Für evangelische Pfarrer*innen gilt im Regelfall noch immer die so genannte Residenzpflicht, auch wenn diese Verpflichtung, in der Gemeinde und/oder nahe der Kirche zu wohnen, in manchen Landeskirchen in Einzelfällen aufgeweicht wird.
Sollte es aber auch eine Pflicht geben, dass Pfarrer*innen in einem oder mehreren Social-Media-Kanälen präsent sind? Diese Frage habe ich der Vollversammlung des Studierendenrates Evangelische Theologie https://interseth.de/ in Münster gestellt. Ich durfte dort über Digitalisierung, Disintermediation und #DigitaleKirche sprechen und habe dabei auch gefragt, welche Gedanken die Student*innen zu einer Social-Media-Residenzpflicht hatten. Dies ist die Zusammenfassung ihrer Rückmeldungen und der Fragen, die sich dabei ergaben.
Grundsätzlich kam die Rückfrage, ob die Übertragung der Wohnpflicht nicht eigentlich nur die Übertragung des Parochie-Gedankens ins Internet sei, obwohl eine digitale Kirche die Grenzen der Parochie außer Kraft setzen müsste. Dazu passte die Überlegung, ob es nicht reiche, wenn wirklich gute, engagierte Pfarrer*innen die digitalen Kanäle besetzen und alle anderen in den Gemeinden vor Ort sich darauf beziehen könnten.
Denn weil das Netz die Grenzen der Ortsgemeinde sprengt, bestünde das Risiko, dass die Netzaktivitäten von Pfarrer*innen vor Ort von der Gemeindearbeit wegführen, wenn das Publikum weit über die Ortsgemeinde hinaus den Beiträgen folgt. Auch die Frage nach einer ungewollten Konkurrenz-Situation beschäftigte die Student*innen: Würden Pfarrer*innen dann um die meisten Likes und Kommentare wetteifern und wäre das eigentlich gewollt? (Passend dazu experimentiert Instagram übrigens gerade damit, die Menge der Likes an Posts nicht mehr anzuzeigen.) Welche Kanäle, ob mehr als einen und wie viel zusätzlich Arbeit das tatsächlich ist, die man nicht mal eben nebenbei mitmachen kann, sind ebenfalls wichtige Fragen.
Außerdem solle man die Kirchenrepräsentanten, die sich online und öffentlich zeigen, nicht mit den Folgen allein lassen. Wenn es mal zu Shitstorms und Angriffen kommt, gerade weil gleichzeitig das Pfarrhaus als Adresse sowieso in Minuten zu finden ist, seien Pfarrer*innen besonders angreifbar. Eine Social-Media-Pflicht müsse mit entsprechenden Überlegungen einhergehen, wie der Mensch hinter dem Account sinnvoll geschützt werden könnte.
Zu bedenken wäre auch die Frage, ob solche dienstlichen Accounts sogar gar nicht öffentlich sein müssten, sondern nur freigeschalteten Followern angezeigt würden, was auf den gängigen Plattform ja auch geht. Zu guter Letzt wird #DigitaleKirche auf keinen Fall nur von Pfarrpersonen mit Leben gefüllt, so dass sich diese Frage beinahe erübrigen könnte, wenn man diese Gestalt von Kirche und den damit einhergehenden, unvermeidlichen Kontrollverlust zulässt.
Wer weiter darüber nachdenken und diskutieren möchte, ob Pfarrerinnen und Pfarrer als Teil ihres öffentlichen Amtes zu Social Media verpflichtet werden könnten, muss den angehenden Amtsträgern auf diese Fragen und Überlegungen Antworten anbieten – sonst käme man mit der Idee kaum weiter.
Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!