Öl im Missisippi: "Diesmal ist hier bald alles tot"
Im Golf von Mexiko droht eine Umweltkatastrophe. Besonders gefährdet ist das Marsch- und Sumpfland im Mississippi-Delta. Heftige Winde drohen, das Öl in ökologisch hochempfindlichen Naturschutzgebiete zu treiben - der Kampf gegen die Ölpest gestaltet sich viel schwieriger als erwartet.
01.05.2010
Von Peer Meinert

Der Mississippi ist aufgewühlt an diesem Wochenende, die Fluten sind braungrau, die langgezogenen Wellen meterhoch. Immer wieder schlägt das schnittige Sportboot von Captain Shawn Lanier mit lautem Krachen auf das Wasser auf. Normalerweise schippert Lanier Sportfischer durch das fischreiche Delta, an diesem Wochenende aber stattdessen "Öl-Touristen", die sich ein Bild der Lage machen wollen. Ziel ist das Sumpfland, das sich zu beiden Seiten des Flusses ausbreitet.

Eine bizarre, eine fremdartige Landschaft, immer schmaler werden die Wasserarme, immer verwirrender die Verästelungen. Drei bis vier Meter hoch stehen die Schilfgräser zu beiden Seiten. Eine Landschaft verwirrend wie ein Labyrinth. Je weiter man in das Marschland vordringt, desto stiller und gemächlicher bewegen sich die braunen Fluten.

Kein Lüftchen bewegt sich

Die Zeit scheint hier langsamer zu verstreichen als auf dem lauten, breiten Mississippi. Es herrscht tropische Schwüle, kein Lüftchen bewegt sich, träge erhebt sich ein Pelikan von einem dürren, abgestorbenen Baum. Doch kaum hundert Meter weiter beginnt plötzlich das Wasser zu brodeln: Wie ein Pfeil schießt ein aufgescheuchter Aligator ins sichere Element. "Gut 15 Fuß lang", schätzt Lanier - das wären immerhin fünf Meter. Danach herrscht wieder Stille.

"Wenn das Öl in das Schilf gelangt, wäre das der Tod des Marschlandes", warnt Lanier. "Das Öl wäre praktisch im Schilf gefangen, es ließe sich kaum mehr entfernen." Viele Vogelarten brüten zurzeit, Umweltschützer sprechen von mehreren hundert Arten, die akut bedroht wären. Es heißt, die Vögel in gefährdeten Regionen sollten mit Hilfe schriller Geräusche und Feuerwerk vertrieben werden.

Schon "Katrina" schlug eine Schneise

"Dabei war das Marschland schon einmal Opfer", sagt Lanier, der sich noch gut erinnern kann. Vor fünf Jahren habe der Hurrikan "Katrina" hier eine Schneise geschlagen. "Einige Schilfgebiete waren wie weggefegt." Lanier deutete auf einen alten, verlassenen Leuchtturm mehrere hundert Meter im offenen Meer: "Vor Katrina stand er im Schilfland." Diesmal drohe es noch viel schlimmer zu kommen: "Das Öl bringt das Marschland um, da gibt es keinen Zweifel."

Tatsächlich ist das Ausmaß der Bedrohung am Golf von Mexiko noch nicht abzuschätzen. Vom Hubschrauber aus ist das Öl deutlich zu erkennen: Regenbogenfarben und schillernd breitet sich der schmierige Film vor der Küste Louisianas immer weiter aus. "Man riecht das Öl bereits, lange bevor man es tatsächlich zu Gesicht bekommt", berichtet ein Fischer. Doch das, was derzeit auf die Küste zukommt, ist noch kein dicker, zäher Ölteppich wie man ihn nach Tankerunglücken kennt.

Die Menschen sehen schwarz

Trotzdem hat Buorjois (59), ein Garnelenfischer mit sonnenverbranntem Gesicht, schon alle Hoffnung aufgegeben. Auch er hat mit Katrina seine Erfahrungen gemacht. "Der Hurrikan hat mein Boot und mein Haus zerstört", erzählt der Mann. In seinen rauen Händen, an denen Verletzungen mit Fischernetzen, Angelleinen und -haken Spuren hinterlassen haben, hält Buorjois eine Bierdose. "Doch mit dem Sturm kamen auch die Shrimps in Küstennähe." Die Fänge in den Wochen nach Katrina seien ungewöhnlich reichhaltig gewesen. "6.000 Dollar Einnahmen pro Nacht", sagt ein Kollege, und die umstehenden Männer nicken. Aber diesmal sieht Buorjois schwarz. "Diesmal ist hier bald alles tot."

Rausfahren und fischen können Buorjois und seine Kollegen derzeit nicht, stattdessen hoffen sie, dass wenigstens beim Kampf gegen das Öl ein Job für sie abfällt. Die arbeitslosen Fischer dringen darauf, dass sie bei den anstehenden Arbeiten beteiligt werden, etwa beim Auslegen der Sperren gegen das Öl und beim Vorgehen mit Dispersionsmittel, die das Öl aufsaugen sollen. "Sie sollen nicht alle Helfer von auswärts holen, wir kennen das Meer hier besser als jeder andere." Zahlen für die Reinigungsaktion müsse natürlich der verantwortliche Ölkonzern BP, sagt Buorjois. Alle Männer nicken.

Öl schwappt über die Sperren

Ein anderer Fischer hat allerdings Einwände. "Die See ist derzeit viel zu rau, das Öl schwappt über die Sperren." Fast zwei Wochen ist das Unglück auf der Plattform "Deepwater Horizon" jetzt her - und noch immer sind die Lecks in 1.500 Meter Tiefe nicht geschlossen, sprudelt das Öl ins Meer. Der anfängliche Optimismus, die Sache rasch in den Griff zu kriegen, ist verflogen. Kleinlaut räumen die Ölexperten, die noch vor kurzem ihre hochmoderne und sichere Technologie lobten, jetzt ein, es könnte zwei Monate oder länger dauern, bis die Lecks geschlossen sind - bis daher droht mehr Öl ins Meer zu gelangen als bei der Exxon-Valdez-Katastrophe.

"Auch das Wetter spielt nicht mehr mit", sagte Lanier und schaut in die tiefen Wolken über dem Delta. Nach dem Unglück hatte das Wetter zunächst zugunsten der Umwelt gespielt: Heftiger Winde hielten das Öl von der Küste fern. Doch jetzt hat der Wind gedreht, das Marsch- und Sumpfland im Mississippi-Delta ist bedroht. "Oil kills", sagt Lanier.

dpa