Die Pille und die Freiheit der Frauen
Für viele Frauen war und ist die Pille mehr als ein Mittel zur Empfängnisverhütung. Sie ist auch Teil eines selbstbestimmten Lebens und Symbol für den Aufbruch der Frauenbewegung. Ursula Ott erinnert sich an ihre erste Begegnung mit der Pille, einem Medikament, das sie nicht nur als Segen betrachtet.
07.05.2010
Von Urusla Ott

Mein erstes Pillenrezept kam mir vor wie eine Lizenz zum Leben. Nicht zum Lieben und schon gar nicht zum Sex – das ging auch ohne Pille, logo, mit Aufpassen und Zählen und scheußlichen Schaumzäpfchen, die es rezeptfrei in der Apotheke gab, Patentex oval. Aber es war gefährlich. Immer diese Angst, alle vier Wochen diese heißen Bäder, diese Rennerei in jeder Fünf-Minuten-Pause auf die Schultoilette: Bitte bitte mach, dass ich nicht schwanger bin. Schwanger – es schien mir mit 14 so, als wäre dann alles aus. Als ich 14 war, im Jahr 1977, brach gerade die neue Frauenbewegung auf. Die Emma wurde gegründet, Frauen stürmten Hörsäle und Straßen, jetzt plötzlich schien mir als Mädchen die ganze Welt offen zu stehen. Aber nur, wenn ich nicht schwanger würde.

Darum weiß ich wie heute, wie ich dieses Pillenrezept in der Hand hielt, eine Lizenz zu einem selbst bestimmten Leben. Dachte ich. Dass dazu noch ein bisschen mehr gehört, habe ich erst später gemerkt. Die Pille war natürlich nicht alles, aber ohne Pille schien mir alles andere nichts. Der Triumph dauerte exakt 45 Minuten, so lange, bis ich mit der diskret verpackten Pillenschachtel zuhause ankam. Meine Mutter stand bereits in der Tür und fragte: Stimmt es, dass du beim Frauenarzt warst? Eine Nachbarin, die im selben Ärztehaus im Wartezimer saß, hatte mich gesehen und mich geradewegs verpetzt.

Die Freiheit einer Generation

Schwer katholische Kleinstadt, 70er Jahre. Bis heute überkommt mich der Zorn, wenn ich am Haus dieser Nachbarin vorbei komme. Sie gehörte zu einem "Gebetskreis für Gottes kostbare Kinder", der abends Mahnwachen abhielt vor einer Privatklinik, in der angeblich auch Abtreibungen vorgenommen wurden. Wer gegen Abtreibungen ist, das fand ich damals schon, muss doch froh sein, wenn Mädchen zuverlässig verhüten. Diese Bigotterie war mir zuwider. Es ging diesem Verein, da war ich mir seinerzeit sicher, nicht darum, kostbare Kinder zu retten. Es ging darum, mir und meiner Frauengeneration meine Freiheit wegzunehmen – und die war doch noch ganz frisch, gerade erkämpft. Kostbar.

"Freiheit aushalten", der Aufkleber – schwarz auf gelb wie "Ausfahrt freihalten" - pappte in den 70er Jahren auf meiner Schultasche, und das passt auch ganz gut zur Pille. Diese Erfindung hat uns Frauen unglaubliche Freiheit beschert, die wir seither nicht wieder her gegeben haben. Aber sie hat uns auch gezwungen, Konflikte auszuhalten. Entscheidungen zu treffen, zu reden. Denn vorher war es ja so: Unsere Mütter wurden schwanger, weil der Mann, das Schicksal oder der Zufall es wollten. Seit der Erfindung der Pille dürfen wir entscheiden, und das ist auch anstrengend. „Reproductive Rights“ nennen die Amerikanerinnen das Recht auf die eigene Fortpflanzung, und wie jedes Menschenrecht bringt es gleichzeitig auch eine Verantwortung mit sich.

Macht die Pille "verfügbar"?

Manche hat sich beklagt, dass sie jetzt immer "verfügbar" sei für den Mann. Keine Ausrede mehr, kein "du, heute ist es aber gefährlich". Stimmt. Seit es die Pille gibt, kann frau immer. Wenn sie nicht will, muss sie es sagen. Und das ist doch ganz gut so. Es gibt eben nicht nur eine Freiheit von – nämlich von der Angst schwanger zu werden. Es gibt auch eine Freiheit zu – nämlich zu sagen: Heute will ich nicht. Oder: Ich will was ganz anderes. Danke, Pille.

Auch ich habe als junge Frau oft mit dem Hormoncocktail gehadert. Erst wurde ich dick, dann bekam ich Migräne, dann kam die Diskussion um Aids, und man musste sich mit den lästigen Kondomen anfreunden. Irgendwann in den 80ern war außerdem die Frauen-WG, in der ich wohnte, auf dem Eso-Trip und rührte mit Zitronensaft und Joghurt angeblich sichere Verhütungspasten für das Diaphragma an. Meine WG-Nachbarin wurde damit schon nach zwei Wochen schwanger, und sie blieb es auch, trotz weiterer seltsamer Zaubertränke aus dem Frauengesundheitszentrum und Bindegewebsmassagen, die angeblich die Menstruation herbei führen sollten. Das wollte ich alles nicht. Reumütig kehrte ich zur Pharma-Industrie zurück.

Stolze Mutter

Ich bin nie ungewollt schwanger geworden, dank Pille. Und meinen beiden Kindern werde ich heute sagen: Zum Muttertag braucht ihr mir kein Gedicht aufsagen. Aber dass ihr beide Wunschkinder seid – darauf ist eure Mutter schon stolz. Danke, Pille!


Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, und Mutter von zwei Kindern.

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