Merkel: "Europa steht am Scheideweg"
Die Nothilfe zur Rettung Griechenlands hat im Bundestag zu einem Schlagabtausch geführt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am Mittwoch von einer "historischen Dimension" der Finanzhilfen für Athen zur Rettung der Stabilität des Euro.

Manchmal erscheint Angela Merkel wie eine Lichtgestalt. Das ist der Moment, wenn sie im Bundestag auf der Regierungsbank sitzt und die Sonne durch die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes genau auf den Platz der Kanzlerin scheint. So auch am Mittwoch um 8.31 Uhr, als die CDU-Vorsitzende dort darauf wartet, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ihr das Wort für ihre Regierungserklärung zur griechischen Finanzkrise und der deutschen Hilfe erteilt. Merkel trägt einen langen grünen Blazer - ein Symbol der Hoffnung trotz des düsteren Themas.

Dramatisch statt nüchtern

Die sonst nüchtern und mit wenig Emotion argumentierende Kanzlerin bedient sich diesmal dramatischer Worte. Um die "historische Dimension" der Gefahr klarzumachen, dass am Ende eine von Griechenland ausgehende Kettenreaktion auch Deutschland und ganz Europa bedrohen könnten, sagt sie: "Europa steht am Scheideweg. (...) Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa."

Sie redet auch nicht darum herum, wer die Zeche zahlen würde: "In letzter Konsequenz (...) der Steuerzahler, also wir alle." Sie fordert die Opposition auf, gemeinsam mit der Regierung Verantwortung zu tragen - womit sie wohl um die Zustimmung zu dem Gesetz wirbt, das am Freitag für die deutsche Kreditleistungen beschlossen werden soll. Insgesamt soll Griechenland aus Deutschland in den nächsten drei Jahren Kredite von 22,4 Milliarden Euro bekommen. Eine breite Unterstützung im Parlament wäre ein wichtiges Signal an die Bürger.

Doch anstatt SPD, Grüne und Linke dafür sozusagen politisch zu umarmen, spricht sie Versäumnisse der rot-grünen Regierung vor allem im Jahr 2000 an, als Griechenland gegen die Skepsis der Union in die Eurozone aufgenommen wurde. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier schäumt. "Wir verbitten uns jede selbstgerechte Belehrung. Das ist eine Frechheit." Er lässt offen, ob die SPD am Freitag "Ja" sagen wird.

"Geschwankt wie ein Rohr im Wind"

Steinmeier ärgert sich, dass die Kanzlerin ihre wochenlang harte Haltung gegenüber Griechenland als den einzig richtigen Weg verteidigt. Merkel hatte in ihrer Regierungserklärung gesagt: "Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft." Ein guter Europäer sei jener, der dafür sorgt, dass die Stabilität der Eurozone keinen Schaden nehme. So wäre es ohne Deutschland nicht zu dem jetzt harten Sparkurs der Griechen und zur Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gekommen. Und andere verschuldete Länder hätten geglaubt, auch ihnen würde ohne Eigenanstrengung schnell geholfen.

Steinmeier beschreibt Merkels Politik hingegen so: "Sie haben geschwankt wie ein Rohr im Wind und erklären das nachträglich als Strategie." Auch er bemüht große Worte: "Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik und das Fundament unserer Demokratie." Die Bürger seien besorgt, dass die Politiker die Finanzmärkte "nie unter Kontrolle" bringen werden.

Linksfraktionschef Gregor Gysi erinnert die SPD daran, dass ihre Regierungszeit erst sechs Monate vorbei ist und sie in ihren elf Jahren Regierungsbeteiligung selbst nicht durchgesetzt habe, was sie nun zur Regulierung der Finanzmärkte fordere. Jetzt scheue Schwarz-Gelb die Konfrontation mit der Finanzwirtschaft.

Beifall für Trittin

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin wirft der Union vor, sie habe aus Angst vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an diesem Sonntag versucht, die Griechenland-Krise auszusitzen. Die FDP sei für die Union ein "unzuverlässiger Kandidat", auch weil sie trotz schlechter Haushaltszahlen weiter Steuersenkungen in Aussicht stelle. Merkel wirft er vor, "nationale Ressentiments" zu bedienen, indem sie Euro-Staaten Rechte verweigern will, wenn sie gegen EU-Regeln verstoßen. "Das wird es in diesem gemeinsamen Europa nie geben." Trittin ist der Einzige, dem die Opposition geschlossen Beifall spendet.

CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich kontert: "Dafür, dass Sie zugeschaut haben als Bundesminister in einer rot-grünen Regierung, wie Herr Eichel (damaliger Finanzminister) den Euro aufgeweicht hat, riskieren Sie hier eine ganz schön dicke Lippe."

Nach der von ihrer Brandrede und der Kritik der Opposition geprägten Aussprache im Parlament ereilen die Kanzlerin schlechte Nachrichten. Erstens: Die Schuldenkrise in der Eurozone weitet sich aus - auch Deutschlands Schulden steigen demnach weiter. Zweitens: Die deutschen Steuereinnahmen könnten entgegen früheren Prognosen bis Ende 2013 rund 48 Milliarden Euro weniger betragen. Drittens: Nach einer Umfrage hätten Union und FDP heute keine Mehrheit mehr. Auch Merkel persönlich büßt an Zustimmung ein: Nur noch 48 Prozent der Bürger (Vorwoche: 54) würden sie direkt zur Kanzlerin wählen. Ein Grund ist den Demoskopen zufolge die Griechenland-Krise.

dpa