evangelisch.de: Vor gut zehn Jahren verständigten sich Lutheraner und Katholiken auf eine Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Ist die Zeit reif für eine Erklärung über das Abendmahl?
Wenz: Ja. In seiner berühmten Kampfschrift "De captivitate babylonica ecclesiae" von 1520 hat Luther der römischen Kirche vorgeworfen, sie halte das Altarsakrament in dreifacher Weise gefangen: durch den Kelchentzug, die Transsubstantiationstheorie und durch die Theorie und Praxis der Messe als eines Opfers. Den letzten Aspekt hat er als den schwerwiegendsten betrachtet. Viele ökumenische Theologen meinen, dass in diesen zentralen Fragen die abendmahlstheologische Kontroverse zwischen römisch-katholischer Kirche und Reformationskirchen so weit behoben ist, dass ein differenzierter Konsens erklärt werden kann - analog zur Rechtfertigungslehre.
evangelisch.de: Die Kelchkommunion ist wohl das kleinste Problem, denn das Zweite Vatikanische Konzil hat den Laienkelch wieder für zulässig erklärt.
Wenz: Richtig, das ist das dogmatisch am wenigsten gewichtige Problem. Es war immer gemeinsame Lehre beider Seiten, dass in jedem Element, ja in jedem Teil jeden Elements der ganze Christus gereicht wird. Die Frage war, wie weit die Kirche das Recht hat, den klaren Wortlaut der Schrift "Trinket alle daraus" zu modifizieren und abzuändern. Nach Maßgabe des Zweiten Vatikanums gehört auch die Weingestalt elementar zum stiftungsgemäßen Gebrauch des Altarsakraments.
"Der wahre Leib und das wahre Blut"
evangelisch.de: Strittiger ist die Frage der Präsenz Jesu Christi in Brot und Wein. Die lutherischen Kirchen sagen, Jesus sei während des Mahls "in, mit und unter" Brot und Wein leibhaftig gegenwärtig. Was heißt das?
Wenz: Die lutherische Lehre, jene der Wittenberger Reformation, ist im Kleinen Katechismus am bündigsten zusammengefasst: Der wahre Leib und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus werden unter Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken gegeben, von Christus selbst eingesetzt. Innerhalb der Reformationskirchen war "mit" und "unter" unumstritten, nur das "in" nicht. Damit haben die Reformierten eine räumliche Einschließung assoziiert – das war nicht nur ihrer Meinung nach unstatthaft. In der Lehre von der Transsubstantiation ist "in" eine akzidenzielle Bestimmung, nach römisch-katholischer Auffassung kann also von einer räumlichen Einschließung nicht die Rede sein. Auch nach lutherischer sicherlich nicht! Was bedeutet dann die Präposition "in"? Dass im Zusammenhang der Mahlfeier Jesus Christus auf elementare Weise, nämlich in der Gestalt von Brot und Wein, wahrhaft zu unserem Heil präsent ist. Wenn diese Aussage gemeinsam getroffen werden kann, ist der Inbegriff dessen gewährleistet, was Realpräsenz heißt.
Gabencharakter des Abendmahls
evangelisch.de: Das dritte Problem ist das Messopfer. Es gibt die katholische Auffassung, dass die Eucharistie die unblutige Wiederholung des Kreuzestodes Jesu Christi sei.
Wenz: Der Wiederholungsbegriff ist irreführend. Denn von einer Wiederholung, Ersetzung oder Ergänzung des Kreuzesopfers Christi in der Messe kann nicht die Rede sein. Das Tridentinische Konzil spricht von "repraesentatio", von wirksamer Gegenwärtigsetzung. Jesus Christus selbst, der auferstandende Gekreuzigte, ist derjenige, der sein Versöhnungsopfer zu unserem Heil vergegenwärtigt. Wenn man auf dieser Linie argumentiert, sind zwar noch nicht alle Probleme behoben, aber es lässt sich doch sagen, dass auch die Meßopferfrage nicht notwendig zu Kontroversen führt, die kirchentrennende Bedeutung haben. Über die Opferthematik muss man dann natürlich gesondert sprechen. Es ging der Reformation vor allem darum, den Gabencharakter des Abendmahls zu verdeutlichen: Christus ist für uns gegeben, wir sind in die Selbsthingabe Christi aufgenommen. Den rechtfertigungstheologischen Ansatz der Abendmahlslehre einzuschärfen, war das wichtigste Anliegen der Reformatoren. Wenn das zur Geltung gebracht wird, lässt sich auch die leidige Frage des Messopfer einer einvernehmlichen Lösung zuführen.
Braucht es vollkommene Übereinstimmung?
evangelisch.de: Zu den ungelösten Problemen gehört die Amtsfrage. Die katholische Kirche sagt, das evangelische Abendmahl sei auch deswegen nicht gültig, weil die Amtsträger nicht gültig geweiht sind. Müsste nicht eine Gemeinsame Erklärung zur Amtsfrage einer Abendmahlserklärung vorausgehen?
Wenz: Vorausgehen nicht, aber jedenfalls mit ihr auf die eine oder andere Weise verbunden sein. Damit sprechen Sie den entscheidenden Punkt an. Eine Gemeinsame Erklärung zur Abendmahlslehre hätte durchaus einen Wert in sich – dadurch, dass dem kirchlichen und öffentlichen Bewusstsein mitgeteilt würde: In diesen zentralen Lehrstücken herrscht differenzierter Konsens. Trennen lässt sich die Amtstheologie von der Abendmahlslehre nicht - unterscheiden lassen sich beide sehr wohl. Wie begründet die katholische Kirche, dass ein katholischer Christ am evangelischen Abendmahl nicht teilnehmen darf? Weil die Vollgestalt des eucharistischen Mysteriums in den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften nicht erhalten geblieben sei. Warum nicht? Wegen eines "defectus ordinis", also eines Mangels oder Fehlens des Weihesakraments. Über die apostolische Sukzession im Bischofsamt muss intensiv gesprochen werden. Aber ich denke nicht, dass nur eine vollkommene Übereinstimmung in der Amtstheologie Fortschritte in der Abendmahlspraxis erlaubt. Würde ein solches Junktim vorgesehen, wäre das Projekt einer Gemeinsamen Erklärung zum Abendmahl zum Scheitern verurteilt, bevor man es überhaupt begonnen hat.
"Die Gläubigen erwarten praktische Folgen"
evangelisch.de: Sie sprechen sich für eine Politik der kleinen Schritte aus.
Wenz: Ja, in der Tat. Damit sollen zum einen Resignationsanwandlungen, zum anderen illusionäre Vorstellungen vermieden werden, von denen ohnehin jeder weiß, dass sie sich nicht realisieren lassen. Wenn eine Abendmahlserklärung keine praktischen Folgen hat, wirkt sie kontraproduktiv und löst Frust aus. Im Kirchenvolk herrscht mit Recht die Erwartung vor, dass aus theoretischen Papieren praktische Folgerungen gezogen werden. Wenn diese notorisch ausbleiben, sind die Papiere nutzlos. Wenn man ein GEA-Projekt verfolgen will, muss man von vornherein praktische Fortschritte oder zumindest Teilfortschritte intendieren. Diese sollte man in der Abendmahlspraxis klar benennen.
evangelisch.de: Sie zielen zum Beispiel auf die konfessionsverbindenden Ehen. Die Ehepartner sollen gemeinsam zu Abendmahl und Eucharistie gehen können. Entsprechendes gälte für ihre Kinder.
Wenz: Das wäre ein Aspekt, bei dem die katholische Kirche dogmatisch keinerlei Abstriche machen müsste. Wenn die Ehe nach römisch-katholischer Auffassung eine sakramentale Verbindung ist, ist schwerlich einzusehen, warum hier nicht eine Ausnahme von der Regel möglich ist, die die Regel ja bestätigen kann. Das wäre ein denkbarer Teilfortschritt in der Abendmahlspraxis. Man müsste sich überlegen, welche weiteren Teilfortschritte erreichbar sind.
Mahlfeier nach orthodoxem Ritus als Kompromiss
evangelisch.de: Wie hängen Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft zusammen? Die katholische Kirche sagt, erst muss die volle Kirchengemeinschaft hergestellt sein.
Wenz: Man muss zunächst eine gewisse Asymmetrie im Verhältnis der beiden Kirchen in Rechnung stellen. Die evangelische Kirche übt eine Praxis, nach der in der Regel jeder getaufte Christ Zugang zum Abendmahl hat. Jeder Einzelfall der Exkommunikation ist begründungspflichtig. Die katholische Kirche handelt hier anders – aber beide agieren aus dogmatischen Gründen. Das muss man zur Kenntnis nehmen, ohne zu moralisieren. Der dogmatische Grund ist offenbar eine unterschiedliche Verhältnisbestimmung von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft. Die Gefahr auf der katholischen Seite ist, dass Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft unmittelbar gleichgesetzt werden. Die Gefahr auf evangelischer Seite ist, dass dieser Zusammenhang aufgelöst wird. Wenn man sich darüber verständigen könnte, dass man das Verhältnis von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft als differenzierten Zusammenhang zu bestimmen hat, der Unterscheidungen nötig macht, aber Trennungen nicht erlaubt, wäre schon einiges gewonnen.
evangelisch.de: Beim Ökumenischen Kirchentag wird es kein gemeinsames Abendmahl geben, das hat auch niemand erwartet. Stattdessen ist eine sogenannte Artoklasia vorgesehen, eine Mahlfeier nach orthodoxem Ritus. Ist das ein schwacher Ersatz?
Wenz: Es ist kein Ersatz, und deshalb auch kein schwacher Ersatz. Die Artoklasia ist ein schönes Zeichen, sollte uns aber nicht hindern, am entscheidenden Problem konsequent weiterzuarbeiten.
"Revolutionäre Veränderungen" nicht in Sicht
evangelisch.de: Die Orthodoxen spielen beim Ökumenischen Kirchentag in München eine starke Rolle. In der Abendmahlsfrage sind die Ostkirchen streng – bei ihnen darf kein Katholik und kein Protestant zur Kommunion gehen. Warum?
Wenz: Dass die Orthodoxen auf dem ÖKT stark zum Zuge kommen und sich präsentieren, ist ein begrüßenswertes Faktum. Wir befinden uns gerade an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier in München sind wir in der vorteilhaften Situation, die drei großen kirchlichen Traditionen wissenschaftlich präsent zu haben. Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Ich will die Haltung der Orthodoxie jetzt nicht im Einzelnen kommentieren. Da wäre viel zu sagen. Sie stellt in der Frage der Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft ein noch höheres Maß an Identität heraus und identifiziert ihr eigenes Kirchenwesen noch stärker als der römische Katholizismus mit der Kirche Jesu Christi. Die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche ist nicht unproblematisch, und Luther hat lieber von der verborgenen Kirche gesprochen. Doch wird man sagen müssen: Der Zusammenhang zwischen der Kirche Jesu Christi, zu der wir uns gemeinsam im Glaubensbekenntnis bekennen, und den Denominationen und Konfessionskirchen ist ein differenzierter Zusammenhang, der unmittelbare Gleichsetzungen meines Erachtens verbietet.
evangelisch.de: Hand aufs Herz – können Sie sich in der gegenwärtigen ökumenischen Situation vorstellen, dass es auf absehbare Zeit Abendmahlsgemeinschaft geben kann?
Wenz: Ich denke nicht, dass die römisch-katholische Kirche und die Orthodoxie erklären, dass sie mit den Reformationskirchen vorbehaltlos Abendmahlsgemeinschaft halten. Das würde revolutionäre Veränderungen zur Voraussetzung haben, die man wie alles Revolutionäre nicht prognostizieren kann. Doch es gab auch in der Kirchengeschichte oft Ereignisse nicht prognostizierbarer Art, die solche Umschwünge ermöglicht haben. Warum soll das grundsätzlich nicht möglich sein? Rechnen kann man damit allerdings nicht. Ich würde dafür plädieren, die Teilziele klar zu benennen, die man anstrebt. Nur der kann etwas verfehlen, der ein Ziel hat. Wer ziellos in der Gegend umherschweift, der kann zwar nichts verfehlen, wird aber auch nie etwas erreichen. Jetzt ist die Zeit der Konkretion, der Präzision dessen, was man gemeinsam anstrebt. Und je nüchterner man urteilt, desto höher wird man einen Erfolg zu schätzen wissen.
Prof. Dr. Gunther Wenz (60) ist Direktor des Instituts für Fundamentaltheologie und Ökumene sowie Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie I (mit Schwerpunkt Dogmatik) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hat im Rahmen der Gespräche zwischen dem vatikanischen Einheitsrat und dem Lutherischen Weltbund (LWB) einen in deren Verlauf modifizierten Entwurf für eine Gemeinsame katholisch-lutherische Erklärung zur Abendmahlslehre vorgelegt.