Ist in der Kirche alles möglich? Hans Küng ist vorsichtig bei der Beantwortung der Frage, mit der Moderator Marcus C. Leitschuh das Gespräch beginnt. "Der Satz kann ja auch negativ verstanden werden". Eine Andeutung in Richtung der Missbrauchsskandale, die vor allem die katholische Kirche gegenwärtig erschüttern. "Das System ist morsch geworden", so der 82-jährige Theologe, deshalb sei es "mal gut, dass es in die Krise gekommen ist".
Was Küng unter dem "System" der katholischen Kirche versteht, macht er in wenigen Strichen deutlich: Der Vatikan, die Hierarchie, der Papst, die Unbeweglichkeit. Die Wurzeln sieht er im 11. Jahrhundert, als es plötzlich einen absolutistisch herrschenden Bischof von Rom gegeben habe, einen "spezifischen Klerikalismus", ein verschärftes Kirchenrecht und nicht zuletzt der Zölibat, von dem in diesem Tagen wieder so viel die Rede ist. Das Eheverbot für Priester wird inzwischen selbst von gestandenen Erzbischöfen wie Ludwig Schick aus Bamberg infrage gestellt.
"Nicht immer diese traditionellen Dinge"
Küng fordert dessen Abschaffung schon lange. Richtig daran glauben mag er zwar nicht. Doch die Hoffnung an schmale Reformen im Pontifikat des deutschen Papstes Benedikt XVI. hat Joseph Ratzingers ehemaliger Professorenkollege noch nicht ganz aufgegeben. "Mir wäre es schon recht, wenn er irgendetwas täte, das den Menschen Mut gibt, und nicht immer diese traditionellen Dinge." Mut brauche der Papst, "die anstehenden Fragen zu entscheiden", anstatt sich in "Pomp und Circumstance" zu kleiden.
Der berühmte Schweizer Theologe kann sich des Beifalls im Publikum gewiss sein, wenn er aus klarem Holz geschnittene Sätze sagt wie: "So geht es nicht weiter." Es könne nicht sein, dass die Christen nicht gemeinsam Abendmahl feierten, "nur weil bestimmte Herren das nicht wollen", so Küng. Und der Zölibat verstoße "ausdrücklich gegen die Schrift", Jesus habe zwar ehelos gelebt, das aber nicht zum Gebot gemacht. Paulus wiederum schreibe im ersten Timotheusbrief den Bischöfen sogar vor, verheiratet zu sein.
Vatikanisches Programm gescheitert
Glaubt der Gründer der Stiftung "Weltethos" ernsthaft an die Wandlungsfähigkeit der katholischen Kirche, die ihm einst die Lehrerlaubnis entzog? "Wir sind in einem Paradigmenwechsel", formuliert er professoral. Benedikt XVI. sei im mittelalterlichen Paradigma verblieben, er klammere sich an das hellenisierte Christentum, das in der Reformation, der Aufklärung und vor allem der Bewegung von 1968 nur Niedergänge sehen könne. "Wir merken aber, dass diese Auffassung jetzt zum Scheitern gekommen ist." Das rückständige vatikanische Programm sei schlichtweg nicht erfolgreich gewesen.
Hellsichtig spricht der in Tübingen lehrende Theologe über die verpassten Möglichkeiten des Papstes im Umgang mit Muslimen, mit Juden, mit den Christen in Lateinamerika. "In seinem Herzen" sei Benedikt XVI. Wissenschaftler geblieben. "Er schreibt am liebsten Bücher. Dann sollte er aber nicht Papst werden." Das übrigens ist Küngs Antwort auf die Frage, ob er selbst gerne Papst geworden wäre. "Ich schreibe lieber Bücher", sagt er und zitiert den reformierten Theologen Karl Barth: "Einen Tag wäre ich gerne Papst gewesen. Dann hätte ich alles geregelt."
Freunde haben sich von der Kirche abgewandt
"Ich rede ungern über all diese Geschichten", fügt Küng etwas kokett hinzu. "Lieber über das, was Hoffnung macht." Schließlich lautet das Leitwort des 2. Ökumenischen Kirchentages in München "Damit ihr Hoffnung habt", und bei der Veranstaltung befragt Leitschuh "Hoffnungsmenschen". Hans Küng hat erlebt, wie sich Freunde von der Kirche abgewandt haben, "eine harte Sache". Er selbst will ihr treu bleiben. Warum? Er zögert einen Moment lang mit der Antwort: "Um der Menschen willen."