TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Zapfenstreich" (ARD)
Reizthema mit enormen Potential: Nach der Ermordung einer Soldatin, der das Genick gebrochen worden ist, wird Steiger mit Formen von Sexismus konfrontiert, die sie aus eigener Erfahrung kennt.
07.05.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Polizeiruf 110: Zapfenstreich", 9. Mai, 20.15 Uhr im Ersten

Am Schluss geht sie, wie sie gekommen ist, zumindest in diesem Film. Oder besser gesagt: Sie radelt; in die Nacht und in den Regen. Damit endet mehr als bloß ein Kapitel: Mit der früheren Frau Hauptmann Ulrike Steiger hat der Bayerische Rundfunk den Sonntagskrimi um eine hoch interessante Figur bereichert, die aber nun bloß eine Fußnote in der Geschichte des "Polizeiruf 110" sein wird. Das ist sehr schade, auch wenn das Drehbuch des Autorenteams Mario Giordano und Andres Schlüter der Kommissarin einen ehrenwerten Abgang verschafft: Nachdem sie in Notwehr einen Menschen erschießen musste, quittiert sie den Dienst.

Mit Stefanie Stappenbeck und Lars Eidinger

Im Gegensatz zu Steigers Solo ("Die Lücke, die der Teufel lässt") orientiert sich der Abschiedsfilm wieder an gewohnten Krimikonventionen, verstößt dafür aber lustvoll gegen andere Regeln: Kaum hat Steiger (Stefanie Stappenbeck) ihren neuen Mitarbeiter Reiter (Lars Eidinger) kennen gelernt, haben die beiden auch schon eine Affäre. Der kiffende Reiter, der nicht nur die Kollegin mit seinen lockeren Sprüchen aus der Fassung bringt, ist ohnehin das Gegenteil des üblichen TV-Kommissars.

Mauer des Schweigens

Unbedingt sehenswert aber ist Steigers dritter und letzter Fall (Regie: Christoph Stark), weil sie erneut bei der Bundeswehr ermittelt. Giordano und Schlüter befassen sich mit einem Reizthema, um das der Fernsehfilm bislang einen großen Bogen gemacht hat, obwohl es enormes Potenzial birgt: Nach der Ermordung einer Soldatin, der das Genick gebrochen worden ist, wird Steiger mit Formen von Sexismus konfrontiert, die sie aus eigener Erfahrung kennt. Hauptfeldwebel Melzer, von Alexander Held als Extremversion des eisenfressenden Spieß verkörpert, lässt die Damen in seiner Truppe täglich spüren, was er von Frauen in der Bundeswehr hält; von seinen fragwürdigen Ausbildungsmethoden ganz zu schweigen. Bei den Soldatinnen stößt Ulli Steiger allerdings auf eine Mauer des Schweigens, obwohl es offenkundig zu sexueller Belästigung gekommen ist. Anscheinend gibt es aber noch ein weiteres Geheimnis, mit dem Melzer erpresst worden ist. Doch auch der Ex-Freund der überdies schwangeren Toten, ein wegen Körperverletzung vorbestrafter Deutschtürke (Eralp Uzun), mit dem sie sich um das Sorgerecht für die gemeinsame kleine Tochter gestritten hat, käme als Täter in Frage.

Anders als im letzten Film, als einige der Figuren völlig überzeichnet waren und daher wie Karikaturen wirkten, meinen es Giordano und Schlüter völlig ernst. Unglaubwürdig ist allein eine übertrieben ehrgeizige Soldatin (Annette Strasser), die sich aufführt, als produziere ihr Körper permanent in hohen Dosen männliches Testosteron; sie wirkt eher unfreiwillig komisch als martialisch. Davon abgesehen liegt der große Reiz des Films in der hermetisch abgeschlossenen Welt der Bundeswehr, in der eigene Regeln herrschen. Steiger, der diese Welt vertraut ist, agiert gewissermaßen wie eine Fremdenführerin. Umso bedauerlicher ist es, dass ihre Auftritte bloß ein Intermezzo sind. Gerade im gemischten Doppel mit Reiter wäre Frau Hauptmann eine ausgezeichnete Verstärkung für den Sonntagskrimi gewesen; und Stefanie Stappenbeck sowieso.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).