Frage: Herr Minister, Sie sind beim bevorstehenden Ökumenischen Kirchentag nicht nur Besucher, sondern indirekt auch Mitveranstalter, weil sie dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT) angehören. Welche Rolle spielt der Kirchentag an der Schnittstelle zwischen Kirchen und Politik?
de Maizière: Heutzutage gibt es keine anderen Veranstaltungen, bei denen die politische und geistliche Elite des Landes vor 100.000 Besuchern Fragen der Zukunft diskutiert. Kirchentage gehören zu den wenigen die gesellschaftlichen Themen ordnenden Tage. Das ist an Bedeutung nicht zu überschätzen. Früher war der Kirchentag eine großartige Selbstvergewisserung, aber weniger ein orientierender Denkanstoß.
Frage: Was reizt Sie, am Kirchentag teilzunehmen?
de Maizière: Beim Kirchentag mag ich die besondere Schwingung, die es sonst bei Großveranstaltungen nicht gibt: eine wunderbare Mischung zwischen gedanklichem Ernst und gelassener Fröhlichkeit. Außerdem genieße ich die wunderbare Kirchenmusik, von esoterischen Kleinstschätzen bis zu großen Chorwerken mit 5.000 Leuten. Und ich bin sehr gerne im DEKT-Präsidium. Das ist ein bunter Haufen mit sehr unterschiedlicher politischer und beruflicher Herkunft der Mitglieder. Ich komme dort als Innenminister an, und wenn ich da bin, bin ich einfach eine Person. Das ist schön. Solche Erfahrungen in einer Gruppe kluger Menschen macht man nicht so oft. Ein Politiker muss ständig geben - wie eine Art Tankstelle: Immer kommen Leute und zapfen Benzin. Aber einmal eine Frage zu stellen oder Unsicherheit zu zeigen, ist für Spitzenpolitiker schwierig. Aber in diesem Umfeld geht das.
Frage: Das nicht geplante Thema, das den Kirchentag beschäftigen wird, ist die Missbrauchsdebatte. Rechnen Sie mit heftigen Auseinandersetzungen zwischen Basis und katholischen Bischöfen?
de Maizière: Ich bin mir nicht sicher, ob das Kirchentagsformat mit seinen Massenveranstaltungen ausgerechnet für die Debatte des Themas sexuelle Gewalt so geeignet ist. Aber man konnte und durfte es nicht heraushalten. Es wird sehr darauf ankommen, angemessene Diskussionsformen zu finden. Moralintriumphale Besserwisserei-Äußerungen sind fehl am Platze. Über die strafrechtlichen Fragen, über falsche Solidarisierungen und Verdrängung lässt sich in München vielleicht diskutieren. Aber zur Klärung der wirklich schwierigen Fragen wie den Folgen für Internate und Jugendarbeit, die Nähe in zuwendender Erziehung sind womöglich ein Runder Tisch oder ähnliche Gesprächsformen besser geeignet.
Frage: Sie waren Schüler auf der Bonner Jesuitenschule Aloisiuskolleg, wo es auch Missbrauchsfälle gab. Wie bewerten Sie die Aufarbeitung durch die katholische Kirche bislang?
de Maizière: Ich habe damals in meiner Schulzeit von den Vorgängen nichts mitbekommen. In der katholischen Kirche gab es ohne Frage bei der Aufklärung Versäumnisse. Dennoch will ich Verständnis für die Zeitumstände erbitten: Die Kirche war immer stolz darauf, mit Verfehlungen von Mitarbeitern anders umzugehen als sonstige Arbeitgeber. Dabei war die Solidarität zur Institution ein hoher Wert. Mit Blick auf die Missbrauchsfälle war das aber falsch. Aber umso mehr verdient jetzt der Umgang der katholischen Kirche mit dem Missbrauchsskandal, gerade unter den jüngeren Bischöfen, die in letzter Zeit 'nachgewachsen' sind, großen Respekt.
Frage: In Ihrer Partei, der CDU, hat sich ein neuer "Arbeitskreis Engagierter Katholiken" gegründet. Freuen Sie sich über die neue Tendenz, die Konfessionen wieder stärker zu betonen?
de Maizière: Nein, dieser Kreis ist so überflüssig wie ein Kropf. Es gibt aus alter Tradition den Evangelischen Arbeitskreis der CDU, der integrierende Wirkung hat. Neue Kreise, die unter dem Vorwand des Katholischen in Wahrheit eine Richtungsdebatte führen, halte ich für unnötig.
