Richter heben fristlose Kündigung wegen 80 Cent auf
Weil er verbotenerweise mit einer Essensmarke das Essen seiner Freundin in der Kantine bezahlt hatte, ist einem 35-Jährigen fristlos gekündigt worden. Zu Unrecht, wie jetzt Arbeitsrichter in Reutlingen entschieden.
11.05.2010
Von Marc Herwig

Er verfügte über einen Millionen-Etat, aber seinen Job hat er verloren, weil er einen Essens-Bon im Wert von 80 Cent für seine Freundin einlöste. Eine Bagatelle, meinte der 35-Jährige und klagte gegen die fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht Reutlingen gab ihm am Dienstag recht. Ob der 35-Jährige jetzt an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren wird, ist aber noch offen. Der Sportbekleidungshersteller aus der Nähe von Reutlingen überlegt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.

Kollege wurde abgemahnt

Der ganze Streit dreht sich um ein Mittagessen am 27. November 2009. Ausnahmsweise nahm der 35-Jährige, der als Einkäufer in der Firma arbeitete, seine Lebensgefährtin zum Essen mit in die Kantine. Von einem Kollegen hatte er sich ein Märkchen besorgt, mit dem er das Essen seiner Freundin bezahlte. Damit verstieß er gegen eine Dienstanweisung: Jeder Mitarbeiter darf seine 15 Essensmärkchen im Monat nur für sich selbst einsetzen.

Der Fall flog auf, und die Personalabteilung griff zu drastischen Mitteln: Der Kollege, von dem das Märkchen stammte, bekam eine Abmahnung, der 35-Jährige die fristlose Kündigung. Das Vertrauen sei zerstört worden, sagte der Anwalt des Bekleidungsherstellers. "Wenn er das in der Kantine macht, stellt sich die Frage: Macht er es als Einkäufer auch?"

Ganz so einfach liege der Fall nicht, betonte dagegen der Vorsitzende Richter Werner Schwägerle. Zwar sei das Tauschen der Essensmarke prinzipiell ein Kündigungsgrund - auch wenn es nur um 80 Cent geht. "Aber er hat sein Fehlverhalten eingeräumt." Die Entlassung sei deshalb zu hart. Eine Kündigung dürfe keine Strafe für einen begangenen Fehler sein. Sie sei nur legitim, um ähnliche Verstöße in Zukunft zu verhindern.

Wegen 80 Cent kein Betrüger

Die entscheidende Frage ist also: Kann man davon ausgehen, dass der 35-Jährige seinen Arbeitgeber erneut betrügen wird? Der Arbeitgeber sagt Ja. "Entscheidend ist, dass der Täter planvoll vorgegangen ist und seine Tat sogar noch verschleiern wollte", sagte der Anwalt des Unternehmens. Weshalb sonst habe er sich extra eine Essensmarke von seinem Kollegen besorgt, statt einfach zwei seiner eigenen zu nehmen? "Ihm kam es auf den Geldvorteil an, von dem wir alle sagen, er ist lächerlich. Und da hört der Spaß auf!"

Der Anwalt des 35-Jährigen sieht das völlig anders: Wer in der Kantine - ohne groß darüber nachzudenken - verbotenerweise einen Essens-Bon für 80 Cent einlöse, sei deshalb nicht gleich ein Betrüger, der auch große Summen in die eigene Tasche wirtschafte. So sahen es am Ende auch die Richter: Dass der 35-Jährige in der Absicht gehandelt habe, seinen Arbeitgeber zu schädigen, sei alles andere als sicher. Die Kündigung sei deshalb unangemessen und unwirksam.

Der Kläger war nach dem Urteil sichtbar erleichtert. Zwar hat er nach längerer Arbeitslosigkeit inzwischen einen neuen Job bei einer Zeitarbeitsfirma gefunden. "Aber das ist sicher kein Arbeitsplatz für die Dauer", sagte sein Anwalt. Das Ziel sei deshalb ganz klar, seinen alten Job als Einkäufer zurückzubekommen.

dpa