Andreas' Depressionen haben kurz vor dem Tod seiner Tochter angefangen. Seitdem fühle es sich so an, als sei er in einer Glasglocke, berichtet er: "Mit einem Bein ist man dabei und macht das meiste mit, aber im Inneren fühlt man sich abgetrennt." Seine Depression gilt als behandlungsresistent.
Das heißt, herkömmliche Behandlungen mit Antidepressiva konnten ihm gar nicht oder nur sehr wenig helfen. "Deswegen war die Entdeckung dieser Studie so eine Art Rettungsanker", erzählt er. Andreas ist einer von 144 Probanden der bislang größten Studie in Deutschland, mithilfe von halluzinogen Pilzen den Depressionen zu entkommen oder sie zumindest einzudämmen und wieder ein normaleres Leben führen zu können.
Finanziert vom Bund, wird unter Leitung des Neurologen Gerhard Gründer am Mannheimer Institut für Seelische Gesundheit und der Ärztin Andrea Jungaberle an der Berliner Charité bei den Patientinnen und Patienten ein neuer Therapieansatz ausprobiert. Alle Probanden haben zumeist schon viele Jahre herkömmliche Psychopharmaka genommen, ohne dass sich ihr depressiver Zustand grundlegend gebessert hat.
Die sogenannten Magic Mushrooms enthalten Psilocybin, eine psychoaktive Komponente, die einen psychedelischen Rausch mit visuellen Halluzinationen bewirkt. Jungaberle bezeichnet diese als "Türöffner" zu tief sitzenden Traumata. Im Rahmen der Studie wird den Probanden in mehreren Sitzungen Psilocybin verabreicht, mal hoch dosiert, mal schwach dosiert oder als Placebo.
"Psychedelika sorgen dafür, dass verkrustete, alte, eingefahrene Muster aufgebrochen werden", sagt die Ärztin, die in ihrer Berliner Praxis bereits seit Jahren mit dem ebenfalls halluzinogen Narkosemittel Ketamin arbeitet: "Es werden neue neuronale Verbindungen aufgebaut und diese Lernerfahrungen im Hirn verankert." Dadurch könnten die Dinge von den Patienten neu gesehen werden.
Die Ärztin vergleicht das mit einer Schneekugel, die durch Schütteln aufgewirbelt wird. In der Folge ordnen sich die Schwebeteilchen neu. Ähnliches passiere im Hirn nach der Einnahme der Pilze durch das Psilocybin.
"Die Drogen wirken auf der neuropharmakologischen Ebene und machen im Hirn etwas anders", sagt sie: "Daten werden anders verarbeitet, Strukturen anders herausgebildet." Gleichzeitig komme es zu neuen Erfahrungen, die das Gewohnte übersteigen. Die Patienten erlebten in der Rauschphase etwas Sinnhaftes außerhalb ihrer selbst: "Sie finden einen Sinn, wo sie vorher keinen gesehen haben."
Bei vielen depressiven Menschen seien die negativen Dinge gesetzt, das Gefühl der Hoffnungslosigkeit dominiere das Leben, sagt Jungaberle. "Der Himmel ist immer grau, Menschen sind immer gemein zu mir, ich bekomme eh nichts hin. Das ist das, was steht." Positive Erfahrungen wie "Hey, der hat mich angelächelt" oder "heute scheint die Sonne" würden viel weniger wahrgenommen: "Es geht um das Bestätigen einer negativen Spirale."
Der Ansatz klassischer pharmakologischer Antidepressiva sei, diesen Mangel im Hirn zu beheben. "Im Hirn fehlt etwas, das muss repariert werden", sagt die Ärztin. Die Drogen sollen dagegen den Blickwinkel auf das Vorhandene verändern, weg vom "Ich-kann-es-eh-nicht-ändern".
Beobachtung während des Rausches
Auch Proband Andreas spürt nach mehreren Sessions bei sich positive Veränderungen. "Die Intensität an Angst vor dem Leben, vor der Depression, vor der Zukunft ist von 100 auf 20 heruntergegangen", berichtet er. Wenn man diesen Schlüssel in der Hand habe, dann öffne der ganz viele Türen: "Es ist viel möglich. Das ist das Entscheidende."
Die Studie läuft im dritten Jahr, die Arbeiten mit dem letzten Patienten sollen in einem Jahr abgeschlossen sein. Die Therapie ist eine Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie und geht pro Session bis zu acht Stunden. Während des Rausches werden die Patienten die ganze Zeit von den Therapeuten beobachtet. Danach werden die Erfahrungen gemeinsam aufgearbeitet.
"Das ist natürlich teuer", sagt Jungaberle. Es kommen schnell mehrere tausend Euro zusammen. Im Vergleich dazu kostet eine Standardtherapie mit klassischen Psychopharmaka 19 Cent pro Tag: "Ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir in Zukunft allen Menschen diese Therapie zur Verfügung stellen können, wenn sie sie wirklich brauchen. Und dass das in einem sozial verträglichen Rahmen von den Krankenkassen bezahlt wird."
Wie lange die Therapie wirke, sei die Gretchenfrage schlechthin, sagt Jungaberle. Bei manchen wirke sie ein halbes bis ein Jahr. Bei anderen schlage sie kaum an. Deshalb sei eine Anschlussstudie wichtig.