Deutsche Behörden behindern die Informationsfreiheit
Nach den Gammelfleischskandalen sollte das Verbraucherinformationsgesetz für mehr Transparenz in der Lebensmittelüberwachung sorgen. Doch die Behörden verweigerten Bürgen gerade bei heiklen Themen oft Auskünfte, sagen Kritiker. Auch allgemein hänge Deutschland beim Thema Informationsfreiheit deutlich hinterher.
06.05.2010
Von Henrik Schmitz

Stellen Sie sich vor, Sie könnten in den Terminkalender von Horst Köhler schauen, um zu sehen, welche Diensttermine der Bundespräsident so wahrnimmt. Und würde Ihnen die Currywurst in der Bude nebenan nicht besser schmecken, wenn sie wüssten, ob dort bei der letzten Lebensmittelkontrolle alles in Ordnung war?

Was für Deutschland undenkbar klingt, ist in anderen Ländern längst Normalität. Der Dienstkalender des US-Präsidenten darf nach den Regeln des "Freedom of Information Act" eingesehen werden. Und wer in Dänemark essen geht oder in einem Lebensmittelgeschäft einkauft, kann an einem Smiley erkennen, wie die letzte Lebensmittelkontrolle ausgefallen ist. Lacht der das Gesicht, war alles in Ordnung. Hängen die Mundwinkel herab, gab es hygienische Mängel.

Keine Kultur der Transparenz

Soweit wie andere Länder ist die Informationsfreiheit in Deutschland noch nicht. Eine "Kultur der Transparenz" fehle, sagt Manfred Redelfs, Recherchechef bei Greenpeace Deutschland und Mitglied im Verein Netzwerk Recherche. Stattdessen herrsche in den Behörden noch ein eher "preußisches Amtsverständnis" mit dem Hang, möglichst viel vor den Bürgern geheim zu halten.

Dabei gibt es auch in Deutschland mehrere Gesetze, die den Bürgern eigentlich Zugang zu Behördeninformationen verschaffen sollen. Seit 2006 ist das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes in Kraft und regelt das Recht der Bürger, Auskünfte bei Bundesbehörden zu verlangen. Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen, das Saarland, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz haben zudem - zum Teil schon vor dem Bundesgesetz - Informationsfreiheitsgesetze für die Landesebene erlassen.

Seit zwei Jahren gibt es auch das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Über das VIG sollen Verbraucher Informationen erhalten können, die Behörden zu Lebens- und Futtermitteln sowie Wein, Kosmetika und Bedarfsgegenständen vorliegen. Wer wiederum Behördeninformationen haben möchte, die in den Umweltbereich fallen, kann sich auf die Umweltinformationsgesetze auf Bundes- und Länderebene berufen. Danach sind alle Behörden verpflichtet, Umweltinformationen herauszugeben, beispielsweise Gutachten darüber, inwieweit der Bau einer neuen Straße die Natur belasten wird oder ob von einer Mülldeponie eine Gefahr für das örtliche Grundwasser ausgeht.

Geschäftsgeheimnisse?

So viel zur Theorie. In der Praxis hapert es mit der Transparenz jedoch bislang gewaltig. So stellte Redelfs Anfragen an die Lebensmittelüberwachung in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen. Wo und wann bei der Messung von Pestiziden in Obst und Gemüse Verstöße gegen das Lebensmittelrecht aufgefallen seien, wollte er wissen. In beiden Fällen erhielt Redelfs bislang keine Auskunft und wundert sich über die Kreativität, mit der die zuständigen Ämter seine Anträge bislang ablehnten. In Sachsen-Anhalt verwies die Lebensmittelüberwachung darauf, sie sei lediglich für eine Messung zuständig. Ob ein erhöhter Wert tatsächlich ein Verstoß sei oder doch nur eine Ordnungswidrigkeit, könne die Behörde nicht entscheiden und daher die Anfrage nicht beantworten.

In Niedersachsen wiederum befindet sich Redelfs zwei Jahre alter Antrag immer noch in Bearbeitung. Zwischenzeitlich verwies die Behörde darauf, die Anfrage könne nicht ohne Rücksprache mit betroffenen Unternehmen beantwortet werden, da es sich um "wettbewerbsrelevante Informationen" handele. "Sinn des Gesetzes kann aber nicht sein, Unternehmen zu schützen, die gegen Lebensmittelrecht verstoßen haben", ärgert sich Redelfs.

Wer einen Blick in die verschiedenen Informationsfreiheit- und Verbraucherinformationsgesetze wirft, kann allerdings leicht aus der Fassung geraten. Offenbar wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Denn die, die die Gesetze am stärksten ablehnten, schrieben es schließlich selbst: die Beamten in den Behörden. Kein Informationsanspruch nach IFG des Bundes besteht etwa, wenn das Bekanntwerden der Information "nachteilige Auswirkungen auf militärische Belange" (Wunsch des Verteidigungsministeriums) oder "Angelegenheiten der externen Finanzkontrolle" (Wunsch des Bundesrechnungshofes) haben kann. Zugang zu "Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen" oder - wie es im VIG heißt - "sonstigen wettbewerbsrelevanten Informationen" wird nur gewährt, wenn die betroffenen Unternehmen zustimmen.

Forderungen der Unternehmen

Eine Forderung, die wohl der Bundesverband der Deutschen Industrie im Gesetz unterbrachte und auch verteidigen will. Zur Ankündigung der parlamentarischen Staatssekretärin im Verbraucherministerium, Julia Klöckner (CDU), Auskunftsrechte der Verbraucher zu "harmonisieren", erklärten mehrere Wirtschaftsverbände: "Frühzeitige, ungesicherte Informationsoffenlegung, Fehlinterpretation oder Panikmeldungen können für die Betroffenen unübersehbare wirtschaftliche Kosequenzen haben." Die Verbände forderten daher eine "Mitwirkung" an einem eventuell novellierten Gesetz.

Dass in Dänemark nach der Einführung der "Smileys" in Lebensmittelgeschäften und Restaurants oder Imbissen Unternehmen reihenweise pleitegegangen wären, ist allerdings nicht bekannt. Der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit, Peter Schaar, forderte zuletzt, das IFG "nach wissenschaftlichen Kriterien bewerten zu lassen, um zu sehen, wo es noch Defizite und Nachbesserungsbedarf gibt".

Erfolgreiche Herausgabe der Gorleben-Akten

Anders als die Wirtschaft denkt Schaar dabei wohl aber eher an eine Aufweichung der Ausnahmetatbestände. Vorbild könnte das Umweltinformationsgesetz sein, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, und auch die Freigabe von "Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen" erlaubt, wenn das öffentliche Interesse höher zu bewerten ist als das Interesse eines Unternehmens.

Mithilfe des Umweltinformationsgesetzes gelang es Greenpeace auch, an die Gorleben-Akten zu gelangen, die sogar zu einem Bundestagsuntersuchungsausschuss geführt haben. Aufgrund der Akten fand Greenpeace heraus, dass vor 30 Jahren eine Vorentscheidung für den Salzstock Gorleben als möglicher Endlager-Standort für Atommüll gefallen ist - offenbar vor allem aus politischen Gründen.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.