TV-Tipp: "Wiedersehen mit einem Fremden"
Ein Soldat kommt aus dem Krieg zurück und nimmt den Platz eines anderen ein. Jeder ahnt, dass der Mann ein Betrüger ist, aber alle arrangieren sich mit dem Schwindel.
30.04.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Wiedersehen mit einem Fremden", 5. Mai, 20.15 Uhr im Ersten

Die Geschichte klingt völlig unglaubwürdig, ist aber verbürgt: Ein Soldat kommt aus dem Krieg zurück und nimmt den Platz eines anderen ein. Jeder ahnt, dass der Mann ein Betrüger ist, aber alle arrangieren sich mit dem Schwindel. Zugetragen hat sich das Ereignis im 16. Jahrhundert in Frankreich. Es ist zweimal verfilmt worden: 1982 unter dem Titel "Die Wiederkehr des Martin Guerre" (mit Gérard Depardieu) sowie elf Jahre später als Hollywood-Remake "Sommersby" (mit Richard Gere). Thomas Kirchner mischt die Handlungsmuster beider Filme, verlegt die Geschichte aber in den Hochschwarzwald der Fünfzigerjahre: Nach zehn Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft wird Max Steiner (Peter Davor) endlich entlassen. Erleichtert ist vor allem die Gattin (Silke Bodenbender): Seit Jahren sind sie und der gemeinsame Sohn auf dem Hof der Familie bloß geduldet; ihren Lebensunterhalt verdient sie als Magd. Alles andere als begeistert ist allein Max’ Schwester Margarete (Nina Kunzendorf), denn sie muss die Leitung des Hofs wieder abgeben.

Waage zwischen Akzeptanz und Zweifel

Geschickt hält das von Regisseur Niki Stein bearbeitete Drehbuch die Waage zwischen Akzeptanz und Zweifel. Immer wieder gibt es Anlass, Max zu misstrauen. Andererseits erlaubt das Verhalten von Mutter und Gattin keinerlei Zweifel am Offenkundigen, zumal sich ein Mann im Krieg und erst recht in der entbehrungsreichen Gefangenschaft (für die Davor allerdings entschieden zu wohlgenährt aussieht) zwangsläufig verändert.
Aber just dann, als selbst die Skeptiker bereit sind, sich mit Max zu arrangieren, taucht ein Kriegskamerad (Mark Waschke) auf und setzt Gerüchte in die Welt. Endlich hat Margarete einen Verbündeten. Als Max sie des Hofes verweist, greift sie zum Äußersten: In Briefen an die Mutter hatte der Soldat einst seine Beteiligung an Massenmorden geschildert. Nun wird Max Steiner als Kriegsverbrecher angeklagt; aber vor Gericht steht ein unbescholtene Lehrer aus Siebenbürgen.

Film trägt auch Züge des Heimatfilms

Niki Stein hat erst kürzlich mit dem Scientology-Drama "Bis nichts mehr bleibt" (ebenfalls für den SWR) für viel Aufsehen gesorgt. "Wiedersehen mit einem Fremden" ist nicht nur des Sujets wegen ein völlig anderes Werk. Die Geschichte trägt naturgemäß auch Züge des Heimatfilms, selbst wenn Stein auf genreübliche Zutaten wie Kitsch, Rührseligkeit oder saftige Naturbilder verzichtet. Dialekt spricht in der Dorfgemeinschaft jedoch allein eine einzige Nebenfigur, was mitten im Schwarzwald selbst heute noch völlig unglaubwürdig ist. Ohnehin erreicht der Film längst nicht die Intensität der letzten Inszenierungen Steins ("Der große Tom", "Die Todesautomatik"). Die Führung der Darsteller aber ist wie stets bei diesem Regisseur bemerkenswert.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).