Ökumene mit den Orthodoxen: "Da brauchen wir Geduld"
Sollten eines Tages die Schranken zwischen den Konfessionen verschwinden, wäre das vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer, sagen manche. Noch immer sind die theologischen und weltanschaulichen Unterschiede immens. Doch in der Ökumene ist Bewegung - wie der Ökumenische Kirchentag 2010 zeigt.
30.04.2010
Von Hedwig Gafga

"Das wird ein pfingstliches Ereignis in diesem Jahr!", sagt Constantin Miron, Erzpriester der griechisch-orthodoxen Kirche in Brühl. Er spricht von der orthodoxen Vesper, die auf dem Kirchentag in München mit Angehörigen aller großen christlichen Konfessionen gefeiert wird. Eigentlich nichts neues. Das Angebot einer orthodoxen Vesper gab es auf vielen Kirchentagen. Aber diesmal rückt es ins Zentrum. Mit einem Lächeln nennt der Priester sie "die am besten vorbereitete Vesper der Kirchengeschichte". Beim ökumenischen Kirchentag in München sind die Orthodoxen, deren Mitgliederzahl in Deutschland bei etwa 1,5 Millionen liegt, Mitveranstalter.

Mit der Kirchengemeinschaft zwischen den Konfessionen, die nach christlichem Verständnis im gemeinsamen Abendmahl sichtbar wird, rechnet Miron in naher Zukunft nicht. Das wäre für ihn ein gewaltiges Ereignis, vergleichbar dem Fall der Berliner Mauer. Insofern will Vater Konstantin, wie ihn seine Gemeindemitglieder nennen, das auch nicht ganz ausschließen. Andererseits, orthodoxe und evangelische Kirche trenne, kaum überwindbar, ein unterschiedliches Amts- und Kirchenverständnis. Ist ökumenischer Dialog, solange dies besteht, kaum mehr als "Beschäftigungstherapie", wie die "Welt" kürzlich fragte?

In der Nachfolge der Apostel

In der Geschichte der reformatorischen Kirchen sei "einiges grundsätzlich schief gelaufen: der Verzicht auf die Tradierung des bischöflichen bzw. priesterlichen Amtes zugunsten des auch wichtigen Priestertums aller Gläubigen", meint der Generalsekretär der russisch-orthodoxen Kirche Nikolaj Thon. Reformator Martin Luther hatte das Priestertum aller Gläubigen gelehrt und eine kirchliche Hierarchie verworfen, die den geweihten Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen über die anderen stellte.

Nimmt man das Amtsverständnis zum Maßstab, herrscht zwischen den Kirchen eine tiefe Kluft: Dann sind evangelische Bischöfe und Pfarrer aus orthodoxer Sicht keine authentischen kirchlichen Amtsträger, und umgekehrt sieht die protestantische Seite orthodoxe Bischöfe und Patriarchen, die sich als "Ihre Heiligkeit" oder "Eminenz" titulieren lassen, gleichfalls nicht als angemessene Nachfolger Jesu Christi und seiner Apostel. Darüber wird oft vergessen, dass die Kirchen auf einem gemeinsamen Fundament stehen.

Begegnung auf Augenhöhe?

Nach der Wahl Margot Käßmanns zur EKD-Ratsvorsitzenden sorgten Statements des russisch-orthodoxen Patriarchats in Moskau für einen Eklat. Man werde die neue Ratsvorsitzende nicht empfangen und könne den Dialog in der bisherigen Weise nicht fortsetzen, hatte es geheißen. "Die Spannungen sind noch nicht zu Ende, die Irritationen nicht ausgeräumt", sagt Martin Schindehütte, Auslandsbischof der EKD. Die russisch-orthodoxe Kirche hatte den Dialog auf Augenhöhe, wie er seit fünf Jahrzehnten gemeinsame Praxis war, in Frage gestellt.

Mit dem unterschiedlichen Amtsverständnis waren die Dialogpartner bislang pragmatisch umgegangen. "Unsere orthodoxen Brüder erkennen unser Amt nicht an", stellt Schindehütte fest. "Aber ich lebe nicht davon, dass ich von ihnen anerkannt bin. Nach evangelischem Verständnis leiten Pfarrer und theologische Laien die Kirche gemeinsam. Wenn man dies im Dialog klarstellt, wächst der Respekt."

Orthodoxe Vielfalt

Nach Erfahrung des Auslandsbischofs gibt es nicht die eine orthodoxe Auffassung. Kirchen, die das Zusammenleben mit anderen christlichen Konfessionen in ihren Ländern gewohnt seien, gingen offener in den Dialog. Schwieriger sei es dort, wo die orthodoxe Kirche seit Jahrhunderten nahezu eine Alleinstellung innehatte, wie in Griechenland oder Russland.

