Obwohl die Fortsetzung damit beginnt, dass Gekko ohne Geld und ohne Verbindungen frisch entlassen vor dem Gefängnis steht, strömt ihm die typische Broker-Arroganz und Manipulationslust noch immer aus jeder Pore. Zumal Schauspieler Michael Douglas diese Figur, für die er 1988 einen Oscar gewann, mit sichtlicher Lust an der Rolle wiederbelebt.
"Gier ist gut, Gier funktioniert", predigte der zur Ikone der neoliberalen Epoche gewordene Gekko in der 87er-Version. Im neuen Film nun verdient er sich sein Geld als Bestsellerautor eines Buches, dass die Aussage infrage stellt: "Ist Gier gut?" Die Antwort, die Oliver Stone darauf geben will, versteht sich natürlich von selbst. In diesem Sinne rhetorisch wirkt leider der ganze Film "Wall Street - Money never sleeps", der am Freitag beim Festival in Cannes aufgeführt wurde.
Alte Thesen zum Fehler im "System"
Stone trägt darin sorgfältig die kursierenden kritischen Thesen zur aktuellen Finanzkrise zusammen und lässt sie von Gekko an passenden Stellen vortragen: dass nur eine Elite weiß, was sich hinter den neuen Finanzprodukten verbirgt, dass Wetten auf Kursabfall übel sind, dass Gerüchte heute mittels Twitter binnen Minuten den Niedergang von Firmen bewirken können, dass der Fehler im "System" liegt. Um diese Thesen herum gruppiert Stone in bewährter Manier eine Handvoll Figuren.
Wie 1987 schon steht Gekko ein ehrgeiziger Jüngling gegenüber, wobei Shia LaBeouf in die Fußstapfen von Charlie Sheen tritt, diesmal mit Interesse an Alternativenergien und an Gekkos entfremdeter Tochter Winnie (Carey Mulligan). Bis Vater, Tochter und Schwiegersohn endlich versöhnt sind, braucht es mehrere Vertrauensbrüche und den ganz großen Finanzkrach von Ende 2008.
Auch wenn Stone letztlich an seinem Vorhaben scheitert, Einsichten in die moderne Finanzwelt und die Hintergründe des Crashs von 2008 zu vermitteln, ist ihm trotzdem ein unterhaltsamer Film gelungen. Wobei ein großer Teil des Vergnügens von den spielerischen Referenzen auf das Vorläuferwerk herrührt: man betrachte das übergroße Handymodell, mit dem Gekko einst ins Gefängnis geschickt wurde. Und Charlie Sheen tritt noch einmal als Bud Fox in Erscheinung.
"Beleidigend für die Wahrheit und Italien"
Einen sehr viel konkreteren Einblick in die Natur des Finanzgeschäfts und korrupte Geldströme vermittelt dagegen Sabina Guzzantis Dokumentarfilm "Draquila - L'Italia trema" über die Folgen des Erdbebens von L' Aquila. Das Werk ließ schon im Vorfeld des Festivals im übertragenen Sinn die Erde beben. Einmal mehr zeigte sich dabei, dass es einem Film sehr helfen kann, wenn er vom eigenen Kulturminister, in diesem Fall Sandro Bondi, als "beleidigend für die Wahrheit und Italien" beschimpft wird. Die Aufmerksamkeit, die die Satirikerin Sabina Guzzanti in Cannes auf sich ziehen konnte, wäre ohne Bondis Kritik wohl kaum so groß gewesen.
Guzzanti hat weniger eine Dokumentation über die letztjährige Katastrophe gedreht, als vielmehr ein filmisches Pamphlet verfasst, an dessen Ausgangspunkt eine These steht: Ministerpräsident Silvio Berlusconi habe das Erdbeben ausgenützt, um seine Popularität in Italien zu steigern. Die Beobachtungen - Beweise kann man es nicht wirklich nennen -, die Guzzanti dafür zusammenträgt, besitzen einiges an Überzeugungskraft.
Die Fakten übertreffen die Fiktion
Da ist die Patriarchengeste, mit der Berlusconi dem Drittel der durchs Erdbeben obdachlos gewordenen Menschen neue Häuser übergibt, als seien es Geschenke von ihm persönlich und keine mit Steuergeldern finanzierten Bauprogramme. Da sind die Machenschaften des Zivilschutzes, der über den verbliebenen Zeltlagern ein strenges Informationsregiment errichtet hat, das unabhängige Berichterstattung unmöglich macht. Und da sind eine ganze Kette von Skandalen um aufgeblähte Rechnungen und erhöhte Preise, die die als Retter auftretenden Firmen rund um den Häuserbau und Veranstaltungen wie den G8-Gipfel verlangen.
Berlusconi - das weiß Guzzanti auf erschreckend einleuchtende Weise darzustellen - versteht sich darauf, den Staat und damit auch die Steuergelder, auf raffinierte Weise zu privatisieren, soll heißen: in die eigene Tasche und die seiner Freunde umzuleiten. Angesichts solcher Fakten erscheint Oliver Stones ehrgeiziger Filmplot über das Bankensystem als aufgeblasene, sich bloß wichtig machende Fiktion.