Es war ein rauschendes Fest. Der nicht mehr ganz junge Bräutigam hatte Dutzende Kollegen aus der neuen Firma eingeladen, und zusammen mit Verwandten und Freunden feierte Hunderte ausgelassen im Saal des Bürgerhauses.
Bis Mama die Bühne betrat, sich das Mikrofon griff und das tat, was sie für immer in der Erinnerung der Anwesenden verankern sollte: Sie hielt eine Festrede, für die vermutlich einst der Begriff des Fremdschämens erfunden wurde. Sie ging chronologisch vor und tauchte ihren Sohn zunächst in ein Meer von Peinlichkeiten, was der - wie nun alle erfuhren - langjährige Bettnässer zu gern vermieden hätte.
Es folgten seine beruflichen und politischen Irrwege als junger Erwachsener, gefolgt von einer vollständigen Auflistung seiner Liebschaften nebst Kommentierung. "Sabine mochten wir eigentlich am liebsten, aber da hat es wohl im Bett nicht so geklappt", rief die Bräutigam-Mutter munter aus, geflissentlich ignorierend, dass sich etliche der beschriebenen Ex-Partnerinnen im Saal befanden.
Diese (wahre) Geschichte mag nicht der Regel entsprechen, aber ähnliche Desaster hat wohl jeder schon einmal erleben müssen - und sich insgeheim gewünscht, ein Profi hätte die Rede des Brautvaters, der Schwiegermutter oder des Pfarrers verfasst. Selbst wenn man die Ausgabe für einen privaten Redenschreiber scheut: Die Peinlichkeit ist nicht unausweichlich. Wer einige zentrale Punkte beachtet, wird selbst als Laienrednerin und -redner Erfolg haben.
Tipp Nr. 1: Fasse dich kurz.
Viele Reden sind zu lang, aber fast keine ist zu kurz. Wer eine Festgesellschaft über eine halbe Stunde oder noch länger fesseln möchte, muss über außergewöhnliches rhetorisches Talent und die Performerqualitäten eines Barack Obama verfügen. Ganz ehrlich: 99,9 Prozent von uns Normalbürgern haben nicht, was er hat. Also bescheiden bleiben - und nicht länger sprechen als fünf bis höchstens acht Minuten. Als Anrede reicht übrigens "Liebe … (Name der Braut), lieber … (Name des Bräutigams), liebe Gäste".
Tipp Nr. 2: Haltung bewahren.
Auf die richtige Einstellung zum Anlass kommt es an. Das heißt: Eine Hochzeitsrede soll dem Brautpaar gefallen. Für die Frischvermählten ist es ein wichtiger, freudiger, unvergesslicher Tag. Abrechnungen - augenzwinkernd oder nicht - und witzig gemeinte Anekdoten sind fehl am Platz, wenn sie Braut oder Bräutigam bloßstellen. Schließlich hören nicht nur Vertraute zu. Oder wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihre besten Freunde vor allen Leuten intime Geheimnisse ausplaudern, die Sie ihnen mal geflüstert haben?
Tipp Nr. 3: Seien Sie nicht bemüht witzig.
Jedenfalls nicht übertrieben. Humor ist ein Gewürz, kein Gemüse. Auch wenn es schwer fallen sollte: bitte keine Scherze auf Kosten der Anwesenden und schon gar keine Zoten.
Tipp Nr. 4: Überschätzen Sie Ihr Können nicht.
Es gibt große deutsche Lyriker - Festredner zählen selten dazu. Ein gutes Gedicht zu schreiben ist harte Arbeit und durchaus Glückssache. Wenn es irgend geht, widerstehen Sie der Verlockung, in Gedichtform zu sprechen. Es sei denn, Sie können einen reinen von einem unreinen Reim unterscheiden, wissen, was ein Versmaß ist und sprühen obendrein vor genialen Ideen.
Tipp Nr. 5: Lassen Sie Ihre Fantasie schweifen.
Eine Hochzeitsrede ist kein Nachruf - niemand zwingt Sie, das Leben des Brautpaars von frühester Kindheit an nachzuerzählen. Beschreiben Sie lieber (am besten anhand eigener Erlebnisse), was die beiden positiv auszeichnet und wieso sie so gut zusammenpassen. Aber nicht zu dick auftragen - bleiben Sie ehrlich.
Tipp Nr. 6: Trauen Sie sich was ...
… und sprechen Sie ohne ausformuliertes Manuskript. Radiomitarbeiter brauchen meist eine lange Zeit, bis sie gelernt haben, fürs Hören zu schreiben und das Ergebnis so vorzutragen, dass es flüssig "rüberkommt". Benutzen Sie Karteikarten im Format DIN A 5 quer, schreiben Sie sich ihre Stichpunkte darauf und formulieren Sie lediglich besonders heikle Sätze wörtlich aus. Es hilft auch, den ersten und den letzten Satz vollständig vorliegen zu haben.
Tipp Nr. 7: Üben!
Probieren Sie Ihre Rede vor dem Spiegel, üben Sie sie unbedingt laut und am besten auch einmal vor einer Person Ihres Vertrauens. Das kostet ein wenig Überwindung, aber eine solche Generalprobe macht Sie beim eigentlichen Auftritt sicherer. Außerdem kann Ihnen Ihr Gegenüber eine Rückmeldung geben, wie das Ganze wirkt - und vielleicht sogar noch ein paar Tipps dazu.
Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt und arbeitet seit 1998 als Redenschreiber, davon zwei Jahre für die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis.