Das Problem mit Social-Media-Sperren
Sri Lanka stellt nach den Anschlägen dan Zugang zu Social Media ab – sollte man das gutheißen? Nein. Aber es steckt mehr dahinter.

Nach den grauenhaften Anschlägen auf Kirchen und Hotels am Ostersonntag in Sri Lanka hat die Regierung den Zugang zu Social-Media-Plattformen in dem Land abgestellt, weil "false news reports" dort kursierten. Genauer hat es die Regierung in ihrer Ankündigung nicht formuliert. Am Tag der Angriffe, dem 21. April, wurden die Zugänge blockiert, am 26. April sollten sie voraussichtlich wieder aufgehoben werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen seien. Aber das hat sich Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena nun offenbar anders überlegt. Die Blockade bleibt erstmal bestehen. Wer "false alarms" verbreitet, soll auf der Basis des ausgerufenen Notstandes verhaftet werden.

Ist es eine gute Idee, anlässlich eines mörderischen Angriffes den Zugang zu sozialen Medien abzuschalten?

Ja, meint Kara Swisher, einflussreiche Silicon-Valley-Reporterin und New-York-Times-Kolumnistin. In ihrer Kolumne schreibt sie, Facebook, Twitter und YouTube seien zwar nicht aus unserer Welt wegzudenken. Dieser Wunsch sei unmöglich zu erfüllen. Aber das Grundproblem, dass es Menschen gibt, die absichtlich bösartig handeln, wird durch die Plattformen fast ungefiltert verstärkt: "Namely, social media has blown the lids off controls that have kept society in check. These platforms give voice to everyone, but some of those voices are false or, worse, malevolent, and the companies continue to struggle with how to deal with them."

Nein, meint Meera Selva, Director des Journalism Fellowship Programme am Reuters-Institut für Journalismus der Universität Oxford. In Sri Lanka seien die sozialen Medien ein wichtiger Wegweiser, die stark getrennten Bevölkerungsgruppen dort in Kontakt miteinander zu bringen. Im Oktober 2018 war Twitter der einzige Weg für Journalisten außerhalb der Staatsmedien, live über den politischen Streit zwischen Präsident und Premierminister zu berichten. Soziale Medien zu blockieren sorgt dafür, dass es keine verlässlichen Informationen und damit auch keine freie, demokratische Meinungsbildung gibt: "By shutting down social media, leaving its citizens reliant on state messaging and a weak and beaten down form of journalism, the government now risks preventing Sri Lankans from finding out the truth about what is happening in their fragile and delicately balanced country."

Ein zutiefst menschliches Problem, kein technisches

Tatsächlich ist der Blick aus westlichen Gesellschaften mit einem hohen Grad an Pressefreiheit auf solche Ereignisse ein anderer als in Sri Lanka, das auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" 2018 auf Platz 131 von 180 landete. Die USA waren dort #45, Deutschland #15, Norwegen #1.

Eine unabhängige Medienlandschaft kann dann existieren, wenn die Mittel zur Produktion von Print, Radio und Fernsehen so verteilt sind, dass nicht-staatliche Akteure vergleichbare Möglichkeiten haben wie staatliche Sender. Das Internet hat diese Ungleichheit zunächst grundsätzlich beseitigt; im Netz haben alle Sender und Empfänger prinzpiell die gleichen Möglichkeiten, weil die Verbreitungswege nicht wie Radio- & Fernsehfrequenzen beschränkt oder wie Druckerpressen schwer verfügbar sind.

Das Internet lässt sich in diesem Sinne als Teil der öffentlichen Infrastruktur betrachten. Und wir in den (noch) gefestigten Demokratien Mitteleuropas betrachten es immer sehr kritisch, wenn eine Regierung ihren Bürgern einen Teil der öffentlichen Infrastruktur vorenthält. Wenn eine Regierung beispielsweise unliebsamen Vierteln den Strom abstellt, weil sie demonstrieren gehen, gäbe es zurecht scharfe Kritik daran.

Warum soll das mit Facebook und Twitter anders sein? Anders als das Stromnetz werden sie von gewissenlosen Akteuren regelmäßig zur absichtlichen Fehlinformation verwendet. Manchmal von Regierungen im eigenen Land (Myanmar), manchmal von Regierungen für fremde Länder (Russland), manchmal von Einzelnen mit einer eigenen Agenda (Nazis und Nationalisten). Das ist ein Problem, aber vor allem ein zutiefst menschliches und kein technisches.

