EU spannt 750-Milliarden-Euro Rettungsschirm
Einigung tief in der Nacht: Die Europäische Union hat zur Rettung kriselnder Euro-Mitglieder vor dem Staatsbankrott einen beispiellosen Rettungsschirm gespannt.

Insgesamt 750 Milliarden Euro Kredite könnten im Notfall fließen, geknüpft an strenge Bedingungen zur Haushaltssanierung. Nach gut zwölfstündigen Verhandlungen beschlossen die EU-Finanzminister am frühen Montagmorgen in Brüssel den Hilfsmechanismus, von dem gut ein Drittel vom Internationalen Währungsfonds (IWF) stammt.

"Das zeigt, dass wir den Euro verteidigen werden, koste es, was es wolle", sagte Währungskommissar Olli Rehn. "Es gibt ganz klar ein systemisches Risiko und eine Bedrohung für die finanzielle Stabilität von Eurozone und EU, es handelt sich nicht nur um eine Attacke auf einzelne Länder."

Die EU will mit diesem einmaligen Schritt das Vertrauen in den angeschlagenen Euro stärken und gerüstet sein, sollte die griechische Schuldenkrise auf andere Euro-Länder wie Spanien oder Portugal überschwappen. Beide Länder sagten einen strikteren Sparkurs zu, über den sie am 18. Mai berichten wollten.

Bilaterale Kredite nur mit Zwecksgesellschaft

Das Hilfssystem der EU ist gestützt auf vier Säulen: Bis zu 60 Milliarden Euro Kredite sollen von der EU-Kommission kommen, ähnlich der Zahlungsbilanzhilfen für schwächelnde Nicht-Euro-Länder wie Ungarn, Lettland und Rumänien.

Sollten die 60 Milliarden Euro nicht ausreichen, kommen dazu bilaterale Garantien der Euro-Staaten von insgesamt bis zu 440 Milliarden Euro. Bis zu 123,2 Milliarden Euro kämen von Deutschland, würde der gleiche Verteilungsschlüssel wie zur Rettung Griechenlands angewandt. Deutschland habe stundenlang auf bilateralen Krediten beharrt und dem System der Garantien erst zugestimmt, als die Gründung einer eigenen Zweckgesellschaft beschlossen wurde.

Die genaue Ausgestaltung dieser Zweckgesellschaft ("Special Purpose Vehicle") werde noch "in den nächsten Tagen" festgezurrt, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Damit soll auch die sogenannte "No-Bailout-Klausel" (in etwa: "Kein-Herauskaufen") im EU-Vertrag umgangen werden, die es verbietet, dass ein Euro-Land für die Schulden eines anderen einstehen darf.

Deutschland und Niederlande lehnten Garantien ab

Zusätzlich zu den 500 Milliarden Euro der Europäer kommen nochmals bis zu 250 Milliarden Euro vom IWF. Der IWF ist bereits mit 30 Milliarden Euro Krediten für den schwer angeschlagenen Schuldensünder Griechenland mit im Boot. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) teilte noch in der Nacht mit, einen Beitrag leisten zu wollen und auf den Finanzmärkten wo nötig zu intervenieren.

Die von der Kommission zuvor vorgeschlagenen Garantien der Euro-Länder für von der Kommission für das jeweilige Schuldenland aufgenommene Kredite seien von Deutschland und den Niederlanden abgelehnt worden, sagten Diplomaten. Die beiden Länder hätten sich gegen die zentrale Stellung der Brüsseler EU-Behörde bei der Rettungsaktion gewehrt. Die Kommission hätte mit ihrer guten Bonität die Kredite zinsgünstig aufgenommen, von Euro-Staaten verbürgen lassen und dann an Krisenstaaten mit Aufschlag weitergereicht.

De Maizière vertrat Schäuble

De Maizière verteidigte die deutsche Haltung. "Garantien gelten auf den ersten Blick als vielleicht nicht so gewichtig wie Kredite", sagte er, "Aber Garantien aufgenommen durch die Europäische Union (...) wären der Einstieg in eine Transfer-Union geworden und das hätten wir nicht mitgemacht."

De Maizière vertrat in Brüssel den erkrankten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der am Abend wegen einer Medikamenten-Unverträglichkeit in einer Brüsseler Krankenhaus gebracht worden war. Es gehe Schäuble "sehr viel besser", sagte de Maizière.

Der seit einem Attentat im Rollstuhl sitzende Schäuble hat sich nach einer Routine-Operation vor Ostern nicht vollständig erholt. Dem 67-Jährigen ging es am Abend zwar verhältnismäßig gut, er sollte dennoch über Nacht zur Beobachtung in der Klinik bleiben.

