Die Kirchen spielen nach Überzeugung von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) eine unverzichtbare Rolle für Staat und Gesellschaft. Ohne das Engagement der Kirchen würde das soziale Zusammenleben zusammenbrechen, sagte der Minister am Donnerstagabend beim 2. Ökumenischen Kirchentag in München. Heute wird unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in München erwartet.
Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sagte am Freitagmorgen im Deutschlandradio Kultur, die Kirche werde aus dem Evangelium heraus immer zu gesellschaftlichen Debatten Stellung beziehen. Allerdings sei die Kirche keine zusätzliche Partei oder Gewerkschaft. Deshalb müssten kirchliche Äußerungen sachgerecht und der Komplexität der Probleme angemessen sein, sagte der rheinische Präses.
De Maizière sagte, bei der Bewältigung drängender Aufgaben, wie einer Klimavereinbarung, der politischen Regulierung der Finanzmärkte oder der Reaktion auf die Folgen der Überalterung, seien "kraftvolle Kirchen" notwendig. Deshalb dürften sich die Kirchen nicht darauf beschränken, "Mahner am Wegesrand" zu sein, von denen es schon unendlich viele gebe, betonte der CDU-Politiker, der dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehört. Der Rottenburger katholische Bischof Gebhard Fürst sagte, die Vorstellung der unantastbaren Menschenwürde könne niemand so stark in die Gesellschaft einbringen wie die Kirche.
Kanzlerin spricht zum Thema Hoffnung
Bundeskanzlerin Merkel wird am Freitag in München zum Thema "Hoffnung in Zeiten der Verunsicherung" sprechen. Weitere prominente Gäste aus der Bundespolitik sind unter anderen Bundestagspräsident Norbert Lammert, Forschungsministerin Annette Schavan, Umweltminister Norbert Röttgen, Innenminister Thomas de Maizière (alle CDU) und Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP).
Prominent besetzt ist auch eine Podiumsdiskussion zum Thema sexueller Missbrauch. Unter anderem werden sich Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, und die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) beteiligen. Am Donnerstagabend hatte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann (SPD), mehr Hilfen und Beratung für Opfer verlangt. Das Thema sei viel zu lange tabuisiert worden. Jetzt sei aber die Zeit gekommen, dass sich etwas ändern könne.
Die Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger verlangte bei einer Kirchentagsveranstaltung am Donnerstagabend einen neuen Straftatbestand für massive Umweltzerstörungen. Sie müssten vom Internationalen Strafgerichtshof als "Verbrechen gegen zukünftige Generationen" geahndet werden.
Käßmann für Zugang zu Verhütungsmitteln
Großen Zuspruch bei ihren Auftritten erntete die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann. Sie hat bei einem Auftritt am Donnerstagabend angesichts der stetig wachsenden Weltbevölkerung dafür plädiert, Frauen in Entwicklungsländern einen offenen Zugang zu Verhütungsmitteln zu ermöglichen. Sie wies darauf hin, dass die Weltbevölkerung laut Prognosen bis zum Jahr 2050 auf mehr als neun Milliarden Menschen anwachsen werde.
"Welche Frau will denn ein weiteres Kind gebären, von dem sie weiß, dass sie es nicht wird ernähren können?", sagte die frühere hannoversche Landesbischöfin in einer Predigt vor rund 2.000 Menschen. Zu dem ökumenischen Frauengottesdienst zum Thema "Vor uns die Sintflut?" in der völlig überfüllten Frauenkirche waren auch sehr viele Männer gekommen.
Jedes Jahr sterben laut Käßmann mehr als 300.000 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt, davon 99 Prozent in den armen Ländern des Südens. Der biblische Satz "Seid fruchtbar und mehret Euch" erscheine angesichts solcher Zahlen in einem neuen Licht. "Wer den Segen des Gebärens nicht zum Fluch werden lassen will, wird für Geburtenkontrolle eintreten", sagte die evangelische Theologin.
Angesichts der weltweiten Bevölkerungsentwicklung hob sie auch die Rolle der Anti-Baby-Pille hervor. Bei ihrer Einführung vor 50 Jahren habe sie in den Kirchen noch etwas Anrüchiges gehabt. "Wir können sie aber auch als Geschenk Gottes sehen", sagte Käßmann. Dabei gehe es um Liebe ohne Angst und um eine verantwortliche Elternschaft. Die Zuhörer nahmen ihre Predigt mit großem Beifall auf.