Ein falscher Eindruck von der Gegenwart ist schnell erzeugt

Schon vor Facebook und Twitter konnten einzelne Menschen ohne Verlagsorganisation über das Internet ihre eigenen Gatekeeper sein. Mail Blogs, Foren sind älter als Facebook (2004), Reddit (2005) und Twitter (2006). Die Social-Plattformen machen es bloß viel einfacher und viel öffentlicher. Sie werden damit selbst zu gigantischen Gatekeepern – eine Rolle, mit der sie sich bekanntermaßen schwer tun. Aktuell ist es Twitter, die damit besonders auffallen. Denn den IS konnte die Plattform fast komplett verbannen, aber Nationalisten, die die Überlegenheit von Weißen progagieren ("white supremacy"), nicht – sie würden dann nämlich auch US-Republikaner automatisch mit verbannen, und das wollen die Verantwortlichen bei Twitter offenbar nicht. Auch das ist Gatekeeping, nur eben durch das Zulassen von bestimmten Inhalten statt durch das Einschränken.

Sollte also doch lieber eine gewählte Regierung darüber bestimmen, was zulässig ist und was nicht? In Deutschland ist das schon der Fall - Twitter beispielsweise hält sich ans geltende Recht, verfassungsfeindliche Symbole nicht zeigen zu dürfen.

Was Sri Lanka nun offenbar vorhat, nämlich das Verbreiten von Falschinformationen unter Strafe zu stellen, steht in einer Reihe mit den Forderungen nach den Angriffen von Christchurch in Neuseeland. Irgendwie möchten Politiker dafür sorgen, dass die negativen Effekte der Verbreitung von Hass abgeschwächt werden. In eher autoritären Regierungen dann auch gerne mit dem Nebeneffekt, selbst definieren zu dürfen, was Falschinformationen sind.

Da wird es dann kritisch. Denn die gleichen Mittel, die gegen Hass und Lügen eingesetzt werden, können auch Widerstand und Dissens unterdrücken.

Es hilft aber auch nicht, mit den gleichen Mitteln wie die Lügner und Propagandisten zu arbeiten – mit Memes, Videos, Rekontextualisierung und Lügen – denn dann weiß niemand mehr, was glaubwürdig ist und was nicht. Eine Methode, derer sich Fox News und Breitbart ebenso bedienen wie die Achse des Guten, Tichys Einblick und die AfD: seriös aussehen, aber immer wieder auf der falschen Seite der Wahrheit zündeln. Dazu braucht es nicht einmal der expliziten Lüge. Es reicht schon, einen Artikel über die Flüchtlings-Lage von 2015 ohne Kommentar heute neu zu verbreiten, wie es der AfD-Ortsverband Senftenberg getan hat. Solche Informationen aus dem ursprünglichen zeitlichen Kontext zu reißen macht es leicht, einen falschen Eindruck der Gegenwart zu erzeugen.

Persönliche und politische Veranwortung

Was also tun? Erstens sollten Regierungen nicht pauschal den Zugang zu Informationen und Informationsplattformen verbieten. Das sollte als grundsätzliche Regel gelten. Wenn sie bestimmte Informationen innerhalb ihres Einflussgebiets nicht zulassen wollen, müssen sie die konkret benennen und einen klaren Grund angeben, der für alle Bürger*innen und Nutzer*innen sichtbar und nachvollziehbar ist – wie in Deutschland bei Hakenkreuz und Hitlergruß.

Zweitens müssen die Plattformen Farbe bekennen. Wenn eine Anforderung einer Regierung kommt, müssen sie bewerten, ob eine solche Anforderung der Demokratie und Freiheit dient oder nicht. Das kann manchmal bedeuten, dass sie sich gegen einen Regierungsbeschluss stellen. Es kann auch heißen, dass sie in bestimmten Gesellschaften gar keine Plattform anbieten. (Google diskutiert derzeit intensiv, ob und wie sie wieder in China aktiv werden wollen und die Zensur-Vorgaben der Regierung aushalten können oder nicht.) Es kann auch heißen, dass sie einer Anforderung direkt entsprechen.

In jedem Fall heißt das aber, dass sie eine bewusste Entscheidung treffen, wann und welche Inhalte sie zulassen oder nicht. Vor dieser Entscheidung drücken sich Facebook, Twitter, YouTube, Reddit und so weiter gern, sobald es sich nicht mehr um kleine Drittwelt-Staaten handelt, die in den USA niemanden interessieren. Nach Myanma, Christchurch und Sri Lanka wird es so nicht weitergehen – der politische Druck steigt.

Natürlich wären Social-Media-Plattformen ein besserer Ort, wenn alle Nutzer*innen sich an zwei Gebote halten würden: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und du sollst nicht lügen! So sind die Menschen aber leider nicht. Zugänge pauschal zu sperren halte ich trotzdem für falsch. Aber zu einem besseren Ort sollten wir sie trotzdem wieder machen. Da gibt es noch viel zu tun – die Freiheit zu erhalten, braucht ganz viel Verantwortung, von Nutzer*innen, Regierungen und Plattformen zugleich.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!