Nur wenige Menschen, fand 1999 Günter Blobel, würdigten die zahlreichen Aufbaubauleistungen von Deutschstämmigen auf dem Weg zur heutigen Stärke der Vereinigten Staaten. Diese größte aller ethnischen Gruppen in den USA weise eine "bemerkenswerte Geschichte" auf, "die dokumentiert werden sollte". Ein gutes Jahrzehnt später ist aus diesem Wunsch des deutschen Medizin-Nobelpreisträgers in Washington Wirklichkeit und Wirkung geworden. Über 1.400 Besucher sind im ersten Monat seit Eröffnung am 21. März im German-American Heritage Museum gezählt worden. "Das sind weit mehr, als wir erhofft und erwartet hatten", freut sich Museumsdirektor Rüdiger Lentz.
719 Sixth Street NW, Hockemeyer Hall, ein Haus im viktorianischen Stil. Schon die Adresse im Penn Quarter der US-Hauptstadt ist eine Reminiszenz an die deutsch-amerikanischen Wurzeln. 1888 von dem deutschen Einwanderer John Hockemeyer erbaut, erinnert das vorzüglich erhaltene Gebäude samt Runderker an die Glanzzeit des damaligen deutschen Viertels. Um 1900 war es nach Berlin und Wien die drittgrößte deutsche Stadt. Mit "Success stories" wie die des deutschen Kaffeehändlers konfrontiert gleich im Eingang die steile Treppe, die in die Präsentationsräume des jungen Museums führt. In die Stufen sind in leuchtendem Rot Namen aufgetragen, die heutzutage jeder kennt: Fred Astaire, Elvis Presley, Dwight D. Eisenhower, Doris Day oder auch Levi Strauss, der die Jeans kreierte. Was hingegen nicht jeder weiß: Sie alle sind populäre Persönlichkeiten mit deutschen Vorfahren. 46 Millionen Amerikaner, sagt Lentz, sind es insgesamt. Sie berufen sich nach ihren Angaben auf deutsche Wurzeln.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Viele kamen aus Not und Elend und nahmen bei der Überfahrt in der Hoffnung auf ein besseres Leben Entbehrungen und Krankheiten in Kauf. Andere wie die Mennoniten oder die Hutterer sahen in der Neuen Welt die Chance, ihre Religion frei von Einschränkungen leben zu können. Sie alle einte die Sehnsucht nach Glück und Freiheit und die Bereitschaft, beim Aufbau einer Nation mit anzupacken. Das German Heritage Museum hat sich der Aufgabe verschrieben, gerade diese vier Jahrhunderte umspannende Geschichte der deutschen Einwanderer zu erzählen.
Es zeigt die einfache Holztruhe früher Immigranten aus Süddeutschland, in der die wenigen Habseligkeiten samt Lederhose und Dirndl transportiert wurden. Da gibt es die Aufzeichnungen derer, die die Qual der "schwimmenden Särge" überlebt hatten und sich als "weiße Sklaven" in der neuen harten Realität wieder fanden. Eine Sammlung von Lebensgeschichten, Schicksalen, Tagebucheintragungen – Pioniere jeder von ihnen auf seine Weise, ohne deren Lebensleistung es die heutigen Vereinigten Staaten so nicht geben dürfte. Es gehe um die Aufarbeitung dieser Einwanderungsgeschichte, betont Lentz, um die Bewahrung des kulturellen Erbes der Deutsch-Amerikaner, "nicht um Bierseidel und Deutschtümelei".
Deutsche Feste
Wenn auch überschaubar, ist die Dokumentation der deutschen Emigrationsgeschichte eine Einladung zu einer reizvollen Entdeckungsreise. Eine Zeitleiste hilft, die auf Tafeln aufgezeichneten einzelnen Stationen in Feldern wie Kunst, Architektur, Mode, Politik oder Sport aufzusuchen und einzuordnen. So wird bewusst, welche Bedeutung der Literatur im kulturellen Austausch beider Seiten zukam und zukommt. Ein wichtiges Kapitel stellen die deutschen Clubs im gesamten Land dar, mit ihrer Blütezeit um 1900. In so trefflichen Einrichtungen wie dem Deutschen Club in Clarke, New Jersey oder im Sacramento Turn Verein wurde heimisches Brauchtum bewahrt. Hier wurden deutschsprachige Zeitungen herausgegeben, übrigens zu Hunderten. Hier hat die bis heute andauernde Tradition deutscher Festivitäten in den USA – vom Oktoberfest bis zum Karneval – ihre Urzelle.
Eine prachtvolle Händel-Büste im Segment Musik steht für den Einfluss, den die deutsche auf die amerikanische Musik, speziell die Vokalmusik ausgeübt hat. Den Komponisten des "Messias" teilen sich zwar Deutsche und Engländer. Doch die deutschen Spuren in der Gesangskultur der USA sind bis heute virulent. "Wahr im Wort und rein im Klang" sei das deutsche Lied, heißt es in einem Motto zu einem Konzert des Nordöstlichen Sängerbundes.
Kirchenlieder
Die Deutschen, verdeutlicht Lentz, hätten viele Kirchenlieder nach Amerika gebracht und nach dem Gottesdienst dann in den Kneipen weitergesungen. Was ihrer Popularität bis in die Gegenwart offensichtlich nicht geschadet hat. Apropos: Das Museum hat sich den Auftrag gegeben, den Amerikanern und den Deutsch-Amerikanern auch das heutige Deutschland näher zu bringen. Impressionen des modernen Deutschlands vermittelt ein begehbarer Multimediakiosk. Lentz hat sich der Unterstützung etlicher Partner versichert, so der Deutschen Welle mit Online-Auftritt und TV-Programm, der deutschen Tourismus-Zentrale und der Emigrationsmuseen der Auswandererhäfen Hamburg und Bremerhaven.
Träger des Museums, das keinerlei Eintritt erhebt, ist eine 1977 gegründete Stiftung mit annähernd 18.000 Mitgliedern. Sie kommen zum Beispiel aus den Kreisen der deutsch-amerikanischen Clubs. Die Institution erhält keine staatliche Unterstützung und finanziert sich überwiegend durch Spenden. Laut Lentz ist der Jahresetat von 400 000 Dollar für 2010 gesichert. Er sei zuversichtlich, dass dies auch in den kommenden Jahren gelinge. Verstärkte Anstrengungen von Förderern und Spendern seien allerdings erforderlich. Als "eine wundervolle Bildungseinrichtung" hat der deutsche Botschafter Klaus Scharioth die Einrichtung anlässlich der Eröffnung bezeichnet.
Sie sei geeignet, eine "größere Wertschätzung der Mannifaltigkeit deutsch-amerikanischer Erfahrung" zu entwickeln. Das Konzept des German Heritage Museums scheint freilich nicht von allen US-Medien verstanden worden zu sein. So behauptete die "Washington Post", das Haus an der Sixth Street sei eine Reaktion des modernen demokratischen Deutschlands auf das amerikanische Holocaust-Memorial, das vor zwei Jahrzehnten in Washington geschaffen wurde. "Unser Museum”, stellt Lentz klar, "hat nichts mit dem Holocaust Museum zu tun. Es erzählt die Geschichte der deutschen Einwanderung nach Amerika und nicht die des Dritten Reiches."
Ralf Siepmann ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn.