Die Pille: Teufelswerk oder Gottesgeschenk?
Die Katholische Kirche untersagt ihren Gläubigen Empfängnisverhütung. Das gilt auch für die Familienplanung mit der Pille. Schlägt man die Bibel auf, so ist diese Meinung nicht ganz von der Hand zu weisen – die Protestanten sehen die Dinge trotzdem anders.
07.05.2010
Von Ingo Schütz

Hintergrund der Ablehnung empfängnisverhütender Maßnahmen in der katholischen Kirche ist die Enzyklika "Humanae Vitae" von Papst Paul VI. – die so genannte "Pillenenzyklika" – die 1968 veröffentlicht wurde. Ihr inoffizieller Untertitel lautet "Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens".

Sex nur zu Fortpflanzungszwecken

In dem Text wird argumentiert, dass Sexualität in der Ehe zwei Zielen dient: Der Vereinigung zur Bestätigung der Liebe und der Fortpflanzung. Das eine vom anderen zu trennen lehnt die katholische Kirche allerdings ab. Wer Familienplanung betreibt und sich aus guten Gründen gegen weitere Kinder entscheidet, der muss dazu auf ehelichen Verkehr während der fruchtbaren Tage verzichten.

Würde ein Paar allerdings auch in den fruchtbaren Tagen miteinander Sex haben und gleichzeitig eine Schwangerschaft künstlich verhüten, so ist dies aus Sicht der Enzyklika ein Widerspruch in sich. Es ist in ihrem Sinne diejenige "Handlung verwerflich, die... während des Vollzugs des ehelichen Aktes... darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern."

Ist Gott gegen coitus interruptus?

Blickt man in die Bibel, so ist diese Sichtweise nicht völlig von der Hand zu weisen. Wird doch im 1. Mose 38 ganz klar davon berichtet, dass Sex ohne Zeugungsabsicht vor Gott "nicht in Ordnung" ist. Von Onan heißt es, er habe beim Geschlechtsverkehr seinen Samen "auf die Erde fallen und verderben lassen" um keine Nachkommen zu zeugen. Coitus interruptus also im Alten Testament.

Der nähere Blick offenbart jedoch, dass diese mehr oder weniger künstliche Verhütungsmethode von Onan angewandt wurde, weil er nur eine Schwagerehe mit der Frau seines verstorbenen Bruders führte. Etwaige Kinder aus der Verbindung wären seinem Bruder zugerechnet worden, nicht ihm – das wollte Onan verhindern. Sex als gedankenloser Spaß stand also nicht im Mittelpunkt.

Ja zur künstlichen Verhütung!

In einem Text zur Frage zur "Rolle der Frau in der EKD" nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland zwar nicht ausdrücklich Bezug auf biblische Grundlagen, aber sie kann sich auf ein breites Textzeugnis berufen, wenn sie im Gegensatz zur katholischen Kirche behauptet: "Sexualität ist nach Auffassung der evangelischen Kirche nicht nur auf Fortpflanzung ausgerichtet."

Weiter heißt es in dem Schriftstück von 2004: Sexualität "ist ein möglicher Ausdruck von Liebe, engster körperlicher Zuneigung und Nähe. Künstliche Verhütung wird ausdrücklich bejaht." Hintergrund ist die Überzeugung, dass Gott den Menschen das Leben zum Genießen gegeben hat, während in der römischen Kirche noch die Einschätzung hinzutritt, dass der Mensch einen göttlichen Schöpfungsplan zu erfüllen habe, der Ausdruck in den biologischen Gesetzmäßigkeiten findet.

Die Pille auf dem Altar

Die liberale Haltung der evangelischen Kirche hat es allerdings auch nicht immer so gegeben. In den ersten Jahren nach ihrer Erfindung 1960 gab es die Pille in Deutschland nur für verheiratete Frauen - und nur auf Rezept natürlich. Wie umstritten die künstliche Verhütung bei den Protestanten in dieser Zeit war, zeigt der Fall des Frankfurter Pfarrers Reinmuth.

Der später von den Boulevard-Blättern als "Pillen-Pfarrer" verschrieene Wilhelm Reinmuth hatte in einer Predigt zum Erntedankfest die Anti-Baby-Pille als Geschenk Gottes dargestellt. Damit traf er womöglich genau das Lebensgefühl seiner jungen Gemeinde. In der erst kurz zuvor erbauten Frankfurter Nordweststadt lebten vor allem junge Paare, die vom Land in die Stadt gezogen und froh waren, der räumlichen sowie moralischen Enge ihrer Herkunftsorte entflohen zu sein.

Die Kirchenleitung indes war "not amused" bei diesem Vorgang. Sie enthob den Pfarrer seiner Ämter. Zwar handelte es sich um einen drastischen Akt innerhalb der hessen-nassauischen Kirche, aber auch andere Landeskirchen brauchten Zeit, um sich an die neuen Möglichkeiten der Verhühtung zu gewöhnen. Und was würde wohl heute geschehen, wenn neben Kürbissen und Kartoffeln an Erntedank auch das Kontrazeptivum, vielleicht nebst Kondomen, auf dem Altar läge?

"Gott ist ein Freund des Lebens"

So ganz einfach macht es sich die EKD denn auch nicht mit ihrer Begrüßung künstlicher Verhütungsmethoden. Ausdrücklich heißt es bereits 1981 in der EKD-Schrift "Denkschrift zu Fragen der Sexualethik": "Jeder Vollzug der Geschlechtergemeinschaft ist unlösbar mit der Verantwortung für werdendes Leben verbunden". Und in einem gemeinsamen Text mit der Katholischen Bischofskonferenz gesteht der Rat der EKD ein: "Verantwortung in Partnerschaft und Sexualität muss allerdings schon wahrgenommen werden, bevor ein Kind gezeugt bzw. empfangen wird." Gedankenloser Sex ist für gläubige Protestanten eben auch mit Pille nicht vorstellbar.

Der Titel dieser gemeinsamen Erklärung lautet übrigens: "Gott ist ein Freund des Lebens", und auch wenn katholische und evangelische Christen dem Satz ihre jeweils eigenen Fußnoten anfügen würden, kann er doch als die Mitte dessen gelten, was für die Gestaltung menschlicher Zweisamkeit vor Gottes Angesicht wichtig ist.

(Kau)gummis und die katholische Kirche

Für Spott braucht die katholische Kirche hinsichtlich ihrer Sexualmoral indes nicht zu sorgen. Pointiert schreibt ein User namens "Benito W." auf seiner Homepage über deren Fortpflanzungs-Logik: "Wenn man sich streng an diese Argumentation hält, müßte man allerdings auch sämtliche Kaugummikauer zu Sündern erklären, da Gott unsere Verdauungsorgane geschaffen hat, um der Ernährung zu dienen und Kaugummikauer diese Körperfunktion zu ihrem puren Vergnügen mißbrauchen."


Ingo Schütz ist angehender Pfarrer, verheiratet und betreibt seit Jahren erfolgreich Familienplanung. Seit acht Monaten ist er Vater einer Tochter.