pfuderer: Ich habe es mit Freude aufgenommen und denke mit gewisser Schadenfreude an die Erklärungsnot, in die der badische Beschluss die ein oder andere Person hier bei uns in Württemberg bringt, zu allererst an den Landesbischof July.

Albrecht: Du hast gesagt, Deine Gemeinde ist Mitglied der Initiative Regenbogen, wie war die Diskussion in Eurem Kirchengemeinderat, als es darum ging, den Beschluss zu fassen, sich dieser Initiative anzuschließen?

Pfuderer: Dank ausreichender Vorgespräche ging es eigentlich sehr schnell durch. Es gab eine Bedenkenträgerin, aber diese wurde nach einer längeren Diskussion schlicht überstimmt. Wir hatten ein Ergebnis sieben oder acht, das weiß ich nicht mehr ganz genau, zu eins.

Albrecht: Welches Vorgehen würdest Du Menschen aus der Württembergischen Landeskirche raten, die möchten, dass sich ihre Gemeinden auch der Initiative Regenbogen anschließt?

Pfuderer: Hier in Württemberg haben wir die Institution der Prälaturbeauftragten, einen für LSBTTIQs in jeder Prälatur, mit denen würde ich zunächst Kontakt aufnehmen. Dann könnte die oder der Prälaturbeauftragte auch flankierend in die Gemeinderatssitzung kommen, wenn über den Beitritt zur Initiative Regenbogen beraten wird. Außerdem sind im Vorfeld persönliche Gespräche mit den verschiedenen Beteiligten im kleineren Rahmen sehr wichtig. Und als LSBTTIQ durch Präsenz in der Kirchengemeinde, so wie ich es gemacht habe, ob bei Gemeindefest am Grill oder bei einer Lesung, zeigen, ich gehöre als lesbische Transfrau zum Gemeindeleben dazu, diese Offenheit ergibt viele Chancen.

Albrecht: Wie wirkt es sich konkret im Leben einer Gemeinde aus, wenn sie Mitglied der Initiative Regenbogen, also eine Regenbogen-Gemeinde ist?

Pfuderer: In meiner Gemeinde haben wir beispielsweise gerade eine Pfarrstellenbesetzung und da haben wir den Begriff in unsere Stellenausschreibung geschrieben, so dass das Wort Regebogengemeinde zum ersten Mal in einer offiziellen Stellenausschreibung zu lesen war. Damit haben wir Tatsachen geschaffen. In dem Text steht außerdem, dass es für uns selbstverständlich ist, dass Pfarrer_innen mir ihren gleichgeschlechtlichen Partner_innen ins Pfarrhaus ziehen können, dass wir lesbische und schwule Paare segnen, dass wir insgesamt eine Gemeinde der Vielfalt sind, die den CSD- Gottesdienst und AIDS-Hilfegottesdienste zu Gast hat und so weiter. Die Ansage an mögliche Bewerber_innen ist: Vielfalt ist unser Gemeindeprofil und wenn Du damit nicht zurechtkommst, brauchst Du Dich gar nicht zu bewerben. Das war kein leichter Weg, diese Stellenausschreibung gegen den noch amtierenden Stuttgarter Prälaten Ulrich Mack, einen prominenten Vertreter der Lebendigen Gemeinde, so durchzusetzen.

Albrecht: Gibt es ein Anliegen, dass Dir wichtig ist und für das die Leser_innen unseres Blogs beten sollen?

Pfuderer: Mein großes Anliegen ist, dass ich irgendwann mal, wenn es mich auch von Stuttgart in eine andere Stadt verschlagen sollte, so wie ich bin, ob mit Partnerin oder solo, in jeder evangelischen Gemeinde in Deutschland ganz normal zur Gemeinde gehören kann.

 

Maike Pfuderer (50) lebt in Stuttgart, ist ledig und als freie Sozialberaterin tätig. Sie ist Mitglied im Bezirksbeirat Stuttgart-Mitte, Kirchengemeinderätin, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Queer-Grün Baden-Württemberg und engagiert im Landesnetzwerk LSBTTIQ- Baden-Württemberg sowie im Bündnis Kirche und Homosexualität (BKH).

 

* LSBTTIQ= Lesben, Schwule, Biesexuelle, Transidente, Transgender, Intersexuelle, Queere Menschen