Das Tal von Costesti zwischen den Klöstern Hurezu und Bistrita in der rumänischen Provinz ist im Spätsommer eine Idylle. Zwischen leicht bewaldeten Hügeln und Bergen gelegen, grasen hier friedlich die Kühe unter meist strahlend blauem Himmel. Ein schmaler Gebirgsbach plätschert gemächlich über sein Kiesbett dahin. Ruhig hebt sich früh der erste Herbstnebel und gibt das Firmament frei. Doch einmal im Jahr erwacht das Tal ein Wochenende lang zum Leben: dann wird im September der "Nationale Tag der Kesselflicker- und Nomaden-Roma" gefeiert. Und an diesem Tag geht in dem malerischen Tal Rumäniens in den Südausläufern der Karpaten die Post ab.
Stundenlang jault dann laut eine E-Violine zur durchdringenden Stimme eines jungen Sängers, die über die Wiesen und Bäume hinweghallt. "Noch ein Lied für unseren Paten für 100 Euro" – schreit er ins Mikrofon, um gleich danach unterstützt von einer Ein-Mann-Combo und dem Violinisten eines der rhythmischen wie mitreißenden Zigeunerlieder durch die Boxen zu donnern. Dieser Roma-Pop hat in Rumänien eine eigene Musikrichtung geschaffen: die "Manele". Wenn die Band an diesem Tag nicht mindestens 10.000 Euro zugesteckt bekommt, waren die Musiker schlecht in Form.
Wenn Tausende feiern
In der Mitte der Romadisko unter freiem Himmel tanzen rund 25 junge Mädchen, aber auch ältere Frauen. Sie lassen ihre Hüften kreisen, die in bunten Röcken stecken und führen mit sinnlichen bis lasziven Bewegungen vor, welche Glut in ihnen lodert. Die im Takt mitbaumelnden Ohrringe und majestätischer Schmuck aus massivem Gold wie auch fein gestickte Kopftücher zeigen je nach Pracht, wie reich der Clan ist, dem die Mädchen und Frauen entstammen. Der Ehrenkodex der Roma spielt dabei vor allem für Heiratswerber eine große Rolle: Mädchen mit Kopftuch sind verheiratet und tabu.
Einmal im Jahr feiern die Roma in diesem Tal fröhlich und traditionell und erinnern mit diesem improvisierten Feldlager an ihr Nomadenleben früherer Zeiten. Rund 10.000 Roma aus den südlichen und östlichen Landesteilen kommen hier zusammen. Es sind meist die reichen Clans, nicht die Roma, die in manchen Dörfern und Städten im Elend von Slums und verfallenden Lehmbuden hausen.
Jeder Clanchef – aus früheren Zeiten noch "Bulibascha" genannt – fährt im besten seiner Autos vor. Manch massives Goldkreuz auf der behaarten Brust des einen oder anderen Bulibascha könnte selbst Bischöfe neidisch machen. Der hier versammelte Fuhrpark besteht fast ausschließlich aus Luxus-Limousinen und ist allein mehrere Millionen Euro wert. Nur das Beste von Mercedes, Audi, Volkswagen und Porsche ist hier zu sehen. Keine Zweifel: Ein Roma-Oberhaupt schätzt deutsche Limousinen.
Reichlich Gegrilltes
Und so reisen sie ab dem frühen Morgen an, bauen ihre Pavillons auf – und Büffets, unter denen sich die mitgebrachten Tische biegen. Frisch zu diesem Anlaß geschlachtete Spanferkel, riesige gegrillte Fische aus der Donau und andere Delikatessen stehen dem Clan für diese zwei Tage zur Verfügung. Gegrillte Hähnchen werden auf Flaschenhälsen von rechtzeitig geleerten Weinflaschen gepfählt. Je opulenter das Festmahl, umso mehr Ansehen genießt der Clan-Chef unter den anderen Bulibaschas. Passend die Getränke: schottischer und irischer Whiskey und Liköre bester Sorten.
Aus dem Kofferraum der Luxuslimousinen werden die fertig zubereiteten Spanferkel, Hähnchen und Fische, Salate, Würste, Brot und Gebäck sowie Zweiliter-Flaschen mit Spirituosen hervorgezaubert. Auch Metaxa – mit sieben Sternen, versteht sich. Manches Lamm segnet aber auch erst hier das Zeitliche, um dann frisch gekeult und aufgespießt zu werden.
Kampf um die musikalische Lufthoheit
Von Hunderten kleiner Lagerfeuer steigt der Rauch empor. Der scharfe Duft von frisch gegrilltem Fleisch und würzigen Cevapcici – die in Rumänien "Mici" heißen – vermischt sich auf diesem Feldlager der besonderen Art mit dem lauten Stimmengewirr. Viele Roma brüllen sich gerne an, auch wenn sie sich gar nicht streiten. Das ist eine Frage des Temperaments.
Fleisch- und Grillzutaten werden reichlich mitgebracht. Allgegenwärtig und sich dissonant vermischend kämpfen fetzige Rhythmen und sich überschlagende Stimmen aus vielen Boxen um die musikalische Lufthoheit, manchmal heiser, manchmal krächzend, je nach Alter und Qualität der Boxen in den Autos und tragbaren Hifi-Anlagen, aber immer laut.
Manche kommen mit Kleinbussen an und laden zunächst ihre vorher in Einzelteile zerlegten Esstische und Stühle aus. Dann stecken und schrauben sie die Teile blitzschnell wieder zusammen. Kurz noch mal drübergewischt, Tischdecke, Speisen und Getränke darauf - fertig ist das Freiluftwohnzimmer.
Mehrere Roma-Zünfte sind hier vertreten, vor allem jene, die früher auf Wanderschaft waren (Nomazi): Kesselflicker (Caldarari) und Bärendresseure (Ursari), Holzschnitzer (Lavari) und Gold- und Silberzigeuner (Argintari). Nicht alle sind sich untereinander grün, aber diese zwei Tage lang wird das Kriegsbeil begraben. Es wird gegessen, getrunken und gefeiert und lieber Heiratspolitik betrieben.
Mitten im Tal sticht ein Zelt besonders hervor, auf dem vier Flaggen munter im Wind flattern: hier hält der König der Roma Hof. Der aus Sibiu – zu deutsch Hermannstadt – in Siebenbürgen stammende Florin Cioaba ist seit 1997 "König der Roma", als Nachfolger seines Vaters. Er vertritt die Kesselflicker-Zunft und ist auch Erster Vize-Präsident der Internationalen Vereinigung der Roma. So hängen dort nur folgerichtig die Europafahne und die rumänische Flagge neben der Roma-Fahne und der Flagge des "Königshauses" von Florin Cioaba.
Der Präsident zu Besuch
An seinen Tisch kommen auch hochrangige Politiker zu Besuch: vom Staatspräsidenten bis zu Ministern. König Florin bewirtet sie fürstlich, lässt eine kleine Kapelle aufspielen und sagt ihnen, was er von der rumänischen Politik erwartet: mehr Aufmerksamkeit für die Anliegen der Roma. TV-Sender aus dem In- und Ausland filmen jedes Jahr die Szenen dieser Begegnungen der besonderen Art zwischen dem Roma-Königshaus und der Regierung Rumäniens fleißig mit.
Mit Einbruch der Dunkelheit steigt die Stimmung noch. Die Lieder werden teurer, mancher Bulibascha legt bereitwillig 1000 Euro für einen rhythmischen Fetzer hin. Viele übernachten hier, in Zelten oder in ihren Autos. Rumänen aus den Dörfern der Umgebung kommen und verkaufen Holz für die vielen Lagerfeuer, die die kühle Septembernacht im Tal knackend und knisternd erwärmen.
Am nächsten Tag geht es dann nach ein paar weiteren Stunden mit Party pur nach Hause, nicht jedoch ohne sich aus dem Tal mit einem gediegenen stundenlangen Verkehrschaos zu verabschieden. Und alle Beteiligten freuen sich schon auf den nächsten September, wenn sie wieder wie schon seit 30 Jahren zwei Tage lang mit ihrer Lagerromantik ihre frühere Lebensweise hochleben lassen.
Dr. theol. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und Publizist. Er leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS) in Sibiu/Hermannstadt. Derzeit ist er Pfarrer in Erkersreuth bei Selb in Oberfranken. Sein Buch "Neue Brücken oder neue Hürden? Eine Bilanz der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung 2007" erschien 2008 im LIT-Verlag. In Vorbereitung: "Coca Cola und Ikonen. 20 Jahre Wende von der kommunistischen Ideologie zur konsumistischen Idiotie".