Obwohl es in Deutschland schon lange muslimische Abgeordnete oder solche mit Migrationshintergrund aus mehrheitlich islamischen Ländern in Bundes- und Landtagen gibt, hat die am 26. April 2010 erfolgte Wahl in dieses Amt eine symbolische Bedeutung im Hinblick auf die Integration der türkischen Minderheit in Deutschland wie auch von Menschen muslimischen Glaubens in öffentliche Ämter und Verantwortung.
Vor der Amtseinführung von Frau Özkan haben Äußerungen von ihr einigen Wirbel ausgelöst, dies nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Reihen der eigenen Partei. Einige Landtagsabgeordnete der CDU hatten gedroht, ihrer Wahl nicht zuzustimmen.
Nicht allein ihr Ressort
Die Steine des Anstoßes waren ihre Positionen, dass sowohl religiöse Symbole wie auch Kopftücher "in Klassenzimmern nichts zu suchen" hätten. Frau Özkan zur Rolle der Religionen in der Gesellschaft zu befragen, liegt von ihrer Person natürlich nahe, obwohl diese Fragen nicht unmittelbar und ausschließlich in ihr Ressort fallen dürften. Ob sie ihre Ansichten eher unbedacht geäußert hat und ihr nicht vor Augen war, welche Positionen ihre Partei in diesen Fragen bezogen hat und dass dazu in den zurückliegenden Jahren das Bundesverfassungsgericht Urteile gesprochen und Vorgaben gegeben hat oder ob sie in Kenntnis dessen bewusst abweichende Meinungen platzieren wollte, mag dahingestellt sein.
Wenn man sich fragt, warum sie gerade diese Positionen geäußert hat, stößt man darauf, dass diese exakt dem offiziellen staatlichen Verständnis der Rolle der Religion in der Türkei entsprechen. Die dortige Trennung von Staat und Religion bei gleichzeitiger staatlicher Organisation und Kontrolle alleine des sunnitischen Islams verbietet religiöse Symbolik in weiten Bereichen der Öffentlichkeit. Es dürfte unwesentlich sein, ob Frau Özkan damit ein Signal in Richtung Türkei und die dortige Öffentlichkeit senden oder in Deutschland eine neue Diskussion zu diesen Fragen anstoßen wollte. Dass sie ihre Äußerungen wenig später zurücknehmen musste, zeigt, dass der Bedarf recht gering ist, diese konfliktreichen Themen noch einmal erneut öffentlich zu diskutieren.
Intention und Wirkung
Ihr Amtseid mit der Ergänzung "so wahr mir Gott helfe" hat wenige Tage später einen neuen Akzent gesetzt; denn erstmalig wurde dieser Satz in Deutschland von einer Muslimin bei ihrer Vereidigung gesprochen. Wie oftmals ist in Politik und Öffentlichkeit nicht die Intention das Ausschlaggebende, sondern die Wirkung, die damit erzeugt wird. Deshalb kann man unabhängig von den Absichten von Frau Özkan fragen, was uns dies lehrt.
Durch diese Ereignisse ist erstens deutlich geworden, dass sich die Gesellschaft in Deutschland in der Spannung befindet, durch das Christentum sowohl als Kulturkraft als auch als Religion geprägt, aber faktisch multireligiös zu sein. Das, was das Grundgesetz als Gleichheitsgrundsatz seit seinem Bestehen garantiert, ist nicht automatisch in die Alltagskultur umgesetzt. Dies erfordert nämlich nicht nur organisatorische Klärungen, die sich wo notwendig durch rechtliche Klärungen erreichen lassen, sondern auch einen Mentalitätswandel, der, wie man weiß, oft Jahrzehnte oder sogar Generationen in Anspruch nimmt. Es ist erfreulich, dass mit der ersten Muslimin als Ministerin recht selbstverständlich ein Zeichen gesetzt wurde – und dies wohlgemerkt durch eine christlich-demokratische Partei -, dass der Islam ein Teil der deutschen Gesellschaft geworden ist. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu akzeptieren und zu respektieren, ist das eine, sich über Werte und Ziele zu verständigen, ist eine durchaus im Detail mühevolle Arbeit.
Keine einfachen Antworten
Zweitens gibt es auf die Frage des Verhältnisses von Staat und Religion keine einfache Antworten. Innerhalb der Staaten Europas gibt es zahlreiche Lösungen von staatskirchlichen Strukturen bis laizistischen Modellen. Dass wir in Deutschland das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften schätzen und auf europäischer Ebene oft mühsam verteidigen, hat gute sachliche Gründe. Doch die Äußerungen von Frau Özkan zeigen, dass dieses Verständnis nicht automatisch der Konsens mit muslimischen Gruppen in Deutschland ist. Vielmehr ist das türkische Modell eine Lösung, die wegen der Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes zu Recht immer wieder internationale Kritik erhält und faktisch zur Auswanderung der Christen aus diesem Land mit beiträgt.
Drittens ist es sicherlich eine wichtige Lehre im Hinblick auf die religiöse Pluralität, dass im Zusatz zum Amtseid "Gott" nicht ausschließlich der Gott der Christen sein muss. Der Frage, ob "Gott" "Allah" sei, ist sprachlich gesehen geklärt, da selbstverständlich Christen im arabischen Sprachraum Gott mit "Allah" ansprechen. Und in der Sache gesehen lässt sich nicht bestreiten, dass es sich traditionsgeschichtlich bei dem Gott der Juden, Christen und Muslime um den Gott Abraham handelt, aber dennoch die Bekenntnisse zu ihm sehr unterschiedlich sind. Die sechs Minister jüdischen Glaubens während der Weimarer Republik sind offensichtlich heute in Vergessenheit. So ist die Vereidigung von Frau Özkan ein dringender Lernschritt in Sachen Miteinander der Religionen in Deutschland.
Dr. Martin Affolderbach ist Oberkirchenrat und Referent für Islam und Weltreligionen im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland.