Erweckungserlebnisse: Christus lebt in Hermannstadt
Bei der Integration der Roma in Rumänien, aber auch in ihrem Alltagsleben spielt die Kirche eine bedeutende Rolle. Der deutsche Pfarrer Jürgen Henkel beschreibt, auf welch langen Weg zur gesellschaftlichen Normalität sich die Volksgruppe begeben hat.
01.05.2010
Von Jürgen Henkel

Es ist nicht das beste Viertel im rumänischen Sibiu, zu deutsch Hermannstadt, in dem die meisten Roma der Stadt mit ihrem König Florin Cioaba leben. Alte Baracken, schlammige Straßen und seelenlose Plattenbauten prägen das Bild am westlichen Stadtrand der siebenbürgischen Metropole zwischen den Tempeln des Konsumismus, die McDonald's und die Metro hier seit der Wende von 1989 in den vergangenen Jahren errichtet haben. Mondäner und westlicher wird es erst wieder ein paar Kilometer weiter stadtauswärts im neuen Industriegebiet. Die Hochglanzbauten der jungen gewinnträchtigen Firmen und die Fabriken und Firmensitze dort wirken wie eine Gegenwelt zu diesem Viertel.

Soziales Gefälle

Innerhalb der Roma-Minderheit sind die sozialen Unterschiede zudem sehr groß, auch in der deutsch und evangelisch geprägten Stadt am Fluss Zibin, die 2007 Austragungsort der Dritten Ökumenischen Versammlung "EÖV3" und Europäische Kulturhauptstadt gewesen ist. Bei dem Ökumene-Event waren die Roma nicht vertreten.

Das monierte am Rande der Versammlung schon Florin Cioaba, der seit 1997 nicht nur als Erbe seines Vaters "König der Roma", sondern auch Pastor der freikirchlichen Gemeinde "Philadelphia" in der Stadt ist. Als Roma-König, Pastor und Vorsitzender des "Christlichen Zentrums der Roma" in Rumänien (CZR) ist er gleichzeitig politischer Vertreter und religiöses Oberhaupt von rund 500.000 der etwa zwei Millionen Roma in Rumänien.

Bis 1992 trug Cioabas Vater noch den alten türkischen Titel "Bulibascha". Dann wurde er als Chef der Kesselflickerzunft symbolisch zum "König der Roma" gekrönt. Ein Zeichen, das die Roma politisch setzten, um besser wahrgenommen zu werden. Es gibt bis heute mehrere Zünfte, wie etwa Kesselflicker, Holzschnitzer, Musiker und Kleinwarenhändler.

Rat vom "König"

Der Königs-Titel ist eigentlich symbolisch. Doch wird Florin Cioaba wie schon sein Vater durchaus auch auf politischer Ebene national wie international als wichtiger halboffizieller Vertreter seines Volkes wahrgenommen und respektiert, auch wenn die Roma insgesamt sehr zerstritten sind. Wären sie sich einig, kämen sie wohl wie die Ungarn auf rund sieben Prozent im Parlament.

Es gibt einen "Kronrat" und mehrere politische Berater. Cioaba hat innerhalb seiner Roma durchaus Autorität: Er wird zu Hilfe gerufen, um in Streitfällen in der Familie oder zwischen Familien zu schlichten. "Diese Konfliktlösung durch Mediation ist besser, als vor Gericht zu gehen oder sich öffentlich zu streiten", sagt Cioaba - ein urchristliches Prinzip der Konfliktlösung.

Mit 13 Jahren verheiratet

Für viele Roma ist der Lebensalltag nicht leicht. Manche Roma-Mädchen heiraten mit 13 oder 14 Jahren nach den internen Regeln und Bräuchen und bekommen unmittelbar danach ihre ersten Kinder, auch wenn diese Eheschließungen vom Gesetzgeber verboten sind.

Die Kinder und Jugendlichen besuchen kaum Schulen, vor allem auf den Dörfern. Fehlt ihnen die schulische Ausbildung, haben sie später kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Hinzu kommen manche Vorurteile gegen die Roma, die freilich auch in nicht immer sozialverträglichem Verhalten im Alltag und am Arbeitsplatz begründet sind. Das alles trägt zur großen Armut in der Volksgruppe bei.

"Die einzige Chance für die Roma", sagt Cioaba. "besteht in der Christianisierung. Das fördert das richtige Verhalten im Alltag und erleichtert die Integration in die Gesellschaft. Es bringt unsere Leute auf den Weg zu Gott." Seit er sich Mitte der 90er Jahre zu Christus bekehrt hat, ist dies seine feste Überzeugung. Als Vorsitzender des CZR hat er in den vergangenen Jahren in vielen Dörfern Gemeinden gegründet. Dort bieten die Gemeinden seiner Kirche den Roma eine geistliche Heimat.

Berührungsängste

Den Roma liegt aufgrund ihres freieren Lebensstils der Gottesdienst der Pfingstler mehr als die traditionellen Liturgien und Riten der Orthodoxen und der Katholiken in Rumänien. Beiderseits gibt es Berührungsängste. Von der christlichen Erziehung verspricht sich Cioaba einen geistlichen Aufbruch für seine Volksgruppe. Und in der Tat finden immer mehr Roma den Weg zu den Pfingstkirchen oder Baptisten.

Politisch gibt es viel zu tun. "Hunde und andere Tiere werden von der EU besser geschützt als unsere Minderheit", sagt Cioaba, auch unter Anspielung auf Ausschreitungen gegen Roma in Italien und Ungarn in jüngerer Zeit. "Wir leben im dritten Jahrtausend, aber einige von uns leben wie im Mittelalter", klagt er. "Dabei wollen unsere Kinder auch lernen, Computer zu bedienen." Er ist zugleich Vize-Präsident der Internationalen Union der Roma (IRU) und erhebt konkrete Forderungen an Staat und Politik. Auch auf europäischer Ebene bringt sich der Pastor ein und wirkt im Roma-Beirat des Europarates mit.

Fürbitte für die Kranken

Florin Cioaba hat bei mehreren freikirchlichen Geistlichen Akademien studiert, unter anderem bei der rumänischen Abteilung des "Christian Life College" und dem Institut "World Teach" sowie dem "Biblischen Institut Philadelphia". Im Moment plant er ein Roma-Museum, einen Sozialdienst und eine Bildungseinrichtung zu gründen. Dazu steht er in Verhandlungen mit der Diakonie Neuendettelsau als Partnerorganisation in Deutschland.

Dreimal in der Woche feiern die Roma Gottesdienst. Cioaba selbst predigt, aber auch andere Christen kommen zu Wort. Es sind einfache, klare, überzeugende und gut verständliche Predigten zu hören, die auf die Lebenslagen der Roma aus dem Evangelium Antwort geben.

In den Gottesdiensten wird namentlich Fürbitte geleistet für kranke Gemeindeglieder. Eine kleine Gesangsgruppe bietet auf Rumänisch oder auch in der Romasprache Romanes freikirchliche Lieder. Alle singen und beten laut und kräftig mit. Die Lieder werden mittels Folien auf einem Overheadprojektor aufgelegt.

1990 gab es nur in Temeswar eine Kirche für die Roma. 1995 wurde das CZR gegründet. Heute gibt es nach Aussage Cioabas über 300 Gemeinden in Rumänien. Rund 40.000 Roma gehören zu seiner Pfingstlerischen Kirche. Die meisten waren vorher ungetauft und pflegten spiritistische Praktiken. "Unsere Gläubigen haben ihr Leben von Grund auf gewandelt", sagt Cioaba. Und welcher Geistliche kann das schon von seiner Gemeinde sagen?


Dr. theol. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und Publizist. Er leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS) in Sibiu/Hermannstadt. Derzeit ist er Pfarrer in Erkersreuth bei Selb in Oberfranken. Sein Buch "Neue Brücken oder neue Hürden? Eine Bilanz der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung 2007" erschien 2008 im LIT-Verlag. In Vorbereitung: "Coca Cola und Ikonen. 20 Jahre Wende von der kommunistischen Ideologie zur konsumistischen Idiotie".