Maifeiertag in Bangkok: "Det ist ja wie in Berlin"
Thailand kommt nicht zur Ruhe, Teile der Hauptstadt Bangkok sind seit Wochen von "Rothemden" besetzt. Reportage von einem Maifeiertag zwischen Rosen und Revolutionsromantik.
02.05.2010
Von Michael Lenz

"Det is ja wie am 1. Mai in Berlin hier. So richtig Randale", strahlt Rahel. Zusammen mit zwei Freunden ist die Berlinerin am Maifeiertag in Bangkok gelandet, und bevor es auf große Thailandtour geht, haben sich die drei ihre Dosis Revolutionsromantik in den Straßenzügen geholt, die von der Protestbewegung der "Rothemden" - offiziell United Front for Democracy against Dictatorship (UDD) - besetzt gehalten werden.

Rahel bekommt an diesem Samstag das volle Konfliktprogramm minus Straßenschlachten, obwohl die Spannung viel höher war als in den vergangenen Tagen. Ursache war die Auswirkung des Sturms einer Einheit der Rothemden auf das Chulalongkorn-Krankenhaus zwei Tage zuvor. Teile der Rothemden hatten sich der nach der Stürmung des Krankenhauses getroffenen Vereinbarung der UDD-Anführer mit den Sicherheitsbehörden widersetzt, ein Teil der Ratchadamri-Straße zu räumen, um die Evakuierung der Patienten in andere Krankenhäuser zu ermöglichen.

Auf Befehl des radikalen Armeeoffiziers Khattiya Sawasdiphol, der wenig von Politik und um so mehr von Militär, Gewehren und Granaten hält, bauten Rothemden die für die Evakuierung des Krankenhauses am Freitag kurzzeitig geräumten Barrikaden wieder auf. Erst auf Intervention anderer UDD-Führer wurden dann am 1. Mai Teile der Barrikaden an der Kreuzung Ratchadamri- und Rama-4-Straße wieder abgebaut, um die Zufahrt zum Chulalongkorn-Krankenhaus zu ermöglichen. Der Sturm auf das Krankenhaus hat die Rothemden viele Sympathiepunkte unter den Thais gekostet - und das Hin und Her zwischen den Anführern hat gezeigt, dass die UDD-Führung gespalten ist.

"Nächste Woche wird es gefährlich"

Der Sturm auf das Krankenhaus hat aber auch die Bereitschaft in der Armeeführung wie auch der Polizei gesteigert, dem roten Protest, der seit über vier Wochen das Geschäfts- und Einkaufsviertel Bangkoks lahm legt, mit Gewalt ein Ende zu bereiten. Rojanee, eine ehrenamtliche Helferin in einer Erste-Hilfe-Station im "roten Viertel" rechnet mit militärischen Aktionen in der kommenden Woche. "Nächste Woche wird es gefährlich. Die schmutzige Regierung will uns dann fertig machen", ist sie überzeugt.

Die Rothemden aber hoffen auf Hilfe von den "Melonen". In der komplizierten thailändischen Farbenlehre – es gibt noch die "Gelbhemden", die Straßenkämpfer des Establishments aus Adel, Militär und Beamten; sowie die "Bunten", die gegen Rothemden und Gelbhemden sind – werden mit Melonen jene Soldaten bezeichnet, die außen "grün" und innen "rot" sind, also insgeheim Anhänger der UDD. Die Melonen, so die Hoffung, werden sich im Ernstfall auf die Seite der Roten schlagen oder aber wenigsten sich dem Schießbefehl widersetzen.

Militär ist gespalten

Armeechef Anupong Paochinda hatte vor einigen Tagen die Spaltung des Militärs jedoch heruntergespielt. Im Ernstfall, so der General, werde die Armee als Ganzes geschlossen den Befehlen der Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva folgen. Aber es pfeifen in Bangkok die Spatzen von den Dächern, dass die Führungsebene der Armee im Machtkampf auf der Seite der alten Elite steht, während die unteren Offiziersränge und die Mannschaften eben zu einem guten Teil Melonen sein sollen.

Eine Spaltung von Militär und Polizei aber beschwört die Gefahr eines Bürgerkriegs hinauf. "Das politische System Thailands ist zusammengebrochen und scheint unfähig zu sein, das Land vom Rand eines breiten Konflikts zurückzuziehen", warnte in Brüssel die auf die Analyse internationaler Konflikte spezialisierte International Crisis Group (ICG) am Samstag in einer Einschätzung der Lage in Thailand und fügte hinzu: "Die Pattsituation in den Straßen Bangkoks zwischen der Regierung und den Demonstranten der Rothemden wird immer schlimmer und könnte in einen unerklärten Bürgerkrieg münden." Nur noch Einschaltung "neutraler Personen von außen" als Vermittler zwischen den Konfliktparteien könne Thailand vor einem Bürgerkrieg bewahren, mahnt die ICG.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sieht die Entwicklung in Thailand mit großer Sorge. "Soldaten und Polizei legen zunehmend ihre anfängliche Zurückhaltung ab und sind immer mehr bereit, Gewalt, auch tödliche Gewalt, einzusetzen." Die Bereitschaft zur Gewalt ist nicht neu. Auf beiden Seiten hat der bereits seit über vier Wochen andauernde Konflikt 28 Tote gefordert. Da mutete an diesem Samstag die rührende Verteilung von roten Rosen an die Polizisten eine mit Schlagstöcken, Gewehren und Schilden ausgerüsteten Polizeieinheit durch eine Thailänderin schon als Akt der Verzweiflung an.

Auf Konflikt vorbereitet

Die Rothemden sind auf den bewaffneten Konflikt vorbereitet. Ob sie in ihrer "Roten Stadt" über Gewehre und Granatwerfer verfügen ist unklar. Aber sie sind mit angespitzten Bambusstäben, Messern, Macheten, abgesägten Billardstöcken, Baseballschlägern, Feuerwerkskörpern und Schleudern ausgerüstet. Diese Waffen mögen primitiv sein, aber im Kampf von Mann zu Mann können sie furchtbare Verletzungen anrichten. Und zumindest an diesem spannungsreichen 1. Mai wurden im besetzten Bangkok diese Waffen von so manchem offen getragen. Ein Zeichen dafür, dass die Spannung steigt und mit der bevorstehenden Niederschlagung der Proteste gerechnet wird.

Rahel und ihre beiden Freunde werden die Entwicklung der Krise in Bangkok nicht live miterleben. Um 18 Uhr am Samstagabend ging ihr Zug nach Chiang Mai. Nach der Revolutionsromantik à la Kreuzberg und Fotos von Polizisten in Kampfuniformen und Rothemden sind jetzt Besuche bei folkloristischen Bergstämmen im Norden Thailands und Ritte auf Elefanten angesagt.


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien.