Der Rave ist sein "sonntäglicher Gottesdienst", das "Berghain" und andere Techno-Clubs der Hauptstadt sind für ihn "Kathedralen der Lebensfreude": Günther Krabbenhöft hat als "Hipster-Opa" und "Stil-Ikone" Bekanntheit weit über Berlin hinaus erlangt. Während viel von Überalterung der Gesellschaft und Problemen in der Pflege die Rede ist, scheint der 77-Jährige dem Alter ein Schnippchen zu schlagen.
Angefangen hat alles vor acht Jahren in einer Berliner U-Bahn. Ein schottischer Tourist fotografierte den stylischen älteren Herren und stellte das Foto von dem vermeintlich 105-Jährigen ins Netz, wo es sich lawinenartig verbreitete: "So ist ein Hype entstanden."
Später sprachen ihn zwei Mädchen an und luden ihn ein, sie zu einer Party zu begleiten. Er stimmte spontan zu und sagte seine Essensverabredung für den Abend ab. "Das war eine Offenbarung", sagt Krabbenhöft heute über diesen Tanzabend. Er habe acht Stunden lang geravt und sich "die Seele aus dem Leib getanzt". Noch immer fühle er sich beim Techno-Tanzen ein Mal die Woche "leicht und schwerelos".
Dass er dort keine Menschen in seinem Alter trifft, stört ihn nicht: "Wenn ich irgendwo hinkomme, bin ich immer der Älteste." Inzwischen hat Krabbenhöft ein Buch mit dem programmatischen Titel "Sei einfach Du. Zum Jungsein bist du nie zu alt" veröffentlicht, bei Instagram folgen ihm 168.000 Leute.
Sein Stilbewusstsein hat den Ruf des "Hipster-Opas" begründet. An diesem Tag erscheint er am Engelbecken im Stadtteil Kreuzberg mit enger Jeans, weißem Hemd und hohen Schnürschuhen. Dazu trägt er ein blaues Samtsakko samt Einstecktuch, braune Lederhandschuhe, einen passenden blauen Schal, eine blaugerandete Brille, einen leuchtend blauen breitkrempigen Hut auf dem Kopf und eine braune Umhänge-Ledertasche. Alles ist aufeinander abgestimmt und wirkt wie aus dem Modekatalog.
Passanten bleiben stehen, staunen und lächeln. Krabbenhöft selbst bekommt den Rummel um seine Person in den sozialen Netzwerken oft gar nicht so mit, wie er sagt. Wenn Andere ihn darauf ansprechen, was alles über ihn im Internet zu finden ist, werde ihm das erst immer richtig bewusst: "Was da im Laufe der Jahre zusammengekommen ist, da staune ich!" Immerhin auf Instagram ist der 77-Jährige sehr aktiv: Man sieht ihn dort tanzen und er macht sich Gedanken über die Welt und seine Mitmenschen.
Tipp vom Hipster-Opa: authentisch bleiben
Bei allem authentisch zu bleiben, ist sein Rat an Andere. Oberflächlich wirkt der "Hipster-Opa" keinesfalls, wenn er sich etwa bei der täglichen U-Bahnnutzung Gedanken über soziale Probleme in der Stadt macht oder sich über Müll und Gekritzel in den Straßen die Stirn runzelt: "Manchmal laufe ich an unserem Haus vorbei und erkenne es nicht, weil es schon wieder eine andere Farbe hat." Dabei stören ihn die Schmierereien Jugendlicher: "Die wären wahrscheinlich zu Hause rausgeflogen, wenn sie die Schrankwand beschmiert hätten."
Günther Krabbenhöft wurde im Juli 1945 im Niedersächsischen geboren, da war der Weltkrieg gerade zwei Monate vorbei. Seine Brüder wurden noch getauft, bei ihm sei das wohl vergessen worden. Aber in Gotteshäusern sei er zur Ruhe gekommen, erinnert sich der 77-Jährige an seine Jugend: "Wenn mir der Kopf rauchte, habe ich gern in Kirchen verweilt."
Ein anderes Halleluja
Krabbenhöft ist als junger Mensch wie so viele ein Suchender, fragt sich nach seinem Platz im Leben, heiratet, hat sein Coming-Out, nach der Trennung entscheidet sich die Tochter beim Vater zu bleiben. 1968 kommt er in das geteilte Berlin. Viele Jahre habe er sich selbst nach dem richtigen Platz im Leben gefragt. Bis zu dem Günther Krabbenhöft von heute sei es ein langer Weg gewesen, sagt er rückblickend - heute, "mit flotten 77 Jahren, gefühlt die Hälfte".
Seit 37 Jahren lebt Günther Krabbenhöft nun in Berlin-Kreuzberg. Den Fall der Mauer empfindet er bis heute als "irre Erfahrung". Ausflüge nach Ostberlin hat er schon weit vor dem Mauerfall unternommen, auch ohne Verwandtschaft dort zu haben: "Ich fand es schön, durch die Straßen dort zu streifen", immer habe er Leute kennengelernt. Nachholbedarf an Informationen über den Osten habe er nach 1989 nicht gehabt.
Sein wichtigstes Anliegen heute ist die Lebensfreude, das Tanzen ist für ihn "ein anderes Halleluja". Das setze wie in einem Gottesdienst ungeahnte Kräfte frei und mache, "dass man erfüllt ist, zusammen mit Anderen". Aber er liebt es auch, zu kochen, essen zu gehen oder sich mit Freunden zu treffen. Als "typischen Opa", der auf die Enkel wartet, empfindet er sich indes nicht. Und er ist sich sicher: "Glücklich sein kann man nur, wenn man seine Endlichkeit begreift." Es gelte, das Leben zu feiern und dankbar zu sein für jeden Tag.