Griechenland und die Flecken auf der schönen Idee Europa
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - so führt er die griechische Staatspleite auf die Geldgier der Finanzwirtschaft und Brüsseler Schlampereien zurück, er beklagt den Niedergang des 1. Mai als Arbeiterfeiertag und brandmarkt das belgische Burkaverbot als frauenfeindlich. Jede Woche beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
30.04.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Griechenland am Abgrund, und Europa muss zahlen: Wie kann es sein, dass ganze EU-Länder bankrott gehen, und niemand tut etwas, bis es zu spät ist?

Ernst Elitz: Zweierlei wirkt zusammen. Erstens: Die Finanzwirtschaft hat sich global vom seriösen Kreditgeber zu einer Giermaschine entwickelt. Gier vernebelt die Hirnhälfte, in der die Vernunft zu Hause ist. Deshalb wurde lange verdrängt, dass auch Staaten Pleite gehen, wenn dem Ausmaß an Schulden keine Leistung mehr gegenübersteht. Nun setzt die Giermaschine darauf, dass die Zinsen weiter sprudeln – bei immer höheren Zinssätzen –, weil die EU über eine Pipeline das Geld ihrer Steuerzahler in den Süden pumpt. Diese Rechnung geht gerade auf. Zum zweiten: Für eine große Idee übersieht man gern lästige Details. Die EU-Kommission, die EU-Präsidenten, die EU-Finanzminister, der Europäische Rechnungshof und wer auch immer die europäische Fahne schwenkt – alle haben die Betrügereien der griechischen Regierung geduldet. Die schöne Idee von Europa samt gemeinsamer europäischer Währung sollte keine Flecken bekommen. Und die Sorge, dass nach einer kurzen Aufwallung der Gefühle, eine Politik des "Weiter so" betrieben wird, ist nicht unberechtigt. Oder glauben Sie, dass eine über Jahre gewachsene Mentalität sich auf Knopfdruck verändern lässt? Die Brüsseler Schlamperei und die Giermaschine der Finanzindustrie bilden auch künftig eine Bedrohung für jeden von uns.

evangelisch.de: Das alljährliche Gewaltritual rund um den 1. Mai wirft seine Schatten voraus. Ist das nur Lust an der Randale oder spielt die zunehmende soziale Schieflage im Land eine Rolle?

Ernst Elitz: Es ist ein Elend, was aus dem stolzen Feiertag der Arbeiterklasse geworden ist. An diesem Tag haben Arbeiter in aller Welt für ihre Gleichberechtigung, für Bildung, angemessene Bezahlung, für ihre Menschenwürde gekämpft. In vielen Teilen der Welt herrscht noch immer Kinder- und Sklavenarbeit, brutale Ausbeutung der unteren Schichten. In Deutschland hat eine verantwortungslose Bildungspolitik die Chancen für Generationen von Kindern beschnitten. Auch das ist ein alarmierender Verstoß gegen die Menschenwürde. So sind die rohen Gewaltausbrüche zum 1. Mai auch Ergebnis einer Verwahrlosung, vor der viele Politiker die Augen verschlossen haben. Wenn eine chancenlose Jugend keine Ziele mehr hat, wenn sie nicht zu Anstand, Disziplin und Achtung vor den Mitmenschen erzogen wird, wenn Jugendliche die Schulen als Analphabeten und ohne Chance auf einen Arbeitsplatz verlassen, dann ist ein Brutalisierung der Gesellschaft die zwangsläufige Folge. Der 1. Mai hat eine neue Bedeutung bekommen: Er weist uns nachdrücklich auf dieses politische Versagen hin.

evangelisch.de: Belgien verbietet die Burka: antimuslimische Symbolpolitik oder sinnvolle Maßnahme zur Eindämmung des Islamismus in Europa?

Ernst Elitz: Die Burka ist eine Männer-Erfindung, und das Burka-Verbot ist typisch für eine von Männer bestimmte Gesellschaft. Der Islamist kann rumlaufen, wie er will, er tarnt sich in Zivil, keiner geht ihm an den Prophetenbart, aber die voll umkleidete Muslima wird öffentlich als Übel gebrandmarkt. Insoweit ist ein Burka-Verbot tatsächlich Symbolpolitik. Damit wird keinem Selbstmordattentäter das Handwerk gelegt und kein Hassprediger zum Verstummen gebracht. Aber den Frauen hat man mal wieder gezeigt, wer Herr im Hause. Der eine zwingt sie in die Burka, der andere zwingt sie raus aus Burka. Arme Frauen! Ich hoffe auf den Tag, an dem ihnen keiner mehr vorschreibt, wie sie sich kleiden müssen.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.