Rumänisch-orthodoxe und evangelische Kirchenvertreter konnten im März 2010 sogar in der Frage der Apostolizität der Kirche gemeinsame Auffassungen formulieren. "Beide Seiten gehen davon aus, dass Apostolizität eine Gabe ist, die dem ganzen Volk Gottes zuteil werde und die den Dienstcharakter des ganzen Gottesvolkes umfasst", sagt Schindehütte. Sie müsse "in jeder Generation neu gewonnen werden".

Die Bedeutung der altkirchlichen Tradition

"Wir heutigen Christen müssen uns immer wieder an der alten Kirche messen", sagt Erzpriester Constantin Miron (Bild links). Gerade in Zeiten der Globalisierung sollten die Christen von den Kirchenvätern lernen. Schließlich hätten sie es geschafft, eine Brücke zu Menschen ohne jede christliche Bildung zu schlagen und unter ihnen das Evangelium zu verbreiten.

Sich an den Kirchenvätern zu orientieren, sei eine "Dimension, die im Protestantismus nicht so berücksichtigt wird, wie es sein sollte", meint der Ökumenebeauftragte seiner Kirche. Reformator Martin Luther hatte die kirchliche Praxis seiner Zeit als unbiblisch kritisiert und eine Rückbesinnung auf die Bibel als Fundament des Glaubens gefordert.

Miron sieht in diesen Unterschieden eine Chance. In Deutschland leben die Christen verschiedener Konfession heute in unmittelbarer Nachbarschaft. "Man erlebt die anderen vor Ort, liest nicht nur aus Büchern über sie." Wo ökumenische Zusammenarbeit stattfindet, wirke sie auch positiv auf die Haltung der Menschen in den Heimatländern der orthodoxen Einwanderer zurück.

Eine andere Mentalität

Jenseits von dogmatischen Unterschieden sollte in der Ökumene der "atmosphärische Unterschied" stärker beachtet werden, findet der Erzpriester. "Im Osten spricht man lieber vom Geheimnis, von Dingen, die man nicht ganz erklären kann. Im Westen will man alles bis zu Ende erklären, auch die Sakramente, die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi."

Für orthodoxe Christen sei es wichtig, in einem "Chor mit zu singen", nicht so sehr sich selber auszudrücken. Er vergleicht dies mit der Haltung eines Ikonenmalers, der sein Bild nicht signiere, weil es dabei nicht um sein Produkt, nicht um seine persönliche Leistung geht. In der Westkirche redeten Menschen eher von sich und von ihren Leistungen.

Heikles Thema Homosexualität

Eine höchst kontroverse Debatte führen die ökumenischen Partner über die Frage der kirchlichen Haltung zur Homosexualität. "Wenn Menschen füreinander Treue und Verantwortung wahrnehmen, dann bejahen wir eine gleichgeschlechtliche Beziehung", benennt Bischof Schindehütte die Position der EKD. Ablehnende biblische Aussagen würden heute als zeitgeschichtlich bedingt verstanden.

Die orthodoxe Seite hingegen betrachtet Homosexualität als sexuelle Behinderung. Metropolit Seraphim von der rumänisch-orthodoxen Kirche in Deutschland schreibt: "Ohne die Person zu verdammen, die mit einer sexuellen Abart geboren ist, hilft ihr die orthodoxe Kirche, ihre Behinderung zu korrigieren durch Askese und Gebet, mit Beistand eines geistlichen Vaters."

Außerdem seien sexuelle Abweichungen "ähnlich zu sehen wie alle anderen angeborenen Behinderungen oder physische Krankheiten. Gegen sie muss etwas getan werden, aber man darf sie nicht kultivieren, wenn der Zustand verbessert oder geheilt werden soll." Schindehüttes Ansicht dazu? "Da brauchen wir Geduld miteinander."

Gemeinsame Perspektiven

Der Auslandsbischof hat im ökumenischen Dialog "erstaunliche Felder von Gemeinsamkeit" entdeckt, etwa die gemeinsame Ablehnung des päpstlichen Primats durch Orthodoxe und Protestanten. Er nennt positive Impulse, die von orthodoxen Kirchen für die Ökumene ausgehen. Beispielsweise den Vorschlag des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, einen ökumenischen Tag der Schöpfung zu begehen, um Menschen für den notwendigen Schutz der Schöpfung zu begeistern.

Im Jahr 2002 bestätigten die großen Konfessionen einander in Magdeburg offiziell die gegenseitige Anerkennung der Taufe. Die Taufe erscheint als "das ökumenische Sakrament". Ein gutes Vorzeichen für die Zukunft? So sieht es der frühere Ratsvorsitzende Wolfgang Huber: "Eine Betrachtung, die dem Auftrag oder der Einladung Jesu den Vorrang vor den unterschiedlichen Amtsverständnissen einräumt (...), kann auch den Zugang zu einer Antwort auf die Frage nach der Gemeinschaft im Abendmahl eröffnen“.


Hedwig Gafga arbeitet als freie Journalistin in Hamburg.