Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 27: Sind wir drin?
Wie gestalten wir die digitale Gesellschaft mit? Das fragt sich die evangelische Jugend - angesichts der Vorratsdatenspeicherung zur richtigen Zeit.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

sind wir da schon drin, oder was? Das fragt sich gerade die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend (aej), in der sich die evangelischen Jugendverbände zusammengeschlossen haben. Beim Netzpolitischen Kongress der aej in Berlin, unterstützt von evangelisch.de, sprechen rund 60 Teilnehmer darüber, was das Leben in der digitalen Gesellschaft ausmacht und wie wir sie gestalten wollen.

Direkt nach dem Beschluss der Vorratsdatenspeicherung kommt die Diskussion in der Kirche zur rechten Zeit. "Kirche hat etwas zu sagen dabei, das Netz menschenfreundlich zu gestalten", hat Ulf Buermeyer bei der Podiumsdiskussion zum Start gesagt. Buermeyer ist Richter am Landgericht Berlin, Mitglied im Chaos Computer Club und eine kundige Stimme für Rechtsfragen im Bereich Informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Recht auf Vergessen.

Ist das nicht eigentlich ohnehin Aufgabe der Politik, das Wohl der Menschen im Blick zu halten? Im Prinzip ja, aber gerade die Vorratsdatenspeicherung zeigt ganz gut, dass das nicht so richtig funktioniert, wenn andere Interessen sich ebenfalls zu Wort melden. Ob die #VDS überhaupt zur Kriminalitätsbekämpfung geeignet ist, ist offen - die Polizei jedenfalls freut sich drüber. Im Sinne einer menschenfreundlichen Gestaltung des Internets ist diese anlasslose Massenüberwachung allerdings ein Skandal. Behörden können aus den Daten, die mit der VDS über jeden Bürger erstellt werden, ein lückenloses Bewegungs- und Kommunikationsprofil einfach abrufen. Absurd wird es dann, wenn Politiker_innen über die Datensammelwut von Facebook etc. wettern, aber dann für die Vorratsdatenspeicherung abstimmen, gegen die sich ein einzelner Nutzer noch viel weniger wehren kann als gegen die Profilierung durch soziale Netzwerke. Auch dafür bot der Kongress der aej ein Beispiel, denn auf dem Podium saßen auch die Bundestagsabgeordneten Christina Schwarzer (CDU) und Konstantin von Notz (Grüne). Schwarzer riet von der Facebook-Nutzung eher ab und gab zu bedenken, wir ließen uns "von Firmen treiben", hatte aber am Freitag für die VDS gestimmt. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, zeigte sich ähnlich kritisch und forderte vor allem mehr Transparenz von sozialen Netzwerken über die eingesammelten Informationen - und stimmte gegen die VDS.

Als Wähler und Nutzer sind wir bei solchen Entscheidungen auf unsere Parlamentarier angewiesen. Privat können wir aber Seiten wie startpage.com oder DuckDuckGo für das anonyme Googlen nutzen, wir können entscheiden, welche Informationen (und Bilder) wir Facebook etc. überhaupt überlassen wollen, wir können bewusst Daten verzerren (beispielsweise durch falsche Namen) und E-Mails verschlüsseln. Wir können uns aber nicht gegen die staatliche Sammlung unserer Verbindungsdaten wehren.

Es gibt allerdings schon Ankündigungen von Klagen, die das Gesetz wieder kippen wollen - kein Wunder, denn der erste Versuch, die VDS einzuführen, wurde schon vom Europäischen Gerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das auch beim zweiten Mal so sein wird.

Zum Thema Vorratsdatenspeicherung und warum die Große Koalition sie trotz aller Widersprüche beschließen wollte, empfehle ich noch die Überlegungen von Sascha Lobo. Er sieht den Grund in einem "radikalrationalistischen Datenhunger". Mir erscheint es plausibel, dass die Vorstellung, man könne heutzutage alles berechnen, den Blick für die unberechenbare Menschlichkeit hinter den Zahlen verschleiert. Als Christen kennen wir das, mit Unschärfen, Ungewissheiten und Zweifel zu leben, denn Gott lässt sich nicht per Computer durchrechnen. Diese Gelassenheit wünsche ich auch unseren Parlamentariern (und ihren Wählern natürlich auch).

Ich werde auf dem Kongress auch noch einen Vortrag halten, der unter dem Titel "Das digitale Erbe der Reformation" steht. Ich suche darin nach den Verbindungen zwischen reformatorischen Lehren und heutiger Netzpolitik - den Vortrag "Das digitale Erbe der Reformation" finden Sie hier auf evangelisch.de.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gutes Wochenende!


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