"Im Angesicht des Verbrechens", 8. Mai, 22.50 Uhr auf Arte
Die aufregendste Serie, die es derzeit im deutschen Fernsehen zu bestaunen gibt, geht in die entscheidende Phase: Heute zeigt Arte die Folgen sieben und acht, am Dienstag folgt das Finale. Der Zuschauerzuspruch war bislang allerdings überschaubar, was leider zu erwarten war; und das nicht bloß, weil ohnehin nur wenige Menschen den Kulturkanal zu ihren bevorzugten Programmen zählen. In deutschen Krimis gibt es zudem ein ungeschriebenes Gesetz: Die Guten dürfen kleine Fehler haben, aber sie müssen berechenbar bleiben. Deshalb wurde der vor allem handwerklich eindrucksvolle Sat.1-Mehrteiler "Blackout" vor einigen Jahren so ein völliger Flop: Die Hauptfiguren waren korrupte Polizisten. Der Held der Geschichte fand zwar dank einer Amnesie auf den rechten Weg zurück, doch die Vergangenheit, die sich ihm nach und nach offenbarte, war ziemlich düster. Gleiches galt für die Optik des Films.
Geschichte voller Sex & Crime
Dominik Graf wusste also, welche Fehler er bei seiner bereits bei der Berlinale enthusiastisch gefeierten Krimiserie "Im Angesicht des Verbrechens" besser vermeiden sollte. Vermutlich hat es ihn trotzdem nicht interessiert; wer in seiner Karriere acht mal den Grimme-Preis gewonnen hat, ist längst gewöhnt, seine eigenen Maßstäbe zu setzen. Bei allem berechtigten Stolz der ARD auf diese Produktion (gleich vier Sender waren unter Federführung des WDR beteiligt, außerdem die ARD-Tochter Degeto sowie Arte und der ORF): Große Hoffnungen, die episch erzählte Saga könne ein Quotenerfolg werden, hatte man ohnehin nicht. Die durchaus vergleichbare mehrfach ausgezeichnete ZDF-Serie "KDD" ist zwar ebenfalls hochgelobt worden, hatte aber bei weitem nicht genug Publikum, um fortgesetzt zu werden. Der späte Sendeplatz bei Arte wiederum wird wohl auch eine Frage des Jugendschutzes sein: "Im Angesichts des Verbrechens" ist eine Geschichte voller Sex & Crime. Und nicht nur deshalb ist die Produktion ein Fremdkörper im ansonsten doch sehr braven öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Drehbuchautor Rolf Basedow erzählt eine fortlaufende Handlung; genaugenommen handelt es sich um einen Film von gut sechs Stunden.
Komplexer Gangster-Epos
So viel Zeit ist auch nötig, um der Komplexität des Gangster-Epos’ gerecht zu werden. "Im Angesicht des Verbrechens" kann es an Epik, Dramatik und Klasse gut und gern mit dem Klassiker "Der Pate" aufnehmen, zumal die Geschichte mit ihren freizügigen Nachtclubszenen und der Aggressivität der Gangster sehr maskulin wirkt. Neben Grafs dichter Erzählweise, die immer wieder punktuell für Tempo sorgt, allerdings die Dynamik dabei sehr geschickt dosiert, ist der Mehrteiler nicht zuletzt wegen der Vielzahl großartiger Schauspieler mit Migrationshintergrund sehenswert.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).