Frage: Am 17. Mai wird sich die Deutsche Islamkonferenz in neuer Zusammensetzung konstituieren. Im Vorfeld kritisierten die muslimischen Verbände die Zusammensetzung und die Themenauswahl. Sie haben mehrere Gespräche mit den Verbänden geführt. Wie läuft die Zusammenarbeit?
de Maizière: Ich finde es schade, dass so viele Verbände untereinander so unterschiedlicher Auffassung sind. Strittige Themen werden zu wenig intern diskutiert. Da sind wir als Christen vielleicht verwöhnt. In der evangelischen Kirche ist die Meinungsbildung auch manchmal kompliziert, bei der katholischen Kirche ist das einfacher. Aber verglichen mit den muslimischen Verbänden bieten die Kirchen ein einheitliches Meinungsbild. Ich hoffe, dass die Islamkonferenz weiter dazu beiträgt, dass wir klarer erkennen können, was Mehrheitsmeinung, was das wirklich Verbindende ist und was Einzelmeinungen sind. Außerdem gibt es eine echte Skepsis von den offiziellen Verbandsvertretern gegenüber den muslimischen Einzelpersönlichkeiten und umgekehrt. Das möchte ich gerne überwinden. Ich habe aber auch den Eindruck, dass die Verbandsvertreter nicht ihre vorgefertigten Positionen abspulen, sondern wirklich ins Gespräch kommen wollen.
Frage: Sie haben den Islamrat von der Islamkonferenz suspendiert, weil gegen seine Mitgliedsorganisation Milli Görüs staatsanwaltschaftlich ermittelt wird. Hat Sie der Wirbel aufgrund des vorläufigen Ausschlusses überrascht? Bereuen Sie Ihre Entscheidung?
de Maizière: Es hat mich ein bisschen überrascht, aber ich würde es genauso wieder tun.
Frage: Sie hätten auch nur die Mitglieder von Milli Görüs ausschließen können, gegen die ermittelt wird. Warum der ganze Verband?
de Maizière: Wenn es so wäre, dass nur gegen Einzelne ermittelt würde, könnte man darüber nachdenken. Aber es wird gegen die gesamte Führungsriege ermittelt, und die Vorwürfe beziehen sich auf das Verhalten der Personen in und mit der Organisation. Deswegen betrifft es die gesamte Organisation. Zur Suspendierung gab es keine Alternative. Auch deshalb nicht, weil sonst die produktive Arbeit der Deutschen Islamkonferenz von einer Debatte über die Vorwürfe gegen den Verband überlagert worden wäre.
Frage: Die Ausbildung von Imamen in Deutschland wird bei der Islamkonferenz auch eine Rolle spielen. Der Wissenschaftsrat hat dazu die Einrichtung islamischer Lehrstühle empfohlen und den Vorschlag gemacht, Beiräte einzurichten, die über die Studieninhalte bestimmen sollen. Darin sollen die Islam-Verbände vertreten sein. Was halten Sie von der Idee?
de Maizière: Ich finde, es ist eine kluge Lösung. Ein Beirat ist sicherlich nur ein Zwischenschritt, eine Übergangslösung. Jetzt müssen sich vor allem die muslimischen Verbände und Einzelpersönlichkeiten zu dem Vorschlag positionieren.
Frage: Die Aufnahme der irakischen Flüchtlinge ist erst einmal abgeschlossen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) drängt jedoch darauf, dass Deutschland regelmäßig eine bestimmte Quote von Flüchtlingen aufnimmt (Resettlement-Verfahren). Sie haben das abgelehnt. Warum?
de Maizière: Die Bundesrepublik hat bewiesen, dass sie großzügig Flüchtlinge aufnimmt, wenn es darauf ankommt, etwa beim Bürgerkrieg im damaligen Jugoslawien oder bei den irakischen Flüchtlingen. Ich muss allerdings zugeben, dass es mir - als damaliger Chef des Bundeskanzleramtes war ich in die Entscheidung eingebunden - schwergefallen ist, der Aufnahme irakischer Christen zuzustimmen. Denn damit haben wir einen Beitrag dazu geleistet, dass es in dem Ur-Siedlungsgebiet der Christen bald keine Christen mehr gibt. Die Lage für die irakischen Christen ist allerdings in der Tat schrecklich, daher war die Aufnahme richtig.