Deutschlands Verzögerungskurs

Ebenfalls am Sonntag telefonierte US-Präsident Barack Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die danach die zuständigen Bundesminister zu einer Sitzung im Kanzleramt zusammenrief. Nach dem rund einstündigen Treffen wollte sich keiner der Teilnehmer äußern.

Beobachter werfen Deutschland seit Wochen einen Verzögerungskurs vor. Der Euro ist wegen der griechischen Schuldenkrise massiv unter Druck geraten und hat gegenüber dem Dollar erheblich an Wert eingebüßt. Erst am Freitag hatten die EU-Staats- und Regierungschefs ein einmaliges, 110 Milliarden Euro schweres Rettungspaket für Griechenland beschlossen, um das Land vor der Pleite zu retten.

Euro über 1,29 Dollar stabilisiert

Der Kurs des Euro hat sich am Montag nach der Einigung der EU-Finanzminister auf einen Rettungsschirm für hoch verschuldete Mitgliedsstaaten der Euro-Zone über der Marke von 1,29 US-Dollar stabilisiert. Damit konnte die Gemeinschaftswährung die kräftigen Kursgewinne vom späten Freitagabend halten. Im frühen Handel stand die Gemeinschaftswährung kaum verändert bei 1,2928 Dollar. Ein Dollar kostete damit 0,7733 Euro. Am Freitag hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den Referenzkurs gegen Mittag noch auf 1,2746 (Donnerstag: 1,2727) Dollar festgesetzt.

Am vergangenen Donnerstagabend war der Euro nach einem historischen Kursrutsch an der New Yorker Börse auf gut 1,25 Dollar gesunken. Auch nach der Einigung der EU-Finanzminister in der vergangenen Nacht rechnen Händler vorerst noch nicht mit einer Beruhigung der Lage an den Devisenmärkten.

Diese Reformen sollen den Euro retten und sichern

Insgesamt stehen für die Schuldensünder in der Eurozone bis zu 750 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Nachrichtenagentur dpa dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick:

Finanz-Zweckgesellschaft: Hinter dem schlichten Begriff verbirgt sich ein für die Euroländer völlig neues Instrument, das im Namen aller 16 Euroländer Geld leihen und an finanzschwache Staaten weiterleiten kann. Damit gibt es eine Gesellschaft, die Geld leihen und weitergeben kann. Es geht um bis zu 440 Milliarden Euro. Die Euroländer selbst müssen das Geld dabei nicht auf den Tisch legen, sie treten vielmehr als Garanten für das zu leihende Geld auf.

750-Milliarden-Euro Auffangnetz: Für die klammen Euroländer stehen jetzt bei Bedarf bis zu 750 Milliarden Euro Soforthilfe zur Verfügung. Die EU will mit diesem einmaligen Schritt das Vertrauen in den Euro stärken. Die ersten 60 Milliarden Euro kommen direkt von der EU-Kommission, ähnlich der Zahlungsbilanzhilfen für schwächelnde Nicht-Euro-Länder wie Ungarn, Lettland und Rumänien.

Grundlage ist der Artikel 122 des EU-Vertrags von Lissabon, wonach EU-Ländern in Ausnahmesituationen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, geholfen wird. Sollten die 60 Milliarden Euro nicht ausreichen, kommen dazu die 440 Milliarden Euro schweren Hilfen der Zweckgesellschaft. 250 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) komplettieren das Paket.

Zinssatz: Wie im Fall von Griechenland wird es auch für das 750-Milliarden-Paket einen einheitlichen Zinssatz für alle bedürftigen Länder geben. Griechenland muss für seine Kredite fünf Prozent Zinsen (für drei Jahre) zahlen.

Konsolidierung: Die Finanzminister vereinbarten, künftig noch strenger auf die Sanierung der Staatshaushalte zu achten. Von den Finanzmärkten bedrohte Staaten wie Portugal und Spanien müssen bis zur nächsten regulären Mai-Sitzung der Finanzminister am 18. Mai in Brüssel zusätzliche Maßnahmen für 2010 und 2011 vorlegen.

Regulierung der Finanzmärkte: Die Euroländer wollen die Finanzmärkte stärker regulieren. Dazu zählen Derivate und Ratingagenturen, die die Kreditwürdigkeit von Schuldnern - und damit auch Staaten - bewerten. Darüber hinaus versprechen sich die Staaten auch von der Einführung eines «Stabilitätsbeitrages» der Banken und einer weltweiten Abgabe auf Finanztransaktionen eine stärkere Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanz- und Schuldenkrise.

dpa