NRW-Landtagswahl: Fiasko für Rüttgers und seine CDU
Fiasko für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU - Jubel bei der SPD: Nach nur fünf Jahren haben die Wähler in NRW die schwarz-gelbe Koalition in die Wüste geschickt. Wer mit wem regieren wird, steht allerdings noch nicht fest.

Die CDU/FDP-Regierung von Nordrhein- Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist nach nur fünf Jahren abgewählt, ein Comeback von Rot-Grün möglich. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird das Regieren schwieriger. Die Christdemokraten erlitten bei der Landtagswahl am Sonntag ein Debakel und lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die stärkste Fration mit der SPD von Hannelore Kraft. Dank eines starken Zuwachses könnten die Grünen Kraft ins Regierungsamt verhelfen. Die Linke zieht erstmals in den Düsseldorfer Landtag ein, der FDP-Höhenflug ist beendet.

Nach den Hochrechnungen könnte es auch auf eine große Koalition hinauslaufen, die eine stabilere Mehrheit im Parlament hätte als Rot- Grün. Rechnerisch könnte es ferner für Rot-Rot-Grün reichen. Ein solches Dreierbündnis war aber vor allem von den Sozialdemokraten im Wahlkampf sehr skeptisch gesehen worden. Schwarz-Grün ist eher unwahrscheinlich. Eine nach den Zahlen mögliche Ampelkoalition hatten Grüne und FDP von vornherein abgelehnt. Durch den Verlust der Landesregierung in NRW haben Union und FDP im Bundesrat ihre Mehrheit eingebüßt (bisher 37 von 69 Stimmen - künftig 31). Die Kanzlerin ist nun stärker auf Kompromisse mit SPD und möglicherweise auch Grünen angewiesen - und sie hat es mit einem angeschlagenen Koalitionspartner FDP zu tun. Merkel braucht eine Mehrheit in der Länderkammer für ihre Großprojekte: Haushaltssanierung, Steuerentlastung, Gesundheitsreform, Bildungsoffensive. 

Schlechter Stimmungstest

Wegen der Bedeutung Nordrhein-Westfalens galt das Votum als "kleine Bundestagswahl" und als erster großer Stimmungstest für die im Herbst gewählte schwarz-gelbe Regierung in Berlin. Der Landtagswahlkampf stand auch im Zeichen der Steuerdebatte, in der Schlussphase dominierte die Griechenland-Krise. CDU und FDP fürchteten den Unmut der Wähler wegen der Milliardenkredite für Athen. Hinzu kamen der negative Eindruck zahlreicher Affären der NRW-CDU und der Dauerstreit zwischen Union und FDP auf Bundesebene. Im Land wehte der CDU wegen ihrer Schulpolitik der Wind ins Gesicht.

Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF stürzt die CDU mit 34,3 bis 34,6 Prozent auf ihr schlechtestes NRW-Ergebnis, ein Minus von gut zehn Punkten. Die SPD mit ihrer Landeschefin Kraft erreicht 34,4 bis 34,5 Prozent, ein Verlust von mehr als zwei Punkten. Die in Düsseldorf bisher mitregierende FDP von Andreas Pinkwart liegt mit 6,6 bis 6,8 Prozent im Bereich ihres mäßigen Abschneidens von 2005 (6,2), aber deutlich unter dem NRW-Ergebnis bei der Bundestagswahl im Herbst (14,9). Die Grünen um Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann verdoppeln sich auf 12,2 bis 12,4 Prozent, ihr bestes Ergebnis im Land. Die erstmals angetretene Linkspartei schafft mit 5,4 bis 5,7 Prozent sicher den Einzug ins Parlament (Vorläuferparteien PDS und WASG 2005 zusammen 3,1 Prozent). Daraus ergibt sich laut ARD und ZDF folgende Sitzverteilung: CDU 67 bis 68 (2005: 89), SPD 67 bis 68 (74), FDP 13 (12), Grüne 24 bis 25 (12), Linke 10 bis 11 (0). Die Wahlbeteiligung war mit unter 60 Prozent extrem niedrig (2005: 63,0).

Kraft: "Die SPD ist wieder da"

Kraft meldete umgehend ihren Anspruch auf das Ministerpräsidenten-Amt an. Sie sagte vor jubelnden Anhängern in Düsseldorf: "Drückt die Daumen: Stärkste Partei und rot-grün regieren - das ist das, was wir für Nordrhein-Westfalen wollen." Die SPD-Politikerin sagte weiter: "Eine Botschaft geht von Nordrhein-Westfalen hinaus ins ganze Land: Die SPD ist wieder da."

Aus Sicht von Rüttgers war es "für die CDU in Nordrhein-Westfalen, auch für mich ganz persönlich ein bitterer Abend". Er betonte: "Eins ist klar: Ich persönlich trage die Verantwortung, die politische Verantwortung für dieses Ergebnis." Die nordrhein-westfälische CDU stellte sich hinter ihren Landesvorsitzenden. Der geschäftsführende Vorstand bat Rüttgers, "die Führung weiter wahrzunehmen".

SPD-Chef Sigmar Gabriel erwartet die Regierungsübernahme seiner Partei in Nordrhein-Westfalen. "Das System Rüttgers ist abgewählt worden», sagte er in Berlin. "Es wird Anstand wieder in die Staatskanzlei einziehen, wenn Rüttgers ausgezogen ist." Das Debakel hat nach Einschätzung von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe auch bundespolitische Gründe. Er sprach von einem "ganzen Bündel von Ursachen". "Auch der holprige Start der christlich-liberalen Koalition, zu viel Streit auf offener Bühne hat dazu beigetragen."

Westerwelle räumt Niederlage ein

Der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle räumte ein: "Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht." Er sprach von einem "Warnschuss" auch für die Regierungsparteien in Berlin. "Er ist auch gehört worden." Für eine Führungsdebatte sah er keinen Grund. Die FDP stehe nun "genau so zusammen, wie sie sich auch über Wahlerfolge freut".

Die Grünen in Nordrhein-Westfalen zeigten sich offen für eine rot- rot-grüne Regierung. "Wir sind gesprächsbereit. Die SPD muss klären, ob sie mit der Linkspartei reden wird", sagte Spitzenkandidatin Löhrmann. Ihre Partei stehe zur Verfügung, wenn sich ein "grünes Zukunftsprogramm" umsetzen lasse. Wunschziel bleibe aber eine Regierung von SPD und Grünen. Grünen-Bundeschef Cem Özdemir sagte, es sei ein "sensationell gutes Ergebnis" in NRW.

Nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen entschieden die Wahler weniger nach bundes- als nach landespolitischen Kriterien. So verlor die CDU in der Schulpolitik - einem für 78 Prozent relevanten Thema - ihren Kompetenzvorsprung an die SPD. Besonders ungewöhnlich: Rüttgers hatte keinen Amtsbonus und lag im Ansehen hinter Kraft. Er habe ein «auffälliges Glaubwürdigkeitsdefizit», resümierten die Forscher. Zwar gab es in dem Land auch Unzufriedenheit mit der schwarz-gelben Bundesregierung, einen Denkzettel in Richtung Berlin wollten deshalb aber nur 15 Prozent erteilen. Grundsätzlich sei für 41 Prozent die Politik im Bund, aber für 55 Prozent die Politik in NRW wichtiger gewesen.

dpa