Meine Woche vom 10. bis 14. Mai
Montag
Schönheit und Pendeln zwei Welten, die sich selten begegnen. Nein, man wird wirklich nicht schöner durchs tägliche Bahnfahren. Meist braucht man eine Mütze am zugigen Bahnsteig, damit ist jede Art von Frisur hinüber, die morgens entweder einen Fön, einen Lockenstab oder Haarwachs gesehen hat. Das Wachs klebt an der Mütze, die Locken sind platt und statt Fönen kann man genauso gut gleich eine Mütze auf die nassen Haare setzen, das Ergebnis ist dasselbe. Überhaupt ist das Ergebnis quasi überall dasselbe, Pendlerfrauen tragen praktische Kurzhaarschnitte, Pendlermänner sowieso. Und im Businessbereich graue Mäntel, graue Anzüge und als huiuiui gewagten Farbklecks einen lilaschwarz gestreiften Schal. Die Haut trocknet aus, wenn man mehrere Stunden im klimatisierten Abteil sitzt, und die Ästhetik im Großraumwagen gewinnt auch nicht dadurch, dass weibliche Geschäftsreisende sich kurz vor Frankfurt die Hände und das Gesicht eincremen. Das ist mir alles zu intim, aber ich kann es verstehen, wenn man versucht, kurz vor Ankunft halbwegs den Zustand wiederherzustellen, den man morgens im Badezimmer angepeilt hatte.
Dienstag
Und dann gibt es diese Tage, an denen man dem ICE beweisen will, dass man trotzdem schick sein kann. Zum Beispiel habe ich mir am Wochenende eine weiße Jeans gekauft, denn am Wochenende war es warm und sonnig. Eigentlich habe ich heute morgen in Köln auf dem Weg zum Bäcker schon gemerkt, dass heute kein Weiße-Hosen-Tag ist, der Winter ist zurück. Aber man kann ja nicht immer vernünftig sein, trotzig ziehe ich meine weiße Hose an. Was ich wirklich nicht ahnen konnte: Heute ist nicht nur Winter, heute ist auch mal wieder Bahnchaos. Total überfüllter Zug, ich sitze von Köln bis Frankfurt auf dem Boden. In weißen Jeans. Und sehe für den Rest des Tages aus, als würde ich direkt aus dem Sandkasten kommen. Okay, weiße Hosen sind nichts für Pendler.
Mittwoch
Nichts für Pendler sind auch: Jacken und Mäntel mit losen Bändeln, mit denen man in automatischen Türen hängen bleibt und mit Gürteln, die beim Rennen leicht verloren gehen. Obwohl mein blauer Mantel mit losem Gürtel der materialisierte Beweis dafür ist, dass der Mensch doch des Menschen Freund ist. Dreimal habe ich den blauen Gürtel schon im Zug oder am Gleis verloren, drei mal wurde er mir nach getragen. Gar nicht gehen im Zug auch: Extrem hohe Absätze, damit kommt man nie in zwei Minuten von Gleisabschnitt A zu Gleisabschnitt E, weil der Zug mal wieder in umgekehrter Wagenreihung fährt. Aus demselben Grund verbieten sich bei Herren auch hellblaue Hemden, bei denen man die Schwitzflecken schnell sieht. Das beste wäre, man könnte atmungsaktive Outdoor-Klamotten tragen im Zug, aber es gibt in Frankfurt so wenige Arbeitsplätze, bei denen man mit Fleecepulli auftauchen kann. Frankfurt ist ja mehr Josef Ackermann als Jack Wolfskin, und die meisten Pendler fallen vom Großraumwagen direkt ins Großraumbüro, wo Anzug und Krawatte gefragt sind.
Donnerstag
Heute ist alles anders. Heute sind die Klamotten auf dem Weg dieselben wie die Klamotten am Ziel. Heute ist nämlich Kirchentag, und die meisten Bahnreisenden, die heute mit uns nach München fahren, lieben es praktisch. Tchibo-Regenjacke, Rucksack und bequeme Schuhe. Dies ist der Moment, um mit einem großen Bahnmythos aufzuräumen: Nein, liebe evangelische Jugend der Welt, Rucksäcke sind gar nicht so toll im Zug. Gar nicht toll zum Beispiel, wenn man bereits sitzt und einen Rucksack nach dem andern ins Gesicht gedonnert kriegt. Man würde jetzt gern was sagen, was Böses. Aber Kirchentage sind Wir-sind-nett-zueinander-Tage.
Freitag
Seien wir ehrlich: Heute stellt sich die Kleiderfrage nicht wirklich nach modischen Aspekten. Sondern nach Thermo-Kritierien: Wer war schlau genug, sich den Wintermantel einzupacken für den Kirchentag? Letztes Jahr in Bremen: Wir saßen abends im Sommerkleid an der Weser. Vorletztes Jahr in Köln: Wir haben bis nachts ums zwei auf meinem Balkon gesessen beim Kölsch. Dieses Jahr in München: Ob die im Hotel eine zweite Decke haben? Wir ziehen alle mitgebrachten Kleider übereinander an und hören uns gegenseitig die Namen der Eisheiligen ab. Schönen Kirchentag!
Über die Autorin:
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de.
Neu im Buchhandel: Ursula Ott: "JA TOLL - Geschichten, die immer nur mir passieren", erhältlich im chrismon-shop!
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